Die Erkrankung Ludwigs II., welcher im Jahre 1886 der unerwartete Tod des Königs folgte, legte dem Prinzen Luitpold, dem Oheim des Königs und seines gleichfalls schwer erkrankten Bruders Otto, die schwere Pflicht auf, die durch die Verfassung vorgeschriebene Regentschaft zu übernehmen.
Prinz Luitpold, im Jahre 1821 als dritter Sohn Ludwigs I. geboren, war ganz im Geiste seines großen Vaters erzogen worden. Frühzeitig hatte er sich wissenschaftlichen und künstlerischen Studien gewidmet und diese durch umfassende Reisen gefördert und ergänzt. Mit Eifer und Verständnis hatte er sich in allen Zweigen des öffentlichen Lebens betätigt, als Berater seines königlichen Neffen Ludwigs I. in der Staatsverwaltung reiche Erfahrungen erworben und durch persönliche Teilnahme an den Feldzügen der Jahre 1866 und 1870 das Kriegswesen gründlich kennen gelernt, als ihm die Regentschaft in Bayern zufiel. Gewissenhaftigkeit und Treue waren im privaten wie im öffentlichen Leben die Grundzüge seines Wesens, und so wurde die lange Regierungszeit des trefflichen Fürsten für Bayern eine Zeit segensvoller Entwicklung und friedlicher Entfaltung. Kunst und Wissenschaft im Sinne seiner Vorgänger zu pflegen, alle Stände und Berufsarten in ihren Bestrebungen zu fördern, die im öffentlichen Leben hervortretenden Gegensätze zu mildern, Armut und Not zu lindern: dass waren die Ziele, die dem edlen Regenten als Richtschnur dienten und die ihn für alle seine Landeskinder zum Vorbilde einer schlichten, reinen, wahrhaftigen und herzenswarmen Natur erhoben.
Neben der selbstlosen Hingebung an seine Herrscherpflichten, neben der Arbeitsfreudigkeit, mit der er dem Wohle des Landes diente, bildete die treue deutsche Gesinnung, die warme Empfindung für deutsche Art und deutsche Größe einen Hauptzug im Wesen des Prinzregenten Luitpold. In festlichen und ernsten Stunden nahm er Anlaß zu zeigen, dass er treu festhalten wolle an der Einheit des Deutschen Reiches, daß er gerne mithelfen wolle, des Reiches inneren Ausbau zu vollenden und dessen Kraft und Ansehen zu festigen und zu heben. Mit Bayern trauerte deshalb das ganze deutsche Volk, als der edle Fürst am 12. Dezember 1912, wenige Monate vor der Vollendung seines 92. Lebensjahres, verschied.
Quelle: Bayerisches Realienbuch. Bearbeitet von Dr. Hans Reinlein, Oberlehrer in München Realienbuch Nr. 63, 171. bis 180. Gesamt-Auflage. Bielefeld und Leipzig 1915, Seite 148-149.