Bild: Einer der Ahnend es Grafen: Johann Philipp von Walderdorff, Kurfürst von Trier von 1756 bis 1768.
In der alten Kaiserstadt Frankfurt a. M. wurde am 14. Februar 1828 dem k. k. Kämmerer und Legationsrat Eduard Hugo Wilderich Grafen von Walderdorff ein Sohn geboren, der in der Taufe die in dem altadeligen Geschlechte herkömmlichen Namen Hugo Franz Philipp Wilderich erhielt. Die Mutter war eine Bayerin, eine geborene Gräfin von Oberndorff; ihre Familie besaß damals das Schloß Regendorf bei Regensburg. 1830 legte der Vater, der auch in Berlin und Rußland als Diplomat tätig gewesen war, sein Amt nieder und siedelte nach Bayern über. Hier hatte er kurz vorher von der Witwe des Freiherrn Reichlin von Meldegg das Schloß Hauzenstein und von dem Medizinalrat Dr. v. Stransky das Schloß Kürn, deren Areal aneinander grenzt, käuflich erworben. Hauzenstein wählte er zu seinem Wohnsitz. Das eine der beiden Schlösser liegt etwa zwei, das andere drei Gehstunden von Regensburg entfernt, und zwar Hauzenstein in einem stillen, ringsum von Wäldern umschlossenen Tal, das andere, weithin die Gegend beherrschend, am Rande eines großen Dorfes auf einem der Ausläufer des Bayerischen Waldes. In dieser ländlichen Einsamkeit wuchs der Knabe mit seinen Geschwistern heran. Willkommene Abwechslung brachten Wagenfahrten in das benachbarte Regensburg und längere, mehrere Monate währende Besuche bei der Großtante in München. Hier wurde der kleine Hugo wiederholt zum Prinzen Adalbert, dessen Altersgenosse er war, eingeladen. Bei diesen Besuchen in München begegnete er auch dem um 7 Jahre älteren späteren Prinzregenten Luitpold von Bayern, welcher dem kleinen Knaben auf das freundlichste entgegenkam.*)
*) In der 1911 erschienenen Festschrift zum 90. Geburtstag des Prinzregenten Luitpold erinnert der Graf an diese in die Jahre 1833 oder 1834 fallende Begegnung.
Zur Erziehung, die die Eltern leiteten, wurde ein Hofmeister herangezogen. In dessen Händen lag auch der Vorbereitungsunterricht für die Lateinschule. Im Herbste 1840 bezog der junge Graf die Lateinschule. Wie ernst es die Eltern mit der Ausbildung ihrer Kinder nahmen, geht daraus hervor, daß sie nun ihren Wohnsitz nach Regensburg verlegten; nur die Ferien wurden in Hauzenstein zugebracht. In Regensburg wohnte die Familie in einem geschichtlich merkwürdigen Hause, welches unter anderm auch Überreste aus der Römerzeit barg, einem ehemaligen Kanonikalhofe, gegenüber der Südseite des Domes. An das Haus lehnte sich die Wallfahrtskapelle Mariä-Läng. Der junge Graf Hugo konnte auf Grund des genossenen Vorunterrichtes gleich in die 3. Klasse eintreten. Über seine Fortschritte in den Studien geben die Jahresberichte der Studienanstalt genaue Auskunft. Der Graf machte seinem Stande alle Ehre; er war die ganze Zeit über, in der er die Lateinschule und das Gymnasium besuchte, ein tüchtiger Schüler und zwar rückte er, je länger er an der Studienanstalt verweilte, desto weiter vor, trotzdem er, wie der Bericht ausdrücklich erwähnt, in der 4. Lateinklasse und in der 1. Gymnasialklasse durch Krankheit im Studium behindert wurde. In den drei letzten Jahren hatte er unter allen Schülern seiner Klasse den zweiten Fortgangsplatz inne. Er errang sich so manche Preise; wiederholt war er auch Preisträger in der Geschichte, so im letzten Jahre seiner Gymnasialstudien. In diesem Jahre wird er auch des Preises aus der Religion für würdig erklärt. Das Absolutorium machte er mit Auszeichnung. Mit gediegenem Wissen und gefestigtem Charakter ausgerüstet verließ er 1846 das Gymnasium. Noch heute erregt sein großes Wissen im Lateinischen das Staunen der jüngeren Generationen. Die Studienanstalt, die der Graf besuchte, ist das jetzige Alte Gymnasium, das 1811 durch die Vereinigung des Jesuitengymnasiums zu St. Paul (1589-1811) und des protestantischen Gymnasium poeticum (1538-1811) unter Dalberg neu organisiert wurde. Das Schulhaus, die jetzige Kreisbibliothek, würde modernen Ansprüchen auf Licht und Luft wenig genügt haben. Trotzdem hat die alte Generation viel geleistet.
