Schloß Herrenchiemsee auf Herreninsel.
Ludwig II., König von Bayern, der die erste Anregung der Einigung der deutschen Staaten zu dem jetzigen deutschen Reiche gab, war ein hochbegabter, wissenschaftlich gebildeter, kunst- und prachtliebender Fürst. Im 41. Lebensjahre, am 13. Juni 1886, fand er seinen Tod in den Wellen des Starnberger Sees. Während seiner Regierung ließ er Kunst- und Prachtbauten aufführen, die mehrere Millionen Mark kosteten. Zu diesen Kunst- und Prachtbauten gehören das Richard-Wagner-Theater in Bayreuth, die Prachtschlösser Herrenchiemsee, Neuschwanstein, Hohenschwangau, Linderhof und Marokko. Das kostbarste aller königlichen Schlösser in ganz Europa ist das „Zauberschloß“ Herrenchiemsee. Nachstehende Zeilen, lieber Leser, geben dir ein anschauliches Bild von demselben.
„In weltferner Einsamkeit, eingebettet in den jetzt gelichteten Urwald der etwa 600 Morgen großen Insel Herrenchiemsee, großartig und doch träumerisch, liegt das hohe Schloß am bayrischen Meere, wie Bayerns größter See, der malerische Chiemsee, genannt wird. Wie eine Luftspiegelung erscheint dem einsamen Wanderer der Prachtbau, der ihm aus einer Waldlichtung urplötzlich und urgewaltig entgegenspringt.
Der äußere Eindruck.
Der äußere Eindruck, soweit der Gesamtbau des Prachtschlosses gefördert ist, zeigt sich schon jetzt als ein imposanter. Das Mittelgebäude, eine Nachahmung des Versailler Schlosses, ist fertig und die Parkanlagen vor der Hauptfront sind der Vollendung nahe. Vor der 103 Meter langen Front des Mittelgebäudes dehnt sich ein riesenhaftes Plateau aus, von dem zwölf Marmorstufen von mindestens 150 Meter Länge zu zwei Bassins von je 500 Quadrat-Meter Flächeninhalt hinabführen.
Inmitten dieser mit karrarischem Marmor eingefassten Riesenbecken erheben sich zur Höhe von 15 Meter kleine Felsschichtungen, gekrönt von gegossenen Kolossalgruppen. Die Gruppe der Rechtsbassins ist eine Schicksalstragödie. Hoch oben thront auf mythischem Rosse eine geflügelte Göttin. Das Roß war ursprünglich auch geflügelt; aber bei den Kolossal-Dimensionen des Ganzen wog jeder Flügel neun Zentner, und das vermochte der Gesamtbau, besonders, wenn man die Fährlichkeiten bei starkem Winde erwog, nicht zu tragen. Rings um diese Figur ranken sich Gruppen aller Art, gegen das Schicksal anstürmende und von diesem teils freundlich aufgenommene, teils in die Tiefe geschleuderte Menschenkinder.
Die Felsbeschichtung scheint den gegossenen Figuren und Gruppen angepaßt; vom Gockel bis zur Krönung klettern und stürzen die Figuren, eine gewaltige einheitliche Kämpfergruppe darstellend, deren großartige Wirkung erst erprobt werden könnte, wenn die Bassins gefüllt und die den Versaillern an Großartigkeit nicht nachstehende Wasserwerke in Thätigkeit wären. Die Gruppe des Linksbassins stellt, in ähnlichem Aufbau, die Glücksgöttin mit dem Rade vor, und auch hier verschmilzt die Felstürmung und die Gruppierung der Figuren zu einem Gesamtbilde von überwältigender Wirkung. Rings um die Marmoreinfassung laufen je 16 sinnbildliche Figuren oder Gruppen in Bleiguß und echt vergoldet. Diese Vergoldung wirkt prächtig, aber zugleich befremdend; der Unterschied zwischen den schwarzen Bleigußgruppen in der Bassinmitte und dem gleißenden Goldschimmer der Statuen an der Umfassung ist ein zu starker. Wie Eingeweihte versichern, hätten demnächst auch die beiden Kolossalgruppen vergoldet werden sollen.
Der Marmorbrunnen.
