Der „Kulturkampf“.
Die bayerische Geschichte ist mehr als tausend Jahre maßgeblich beeinflußt durch den Konflikt des deutschen Kaisertums mit dem römischen Papsttum, für welchen sich im 19. Jahrhundert der Begriff des Kulturkampfes zu einem geflügelten Wort entwickelte.
Geprägt wurde dieser Begriff im Jahre 1873 durch den Arzt Rudolf Virchow. Er gebrauchte dieses Wort als Abgeordneter der Fortschrittspartei, als er am 17. Januar 1873 in der 28. Sitzung des Abgeordnetenhauses des preußischen Landtages zu den von der Regierung vorgelegten sogenannten „Maigesetzen“ Stellung nahm, welche die Emanzipation des Staates verfolgten.
Es handelte sich bei diesem „Kulturkampf“ um die Verselbständigung des Staates gegenüber der Kirche, deren letzte Folgerichtigkeit die Trennung von Kirche und Staat ist, wie sie in Frankreich und den USA bestand und de jure heute noch besteht. Virchow nannte es „Kulturkampf“, weil die europäische Kultur seit der Verchristung der europäischen Völker von der Kirche her bestimmt und von dem aus dem Orient hervorgegangenen Christentum beeinflußt worden war. „Was uns interessiert, das ist die Freiheit der individuellen, religiösen Überzeugung oder des religiösen Glaubens. Denn die Hierarchie hat zuletzt keinen anderen Zweck als den Selbstzweck.“
Rudolf Ludwig Carl Virchow
Er erläuterte den Begriff dann noch einmal in seiner Rede am 16. Oktober 1876 zu Magdeburg. Virchow sagte, daß es sich nicht um einen religiösen Kampf handle, nicht um einen konfessionellen Kampf, sondern daß hier ein höherer, die ganze Kultur betreffender Kampf vorliege, ein Kampf, der von diesem Standpunkte aus weiter zu führen sei.
Aus jenen Erklärungen wird ersichtlich, daß es sich bei diesem „Kulturkampf“ um einen Kampf für die Glaubens- und Gewissensfreiheit handelt. Da aber die Kirche – zumal die katholische Kirche – eine solche Glaubens- und Gewissensfreiheit grundsätzlich nicht duldet, muß es notwendig überall dann und dort zu einem solchen „Kulturkampf“ kommen, wenn und wo der Staat diese Freiheit für seine Bürger fordert und sich für zuständig erklärt, diese Freiheit zu gewähren und gegen kirchlichen Einspruch zu schützen.
Der englische Historiker Henry Thomas Buckle (1821 – 1862) hatte bereits in seiner aufsehenerregenden „History of Civilisation in England“ zu diesen für die Kultur und die Staatsführung so entscheidenden Fragen geschrieben:
„Ein sorgfältiges Studium der Geschichte der religiösen Toleranz wird zeigen, daß sie in jedem christlichen Lande, wo man sie angenommen, der Geistlichkeit durch das Ansehen der weltlichen Stände aufgezwungen wurde. Noch heutigen Tages ist sie bei den Völkern unbekannt, wo die geistliche Macht stärker ist als die weltliche. Eine vermehrte Macht der Geistlichkeit verträgt sich nicht mit den Interessen der Zivilisation. Wenn daher eine Religion die Notwendigkeit einer solchen Vermehrung zu einem Glaubensartikel erhebt, so wird es die ernstliche Pflicht jedes Freundes der Menschheit, alles zu tun, was in seiner Macht steht, entweder diesen Glauben zu zerstören, oder wenn das nicht gelingt, die Religion selbst über den Haufen zu werfen.“
Dem halten deutsche Jesuiten folgende Auffassung entgegen:
August Lehmkuhl: „Die katholische Kirche hält fest und hat es in der Neuzeit durch mehrere Päpste in feierlichen Erlassen ausgesprochen (Gregor XVI. Mirari vos vom 15. August 1832, Pius IX. Quanta cura vom 8. Dezember 1864), daß es eine irrige, verkehrte, ja wahnwitzige Behauptung sei, die der schmutzigen Quelle des Indifferentismus entstammt, wenn man als das jedem Menschen eigene Recht die Gewissensfreiheit proklamiert.“
Laurentius: „Gewissensfreiheit in dem Sinne, daß es der Willkür des einzelnen anheimsteht, Gott zu verehren oder nicht, ist, ebenso wie der religiöse Indifferentismus, der kirchlichen Lehre zuwider.“
Wo sich zwei so gegensätzliche Auffassungen gegenüberstehen und von zwei Machtgruppen vertreten werden, muß es zu einem Kampf kommen.