Im Herbste des Jahres 1846 bezog der Jüngling die Universität München. Es war die Zeit der Wirren, die den bedeutenderen des Jahres 1848 vorausgingen und zur Entlassung des Ministers Abel führten. Mit Spannung verfolgte er die politischen Ereignisse, ließ sich aber durch sie von seinen Studien nicht abhalten. Er hörte Vorlesungen bei den damaligen Größen der Universität, wie Görres, Lassaulx, Deutinger, Sepp, Thiersch, und bei dem Historiker Höfler. Er trat zu diesen Männern auch in persönliche Beziehungen und besitzt von manchen dieser Lehrer Stammbuchblätter. 1847 ging er zur Fortsetzung seiner Studien nach Wien. Während er in München Philosophie studierte, schrieb er sich jetzt als Student der Rechte ein. In Wien war aber seines Bleibens nicht lange. Als die Revolution ausbrach und auch an der Universität alles drunter und drüber ging, verließ der konservativ gesinnte, gewaltsamen Neuerungen abholde Student die unruhige Stadt und begab sich nach Bonn. Auch hier sollte er nicht lange den Musen dienen können. Der Aufstand der Italiener gegen die habsburgische Herrschaft rief ihn zu den Waffen.
Im Frühjahr 1849 trat er als Kadett beim damals rühmlichst bekannten 10. Jägerbataillon ein. Nach wenigen Tagen mußte er ins Feld. Alsbald nahm er an der Einnahme von Bologna, welches in den Händen des Feindes war, teil. Dann ging es an die Bezwingung der starken Festung Ancona. Hier bot sich dem jungen Krieger Gelegenheit zu besonderer Auszeichnung. Durch einen nächtlichen Überfall hatte sich die Kompagnie, bei der er stand, eines wohl verbarrikadierten Vorortes von Ancona bemächtigt. Hiebei waren die zwei Leutnante der Kompagnie verwundet worden und von den Offizieren nur der tapfere Hauptmann unversehrt geblieben. In den Morgenstunden unternahm der Feind einen Gegenangriff, wobei der Hauptmann tödlich verwundet wurde. Die hierdurch entstandene Unordnung ermöglichte es dem Feinde, das Dorf wieder zu besetzen. Da nun warf sich der junge Kadett unter die Jäger und forderte sie auf, den Feind wieder zu vertreiben und den Hauptmann zu rächen; alsbald folgte ein Dutzend tapfere Jäger der Aufforderung und es ging wieder gegen den Feind, der nach kurzem Kampfe trotz seiner Überzahl vertrieben wurde, so daß der Ort nunmehr im Besitze der Angreifer verblieb.
Die Anerkennung dieser tapferen Tat blieb nicht aus. Schon am nächsten Tage kam der kommandierende General ins Biwak der Jäger, belobte sie wegen ihrer Tapferkeit und zeichnete den jungen Kadetten für seinen Mut und seine Geistesgegenwart durch Verleihung der silbernen Tapferkeitsmedaille aus. Nach einigen Wochen fiel die Festung.