Terrassenförmig geht es abwärts. Wieder einige Marmorstufen von bedeutender Breite, rechts und links leuchten abermals zwei Marmorbassins mit einem Druckwerk, das je einen Strahl von 45 Zentimeter Durchmesser auf 27 ½ Meter Höhe zu schleudern bestimmt ist. Den Abschluß nach der Frontseite gegen den See zu bildet ein wasserspeiendes Wunderwerk. Es ist das ein runder Riesen-Marmorbrunnen der sich in fünf Stockwerken, stets sich verjüngend, aufbaut. 72 Ungetüme von gewaltigen Ausdehnungen, Frösche, Schildkröten, Eidechsen, Drachen, dann Tierköpfe aller Art, alle echt vergoldet, speien ihre Wasser gegen die auf der obersten Etage thronende Marmorgöttin und zwar derart, daß die Statue, ohne selbst getroffen zu werden, in einen aus Wasserstrahlen gewobenen Schleier gehüllt erscheint. Links und rechts vom Schlosse her laufen haushohe Spaliere, mit wilden Wein teilweise umrankt und ziehen sich durch alle diese Gartenabteilungen als Schutzwehr gegen fremde Blicke bis hinab zum See.
An den fertigen Mittelbau, dessen Ausstattung alles übertrifft, was je an Pracht und Luxus geleistet wurde, schließt sich links ein Flügelbau von 157 Meter Länge an; dieser Flügel steht noch im Rohbau; zum rechten Flügel sind die Grundmauern in derselben Ausdehnung gelegt, ebenso sind die Anbauten meist im Rohbau begriffen — heute lauter Wracks von ungeheuerlicher Kostspieligkeit! Mußte doch jeder Stein und jedes Stück Bauholz auf die einsame Insel geschafft, mußte doch den Moorboden mit unglaublichen Kosten erst die Fähigkeit gegeben werden, einen solchen Kolossalbau zu tragen.
Im Innern.
Mit Ehrfurchtsschauern betreten wir das Heiligtum. Schon die Vorhalle gibt einen Begriff von der Großartigkeit, die uns im Innern erwartet. Bis jetzt entbehrt sie noch immer des malerischen Schmucks, und die endlose Reihe schlanker Säulen aus kreideweißem Marmor aus Südtirol blickt uns gespenstisch an. Aber eine belebende Figur ist doch schon da: auf einem Sockel von buntem Marmor ein überlebensgroßer Pfau aus Bronzeguß, ein Wunderwerk der Pariser Technik. Jede Feder glänzt in natürlichen Farben. Das ist jedoch nur eine leise Vorbereitung zu dem Meer von Glanz und Farbe, das uns empfängt und berauscht, sobald wir das Treppenhaus betreten. Weiß und Gold sind die Grundtöne, und dazwischen lacht und leuchtet es in den entzückendsten Farben.
Da ist die Doppelreihe blendend weißer Marmorstufen der Freitreppe, da ist der bunte Marmor der Treppengeländer und Wandverkleidungen, da sind Wandgemälde und Decken Medaillons von wunderherrlicher und olympisch heiterer Farbentönung, da stehen Nymphen mit alabasterweißen Leibern, da plätschern aus der Wand hervorbrechende Quellen, da blitzen aus den Ecken die goldenen Zeichen des Königtums, da liegen Purpurläufer, die sich keines sterblichen Fuß zu betreten getraut — kurz, das ist, wie ein Berichterstatter sich ausdrückte — wie der Vorhof zum Himmel!
Und nun in den Himmel selbst! Thürfüllungen und Schwellen bestehen aus karrarischem Marmor, die Thüren sind geschnitzt und überreich vergoldet, Kapitäle und Knäufe der Säulen sind von Bronze und vergoldet.
Vom Treppenhaus geht’s zuerst in die großen Zimmer der Hatschiere, der bekannten, prächtig uniformierten Leibwache des Königs. Jeder dieser Säle hat einen Grundton: dieser erste ist blausammet mit Gold. Jeder Saal hat Deckengemälde, die den betreffenden Gemälden in den Zimmern des Versailler Schlosses nachgebildet sind. Nur reicht das Schloß des französischen Königs auch nicht entfernt an das seines Königlichen Verehrers und Nachbeters auf Bayerns Königsthrone heran, was sinnbethörende Pracht und unerhörten Luxus anlangt.
Säle der Hartschiere
Im Saale der Hartschiere stehen auf vergoldeten Gestellen 24‚ Hellebarden, die Griffe mit blauem Sammet überzogen und mit goldenen Nägeln beschlagen. Der Kamin ist hier, wie in den meisten Sälen, aus weißem oder farbigem Marmor unter Mitanwendung vergoldeter Bronze. Uhren, Statuen, Nippes, Vasen usw., meist von hohem Kunstwerte, einzelne Stücke oft ein kleines Vermögen darstellend, füllen, wie alle Säle, so auch diesen ersten. Gardinen und Portieren blausammet mit zollhoher Goldstickerei, Gardinenhalter und Fransen, alles von schwersten Goldschnüren. Decken und Wandgemälde sind kriegerischen Inhalts.