Ein solcher Kampf ist aber nicht erst im deutschen Reich unter Bismarck entbrannt, sondern dieser Kampf – wenn man ihn allgemein als Kampf zwischen Kirche und Staat auffaßt – durchzieht die ganze abendländische Geschichte, seit sich die Kirche zu einer Macht neben dem Staat organisiert hatte.
In Deutschland begann dieser Kampf bereits um das Jahr 800 unter Karl dem Großen. Dieser Kaiser war dem Klerus aus politischen Gründen sehr weit entgegengekommen. Er sah sich jedoch bald genötigt, in einer seiner Kapitularien zu rügen, daß sich die Geistlichen in die weltlichen Angelegenheiten einmischten. Es begannen hier bereits Streitigkeiten zwischen den Staatsbeamten und den Kirchenbeamten über ihre Zuständigkeiten. Leopold v. Ranke schreibt: „Die Monarchie Karls des Großen schien sich in einen geistlichen Staat umwandeln zu wollen. Ich fürchte nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß es besonders die Deutschen waren, welche dieser Entwicklung entgegentraten; ja, daß ihr nationales Bewußtsein eben an diesem Widerstande erwachte.“
Im Mittelalter – um das Jahr 1000 – war der Papst als römischer Bischof nur der primus inter pares, ein Erster unter Gleichen. In Deutschland war er nur repräsentativ wirksam und hatte keinerlei Vorrechte, geschweige denn politischen Einfluß. Der Papst trat nur bei der traditionellen Krönung des deutschen Königs zum römischen Kaiser handelnd hervor. Auf den Synoden – selbst auf der römischen Synode – hatte der Kaiser bzw. der König die entscheidende Stimme. Papst Benedikt VIII. (1011-1024} nennt den deutschen Kaiser Heinrich II. (1002- 1024) in der Urkunde für das Kloster Farfa gar seinen Herrn (imperatoris Henrici domini nostri). Der Papst erbat jeweils vom Kaiser die Bestätigung der Synodalbeschlüsse. Am 6. Oktober 1028 trat die Vorherrschaft des Kaisers auf der Tagung zu Pöhlde deutlich in Erscheinung, indem der Kaiser Konrad II. (1024- 1039) einen rein kirchlichen Bischofsstreit schlichtete und die Bistumsgrenzen festsetzte.
Zweifellos hatte diese Unterwerfung des Klerus unter die Herrschaft des Königs politische Gründe. Man bedurfte seines Schutzes. Das bezog sich nicht nur auf das militärische Gebiet, sondern die zerspaltenen Adelsparteien in Rom unterstützten je nach Vorteil und Bedarf die moralisch und geistig verkommensten Päpste. Der Sprecher der römischen Signoren bestätigte dem deutschen König Heinrich III. (1039 – 1056) das Recht, die Päpste einzusetzen.
Diese Lage ist zu beachten, um Bismarcks Absichten zu würdigen und richtig einzuschätzen. Er sagte nämlich zur Begründung der Kirchengesetze am 10. März 1873 im preußischen Herrenhaus: „[…] es handelt sich um die Verteidigung des Staates, es handelt sich um die Abgrenzung, wieweit die Priesterherrschaft und wieweit die Königsherrschaft gehen soll, und diese Abgrenzung muß so gefunden werden, daß der Staat seinerseits dabei bestehen kann. Denn in dem Reiche dieser Welt hat er das Regiment und den Vortritt.“ Als Kanzler des neuen deutschen Reiches wollte er also nur die von den Päpsten den Königen des alten deutschen Reiches zugebilligten Rechte wiederherstellen und – was damals nicht geschah – richtig abgrenzen. Aber diese Auffassung widersprach den Forderungen der inzwischen übermächtig gewordenen Kirche.
Der Jesuit Chr. Pesch erklärte: „Die Kirche hält an dem Satz fest, daß im Falle eines durch gütlichen Vergleich nicht beizulegenden Konfliktes zwischen Staat und Kirche nicht dem Staate, sondern der Kirche der Vorrang zuerkannt und ihre Gesetze beobachtet werden müssen“. Und der Jesuit v. Hammerstein behauptete: „Irgendwelche Superiorität der Kirche über den Staat ist nicht zu bezweifeln; dagegen ist jedes Hoheitsrecht des Staates über die Kirche nichts als eine rechtswidrige Usurpation“.