Mittlerweile war Graf Walderdorff unter Beförderung zum Leutnant zum Regiment Heß versetzt worden, das damals in Triest lag, wohin er alsbald auf einem dahin abgehenden Kriegsschiffe einrückte. Hier sollte er außer Aufruhr und Krieg noch eine andere Plage der Menschheit kennen lernen, so daß er der schönen Stadt, auf deren malerischer Burg er Dienste tat, nicht froh werden konnte. In Triest wütete nämlich während seines Aufenthaltes die Cholera und raffte viele Opfer auch unter den Soldaten hinweg. Im Winter 1849/50 kam das Regiment nach Dalmatien. Seine Kompagnie lag in Sign‚ bei Spalato. Doch war er nur kurze Zeit bei der Kompagnie und hatte meist selbständige Grenzkommandos. Der Aufenthalt in diesem herrlichen Lande, von wo aus er auch das damals noch zur Türkei gehörige bosnische Land besuchte, gehört zu den angenehmsten Erinnerungen des Grafen. In der Schrift, in der er die Frage, ob die Römer eine Niederlassung auf dem linken Ufer der Donau bei Regensburg hatten, in dem Sinne beantwortet, daß ein Marktverkehr zwischen den Römern und Barbaren vermutlich in der Gegend von Weichs stattgefunden habe, schildert er anschaulich einen derartigen Marktverkehr zwischen den Dalmatinern und den damals noch türkischen Bosniaken, den er oft zu überwachen hatte. Ende 1850 wurde er nach Wien berufen. Dort wurde er zur Kriegsschule kommandiert und war dann mit Unterbrechungen bis zum Jahre 1856 im Generalstab tätig, wo er als Oberleutnant aus der Armee schied, um nach dem Vorbild des Vaters und der Gepflogenheit vieler Adeligen den Grundbesitz der Familie zu verwalten. In diesem Jahre vermählte er sich (in Wien am 15. Januar) mit Amalie Gräfin von Podstatzky-Liechtenstein. Sein Vater überließ ihm Hauzenstein als Wohnsitz und siedelte selbst nach Kürn über.
So kehrte er nach 16 Lehr- und Wanderjahren als fertiger Mann für dauernd in die Heimat zurück. Hier widmete er der Landwirtschaft seine volle Kraft. Die ausgedehnten Besitzungen nahmen den größten Teil seiner Zeit in Anspruch. Durch diese Tätigkeit erwarb er sich das Vertrauen der Landwirte des Bezirks Regenstauf. Daher beriefen ihn diese auch in den siebziger Jahren an die Spitze des dortigen Landwirtschaftlichen Vereins. In der Zeit von 1857-1867 schenkte dem Grafen seine Gattin 7 Kinder, 3 Söhne und 4 Töchter; von letzteren verstarben 3 in früher Kindheit. Während die beiden älteren Söhne nach Abschluß ihrer Studien sich der Landwirtschaft zuwendeten, widmete sich der jüngste, Kanonikus Dr. Graf Franz von Walderdorff, nach dem Vorbild vieler seiner Ahnen dem geistlichen Stande und steht z. Z. einer Pfarrei in München mit dem Sitz in Nymphenburg vor. Der älteste Sohn, Graf Wilderich, ein um das Fischereiwesen und auch sonst sehr verdienter Mann, starb leider am 21. Februar 1910. Die einzige noch lebende Tochter, Gräfin Amalie, blieb stets bei ihrem Vater. 1893 übernahm der zweitälteste Sohn, Graf Leopold, die Güter, die bis dahin dessen Bruder Wilderich verwaltet hatte, während der Vater, von den Geschäften zurückgezogen, zeitweise in Feldkirch (Vorarlberg) lebte. Nach längerer Abwesenheit kehrte er wieder in die Heimat zurück um im Kreise der Seinigen den Lebensabend hinzubringen. Die eine Hälfte der Woche pflegte er bis in die letzte Zeit in Hauzenstein, die andere in Regensburg zu verleben. Der Weltkrieg, der so viele einschneidende Veränderungen brachte, hat auch in sein Leben insofern störend eingegriffen, als er den Aufenthalt in Regensburg wegen mancher Unbequemlichkeiten auf das Notwendigste beschränken muß. Im stillen Hauzenstein erfreut sich der ehrwürdige Greis seitens der gräflichen Familie liebevoller Pflege und eine zahlreiche Enkelschar, um deren Wohlergehen er als gütiger Großvater treulich besorgt ist, verhindert, daß es ihm zu einsam wird.