Im zweiten Saale der Hartschiere ist schon eine Zunahme des Prunks bemerkbar. Der Grundton ist Lila und Gold; Portieren und Gardinen sind noch reicher; dem lila Sammet der vergoldeten Bänke und Sessel sind goldene Linien aufgestickt. Die Kaminuhr ist ein Kunstwerk, das viele tausend Mark kostet, der Parkettboden zeigt entzückende Kunst und Pracht. — Und weiter geht’s in der Pracht, in den Prunksaal, dessen Grundton grün und gold ist. In den Sammet-Portieren und Gardinen erscheint die Goldstickerei bereits in einer Verschwendung, die hier schon jede annähernde Berechnung über den Kostenpunkt für den Laien unmöglich macht. Das Schaustück dieses prächtigen Saales ist eine in halber Lebensgröße gehaltene wunderherrliche Reiterstatue Ludwig XIV., dann eine in ihrer Kostbarkeit kaum beschreibbare Uhr von Lenoir in Paris. Wand- und Deckengemälde, ausschließlich von Münchener und Pariser Meistern, stellen lauter Verherrlichungen des französischen Ludwigs dar, meist den entsprechenden Versailler Gemälden nachgebildet.
Die Räume des Königs.
Wir kommen nunmehr zum Allerheiligsten, dem Schlafgemach, das aber weder vom Könige noch von sonst jemandem je als Schlafgemach benutzt worden ist. Eingeweihte behaupten, das ganze Schloss sei eigentlich nur eine Hülle oder eine Kapsel um dieses Allerheiligste; um dieses kostbarste aller auf Erden vorhandenen Bette herum habe der König das ganze Schloss gebaut. Wie ein Hochaltar erhebt sich das Riesenbett, von einem Baldachin überragt, in dem in Ponceau und Gold gehaltenen Prunksaal. Ein vergoldetes Geländer, verschließbar, sperrt das Bett vom übrigen Saal ab. Auf einer mit goldenen Sonnen reich bestickten Purpurdecke steht das schwer vergoldete, einer Riesentruhe vergleichbare Bett, das mit einer Goldbrokatdecke von unermesslichen Werte bedeckt ist, über die Goldbrokat-Gardinen von unschätzbarem Werte herabfallen.
Gobelins, wie sie kein Museum aufzuweisen hat, erheben sich am Kopfende. Die Zimmerdecke zeigt den Olymp, ein herrliches Gemälde, auf dem 3 Jahre lang der Sonnengott den Kopf König Ludwigs trug. Später musste derselbe durch den Kopf Ludwigs XIV. ersetzt werden. Der Reichtum des Toilettentisches, der aus Gold und Lapislazuli hergestellten Wasch- und Toilettengefäße, des Betstuhls und anderer Einrichtungsgegenstände übersteigt jeden Begriff, entzieht sich jeder Beschreibung.
Das Bett, wie ein Wissender mir mitteilte, hat allein 500.000 Mark und dieses eine Zimmer 2 ½ Millionen Mark gekostet. Die Wunderwerke der Seiden- und Goldstickerei stammen fast alle aus Münchener Ateliers. Man muss staunen, was der König alles für die Kunst getan hat!
Doch weiter: wir kommen ins Arbeitskabinett des Königs. Das ist hellblau mit Gold. Ein von der Königskrone überragter hellblauer Fauteuil (Armsessel) mit der bekannten reichen Goldstickerei steht vor einem Tische mit blauer Sammetdecke. Hier stand vor kurzem auch noch das massiv goldene Schreibzeug und die ganze goldene Garnitur.
Den Abschluß dieser einen Flucht von Prunkzimmern bildet die vielberufene Spiegelgalerie des Königs Ludwig, die jene des Versailler Schlosses nicht nur um fast sechs Meter an Länge übertrifft, sondern auch jede Vergleichung mit irgend einem andern Prunkgemach der Welt unmöglich macht. Hier ist die denkbar größte Pracht, hier ist mehr als königliche Verschwendung! — 2.500 Wachskerzen auf 52 Riesenkandelabern und 33 vergoldeten Kronleuchtern von unbeschreiblicher Pracht sollen diesen einzig in der Welt dastehenden Raum von 78 Meter Länge erhellen, und haben ihn bei Anwesenheit des Königs in der Tat erhellt. Diese Tausende von Lichtern spiegeln sich rechts in den neun Meter hohen 20 Spiegelscheiben von bedeutenden Ausdehnungen. Auch die Thüren sind aus geschliffenem Spiegelglas von mehr als Zolldicke. Münchener Künstler haben gewetteifert, in den Deckengemälden Meisterwerke ihrer Kunst — natürlich wieder Szenen aus dem Leben Ludwigs XIV. — zu geben.