Vergleichen wir diese Verlautbarungen aus dem 19. Jh. mit denen des 11. Jh., so sehen wir deutlich, wie sich die Auffassungen der Kirche geändert haben. Das beweist aber: Nicht der Staat hat den sog. „Kulturkampf“ begonnen, sondern die Kirche, indem sie die tatsächliche und traditionelle Vorherrschaft des Staates zu bestreiten begann.
Ein sog. „Kulturkampf“ besteht also aus verschiedenen Elementen. Zum einen ist es die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die in einem solchen Kampf erreicht oder erhalten werden soll. Zum anderen sind es die Hoheitsrechte des Staates, welche gegen die Ansprüche der Kirche verteidigt oder errungen werden sollen. Diese Hoheitsrechte des Staates wurden durch die Errichtung des Papsttums im Lauf der Geschichte wachsend bedroht. Im Papsttum verknüpfte sich das römische Cäsarentum mit den christlichen Glaubensvorstellungen zu einer Macht, welche den Anspruch auf die Weltherrschaft erhob.
Während die neuzeitliche Eskalation des Konfliktes zwischen Papst- und Kaisertum seinen Anfang im Königreich Bayern der 1860er Jahre nahm und von Minister Lutz am 23. November 1871 auf Reichsebene getragen wurde, sorgte mit Otto von Wittelsbach der spätere Herzog von Bayern bereits im 12. Jahrhundert für ein erstes Aufsehen.
Von allen Seiten angegriffen, ließ sich jetzt der Cardinal Roland zu solcher Heftigkeit fortreißen, daß er die Frage herausstieß: „Von wem hat denn der König das Reich (imperium, abermals ein zweideutiges Wort, das ebenso das Reich wie das Kaiserthum bedeutet), wenn nicht vom Papste?“ Wie ein Blitz schlug diese Frage in die Versammlung ein. Kaum war das Wort den Lippen des Cardinals entfallen, als der Zorn der deutschen Fürsten von Neuem losbrach. Von ihren Sesseln aufspringend, schlugen sie empört an ihre Waffen und Pfalzgraf Otto von Wittelsbach, sich durch die übrigen Fürsten vordrängend, zog das Schwert. Mit den Worten: „Unverschämter Pfaffe,“ zischte das Schwert durch die Luft, um dem Cardinal den Kopf zu spalten.
Auszug aus „Deutsche Bilder/Nr. 3. Otto von Wittelsbach und die päpstlichen Legaten zu Besançon“
Mit dem Beginn des Deutsch-Französischen Krieg trat die Auseinandersetzung um das vatikanische Konzil und das Dogma von der lehramtlichen Unfehlbarkeit des Papstes, welche seit 1868 die katholische Welt in Atem hielt, in den Hintergrund.
Hatte Hohenlohe schon 1869 versucht, die europäischen Kabinette gegen das neue Dogma „scharfzumachen“, und war der Kultusminister Lutz schon im Sommer 1870 entschieden gegen die Verkündigung der vatikanischen Beschlüsse aufgetreten, so mußte jetzt nach Kriegsende der Kirchenkonflikt offen losbrechen.
Eine entscheidende Stütze fand die Regierung dabei in Ignaz Döllinger. Wie es Döllinger schon als Knaben nicht so sehr um die Frömmigkeit, sondern um die Gelehrsamkeit gegangen war, so löste er sich als reifer Mann immer mehr von der alten, streng kirchlichen Richtung und wurde vom Gläubigen zum Kritiker, vom Theologen zum liberalen Historiker.
Seit 1863 war er einer der Wortführer gegen den Absolutismus in der Lehre vom Papstum, und er unterwarf sich auch nicht, als 1870 die päpstliche Unfehlbarkeit zum Dogma erhoben wurde. Rom antwortete mit der Exkommunikation. Gerade Döllingers Haltung wurde nun zum Ausgangspunkt der altkatholischen Bewegung, die unter den gebildeten Kreisen Münchens, aber auch im Allgäu und im Passauer Winkel wirklich Boden zu gewinnen schien. Aber Döllinger war kein Luther. Wie er sich von Anfang an gegen den formellen Abfall von Rom ausgesprochen hatte, verschloß er sich auch der altkatholischen Kirchengemeinschaft.
Er blieb ganz der kühle Gelehrte, der in der umfassenden Weite seines Wissens die Vereinigung der christlichen Bekenntnisse wollte, nicht ihre Trennung. Überhäuft mit äußeren Ehren, aber innerlich in einer tiefen, selbstgewählten Einsamkeit ist er 1890 gestorben.
Frei nach der Dokumentation „Das päpstliche Rom und das Deutsche Reich“ von Walter Löhde. Hans Pfeiffer Verlag. 1964.
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