Die Tätigkeit des Grafen im Dienste der vaterländischen Geschichte.
Das Geschlecht der Walderdorff gehört dem rheinischen Uradel an. Seine Stammreihe beginnt mit Wilderich von Walderdorff um 1300. Die Reichsfreiherrenwürde wurde ihm 1663, die Reichsgrafschaft 1767 verliehen. Im Speisesaale des Schlosses zu Hauzenstein hängt unter den Ahnenbildern das Porträt manches bedeutenden Mannes. Zur Zeit des Kaisers Leopold I. war ein Freiherr Wilderich von Walderdorff Fürstbischof von Wien. Er vereidigte als Reichsvizekanzler 1664 die Bürgerschaft von Regensburg auf diesen Kaiser. Johann Philipp von Walderdorff war von 1756 bis 1768 Kurfürst von Trier und dessen Bruder Adalbert war Fürstabt von Fulda. Dessen Neffe, ein Großoheim unseres Grafen, Philipp Wilderich Graf von Walderdorff, war der letzte Fürstbischof von Speyer. Die bloße Zugehörigkeit zu einem alten Geschlechte läßt eine große Empfänglichkeit für Geschichte voraussetzen. Dazu kam, daß die väterlichen Schlösser und das Wohnhaus zu Regensburg im Schatten des hohen Domes voller Erinnerungen an das Altertum waren. Ferner ist Regensburg, die Stadt, in der der Graf seinen Gymnasialstudien oblag, noch heute eine der altertümlichsten in Deutschland und auf Schritt und Tritt wird der Besucher an große freudige und traurige Ereignisse der deutschen Geschichte gemahnt. Auf diesem Boden gedieh der Sinn des Grafen für die Vergangenheit. Diese Freude an der Geschichte behielt der Graf auch in einer Zeit, wo Gefahr bestand, daß er als Gutsbesitzer über den Sorgen des Alltages die Beschäftigung mit den Wissenschaften vergesse. Kurz nach seiner Übersiedelung nach Hauzenstein trat er dem historischen Verein für Oberpfalz und Regensburg bei. In dem Jahresbericht des Vereins für die Zeit vom letzten April 1854 bis 1. Mai 1857 ist er unter den in dieser Zeit neu eingetretenen Mitgliedern aufgeführt. Seine rege Mitarbeit im Verein hatte zur Folge, daß er am 26. November 1868 zum Vorstand für das Jahr 1869 gewählt wurde. Er blieb es bis zum 3. April 1882, wo er wegen Übersiedlung nach Vorarlberg das Amt niederlegte. Für den Verein war dies ein schwerer Schlag. Umso freudiger wurde er bei seiner Rückkehr aus Vorarlberg begrüßt. In dem 1896 erschienenen Bericht über die vorausgegangenen Vereinsjahre heißt es: „Ein wesentlich belebendes Ereignis bildete die Rückkehr des langjährigen früheren Vorstandes, Herrn Hugo Grafen von Walderdorff, nach Regensburg.” Am 23. April 1895 wurde er zum Ehrenmitglied des Vereines ernannt. Im Mitgliederverzeichnis vom 1. Oktober 1899 ist der Graf wieder unter den Ausschußmitgliedern aufgezählt. Als die Stelle des Vorstandes durch den Tod des Archivrates Dr. Will sich erledigte, wurde der Graf am 21. Dezember 1905 wieder an die Spitze des Vereines berufen. Trotzdem er fast 80 Jahre zählte und damit ein Alter erreichte, das ein Volksreim aus dem 15. Jahrhundert als ungewöhnlich bezeichnet („70 Greise, 80 aus der Weise“), entzog er sich dem ehrenvollen Rufe nicht. Gottes Gnade hat es gefügt, daß nun seine zweite Amtsführung fast ebenso lange währt wie seine erste.