An den nach den Wasserkünsten hinausführenden Fenstern stehen vergoldete Bronzevasen mit zwei Meter großen Öffnungen, die mit Blumen und Blattpflanzen zu füllen sind, dazwischen Aufsätze aus Zinkguß und Silber, sowie auf vergoldeten Postamenten die Marmorbüsten römischer Kaiser, alle aus ausgegrabenem antiken Buntmarmor, von einem römischen Künstler; jede Vase, jeder Aufsatz, jede Büste ein Kunstwerk, das Hunderte, vielleicht auch Tausende von Mark gekostet hat.
Nun betreten wir das Schlafzimmer Nr. II, das wirkliche Schlafzimmer des Königs. Dasselbe ist in blauen Sammet mit goldenen Sternen gehalten, das Bett ganz ähnlich wie das Paradebett im Schlafzimmer Nr. I, nur mehr dem praktischen Bedürfnis angepasst und nicht von so ganz gewaltiger Pracht. Auf einer vergoldeten Säule ruht eine riesige blaue Glaskugel, darunter das Nachtlicht. Der Gobelin über dem Kopfende des Himmelbetts stellt die Kreuzigung Christi dar; rechts vom Bett steht ein Betschemel und ein Weihwasser-Becken. Die Waschtoilette und die sonstigen Utensilien sind in Lapislazuli mit vergoldeter Bronze.
Vom Schlafzimmer führt eine Tapetenthür in den in rosa Seide gehaltenen Ankleide- und Toilettenraum, der das Entzückendste, was es als Prunkzimmer auf dieser schönen Welt geben kann. Rechts vom Schlafzimmer aus führt eine Wendeltreppe in das im Erdgeschoß gelegene Bad. Es ist dies ein runder Saal von heiterster Farbenhaltung. Das Bassin fasst nicht weniger als 72 Kubikmeter Wasser. Der Ankleideraum daneben hält sich in rosa Seide und hat einige Gemälde von hohem Kunstwert.
Aus dem Schlafzimmer Nr. II kommen wir in das Arbeitszimmer Nr. II, dessen Schreibtisch, eine Nachahmung des Schreibtisches Ludwigs XIV. ist und die Kleinigkeit von 60.000 Fr. gekostet hat. Die Ausstattung dieses Saales, der wieder Grün und Gold zeigt, leistet an Kostbarkeit das Unglaublichste; da sind unter anderem zwei Uhren, kleine Wunderwerke, von denen jede über 50.000 Mark gekostet hat.
Es folgt dann das Jagdzimmer, hellblau und Gold, das einige unschätzbare Stücke Meißener Porzellans enthält, und das in Purpur und Gold prangende Speisezimmer mit dem „Tischlein deck dich“. Der kostbare Speisetisch steht auf einer Versenkung. Ein Druck auf eine Feder genügt, der Tisch verschwindet geräuschlos und kommt ebenso geräuschlos aus der Tiefe des Anrichtezimmers, mit allen Delikatessen versehen, wieder zum Vorschein. Der Fußboden ist aus Rosenholz, und einige Ecktischchen sind Pariser Kunstwerke, die viele, viele Tausende gekostet haben. Der ovale Salon, dessen sämtliche Möbel aus herrlich duftendem Veilchenholz besteht, hat Wandgemälde und Thürfüllungen aus bemaltem Porzellan, lauter kleine Meisterwerke, und ist in Bezug auf die in weißer Seide gehaltenen Polster und Portieren von der denkbar größten Pracht.
Es folgt dann noch eine kleine Galerie mit Miniaturmalerei (eine Art Wassermalerei mit Gummifarben, die mit der bloßen Pinselspitze aufgetragen werden), und damit ist die Reihe der königlichen Prunkgemächer erschöpft. Ein paarmal hat der König im Laufe der jüngsten Jahre hier auf Tage oder Wochen geweilt; aber er wollte den Bau erst vollendet sehen, worüber noch Jahre vergangen wären und wozu, wenn des Königs Pläne hätten verwirklicht werden sollen, noch ungezählte Millionen erforderlich gewesen wären, und dann erst hätte er vielleicht in diesem ‚Zauberschloß‘ dauernden Aufenthalt genommen.” Der Gesamtbau soll bis jetzt 23 – 25 Millionen Mark gekostet haben.
Bearbeitet nach dem Berliner Tagblatt. Geographische Bilder. Darstellung des Wichtigsten und Interessantesten aus der Länder- und Völkerkunde. Nach den besten Quellen bearbeitet und herausgegeben für Lehrer und Lernende, sowie für Freunde der Erdkunde von U. Mauer. Erster Band. Vierzehnte Auflage. Langensalza, Schulbuchhandlung von F. G. L. Greßler. 1889. Seite 253-258.