Während seiner Zugehörigkeit zum Vereine hat er eine Fülle von Arbeit geleistet und einen großen Teil seines Lebens dem Verein zum Geschenk gegeben. Seine Arbeit ist umso verdienstlicher, als die Geschäfte des historischen Vereins ehrenamtlich versehen werden und materielle und andere Opfer fordern. Wie viel Zeit nimmt die Vertretung des Vereins nach außen und die Erledigung des Briefwechsels mit den Behörden, mit Geschichtsfreunden, die Rat und Aufschluß und Literaturangaben erbitten, usw. in Anspruch! Welche Mühe hat Graf Walderdorff auf Ordnung und Vermehrung der Sammlungen verwendet! Auch an den Vortragsabenden, die der Graf bis in die allerletzte Zeit leitete, hat er nicht selten Vorträge gehalten, so noch im Winter 1916/17. Wiederholt hat er bei Führungen die Erklärung übernommen und bei Grabungen in Regensburg und auswärts weder Mühen noch Kosten gescheut um der Wissenschaft zu dienen. Mit Entschlossenheit und Schärfe ist er denen entgegengetreten, die durch private Grabungen den Rechten des Vereines Abbruch taten und damit Geschäfte zu machen suchten. Neben vielen anderen verdienten Männern ist es auch ihm zu verdanken, daß die Bodenaltertümer Bayerns durch den Antrag Reeb-Lerno (1908) unter gesetzlichen Schutz gestellt wurde. Unermüdlich ist er in Wort und Schrift für die Erhaltung alter Kunstdenkmäler eingetreten. Gegen diejenigen, die leichten Herzens solche Denkmäler, z. B. die Steinerne Brücke, preisgeben wollen, findet er scharfe Worte. Bei der jährlichen Herausgabe und Versendung des Vereinsbandes hat er immer die Hauptarbeit geleistet.
Da er durch kein Amt gebunden war, hat er auch noch Zeit zu ausgedehnter Literarischer Tätigkeit gefunden. Der Höhepunkt seiner schriftstellerischen Tätigkeit fällt in die Zeit des beginnenden Greisenalters. Wie ein Blick in die Liste seiner Schriften zeigt, zerfallen diese in solche, welche mit der Geschäftsführung des Vorstandes in engem Zusammenhange stehen, und in rein wissenschaftliche. Zu den ersteren gehören die ausführlichen Jahresberichte über alle wichtigen Vorkommnisse im Vereinsleben, die der Graf bald mit bald ohne Mitarbeiter erstattete. Besondere Beachtung verdient jener über die 1869 in Regensburg abgehaltene Generalversammlung des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsfreunde, wo die Ergebnisse der Beratungen mitgeteilt werden. Diese sind jetzt vielfach schon überholt, jedoch die von dem Grafen damals vertretene und allgemein gebilligte Ansicht, daß nicht bloß der obere sondern auch der untere Teil des sog. Römerturmes mittelalterlichen Ursprungs sei, besteht noch heute zu Recht. In diesem Zusammenhange sind Nachrufe auf verdiente Mitglieder und Förderer des Vereines zu erwähnen. Unter ihnen ragt das umfangreiche (mehr als 300 Seiten starke) Lebensbild von Joseph Rudolf Schuegraf hervor. Hiermit hat er dem ungemein fruchtbaren Schriftsteller ein würdiges Denkmal gesetzt. Recht dankenswert ist die Zusammenstellung der sämtlichen Veröffentlichungen dieses Historikers. Es sei hier auch jene Stelle erwähnt, wo (S. 221) sich der Graf mit scharfen Worten gegen das Vorkommnis wendet, daß 1850 und 1851 die alten im Erdgeschoß des k. Bibliotheksgebäudes aufgespeicherten Archivalien des Hochstiftes, der Reichsstadt, von St. Emmeram usw. als Makulatur versteigert wurden.
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Die rein wissenschaftlichen Schriften des Grafen befassen sich fast ausschließlich mit der Heimatgeschichte, entsprechend der vornehmsten Aufgabe, die dem Historischen Verein bei seiner Gründung im Jahre 1830 gestellt wurde. Die meisten wurden in den jährlich erscheinenden Verhandlungen des Historischen Vereins von Oberpfalz und Regensburg (VO.) veröffentlicht. Der Graf fand ein dankbares Arbeitsfeld. Der Sinn für die Heimatgeschichte war zwar in der alten Reichsstadt immer rege geblieben, aber Wahrheit und Irrtum waren in der Überlieferung oft vermengt; da galt es die Spreu von dem Weizen zu sondern. Graf Walderdorff wandte hier als einer der ersten mit Erfolg die Grundsätze von Niebuhr und Ranke an und kam so vielfach zu neuen Ergebnissen. Wenn er manches, was bisher als geschichtliche Tatsache geglaubt wurde, in den Bereich der Fabel verwiesen, so mag er bei dem herrschenden Zeitgeschmack nicht immer das nötige Verständnis gefunden haben.
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Die literarische Tätigkeit des Grafen ist also nicht die des Liebhabers, vielmehr vom wissenschaftlichen Standpunkt aus vollwertig, wiewohl er auf der Universität, wenn er auch manche ebenso interessante als lehrreiche geschichtliche und kunstgeschichtliche Kollegien belegt und besucht hatte, Geschichte nicht als Spezialfach betrieb, sondern sich das wissenschaftliche Rüstzeug durch Selbststudium aneignete. Die verdiente Anerkennung ist ihm auch von den Vertretern der Wissenschaft nicht versagt worden. Die Besprechungen seiner Schriften, namentlich seines Hauptwerkes, zeigen hohe Achtung vor seinem Wissen und den Ergebnissen seiner Forschung. Die nach ihm auf verschiedenen Gebieten der Heimatgeschichte tätig waren, erkannten dankbarst seine wertvolle Arbeit an. Die Römisch-Germanische Kommission des Kais. Archäologischen Instituts in Berlin, Rom und Athen ernannte ihn zum korrespondierenden Mitglied nach seiner Veröffentlichung über die Römerbauten auf dem Königsberge und die Historischen Vereine von Niederbayern und von Vorarlberg zum Ehrenmitglied. Die Stadtgemeinde Regensburg hat ihrem Geschichtsschreiber den schuldigen Dank dadurch zum Ausdruck gebracht, daß sie eine Straße nach ihm benannte. Die höchste Auszeichnung ist die Ernennung zum Mitglied der K. Preuß. Akademie der Wissenschaften.
Die Skizze eines reichen Lebens ist fertig. Es ist köstlich gewesen; denn es ist Mühe und Arbeit gewesen. Nahe ist der Tag, wo sich das 90. Jahr vollendet. Wie ein Denkmal der Vorzeit, in die er seinen Geist so gerne versenkte, ragt der ehrwürdige Greis in die Gegenwart herein. In ungewöhnlicher körperlicher und geistiger Frische erwartet er seinen Ehrentag. Der furchtbare Ernst der Gegenwart verbietet laute Feste.
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Möge es ihm vergönnt sein, im Kreise der Seinen und im Dienste der Wissenschaft noch recht lange sich der körperlichen und geistigen Rüstigkeit zu erfreuen, die ihm der gütige Gott bis jetzt beschieden hat!
Möchten die trüben Wetterwolken des Weltkrieges, die auch seinen Lebensabend verdunkeln, sich bald zerteilen, und ihm tröstliche Abendröte leuchten!
Möchten an jenem Tage, wo die Friedensglocken läuten, die vier Enkel, die im Kampfe gegen Feinde stehen, unversehrt in die Heimat zurückkehren zur Freude ihres hochbetagten Großvaters!
Das walte Gott!
Quelle: Der Geschichtsschreiber von Regensburg. Festschrift zum 90. Geb. v. Hugo Graf v. W., Dr. Hermann Nestler. Sekretär des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg. 1918.