Eine Betrachtung aus dem Jahr 1889.
Die Hochebene.
Auf einer weiten Hochebene gelegen ist München (260.000 Einw.) eine Oase in der Wüste. Die Gegend ist unfruchtbar und besitzt keinen schiffbaren Fluß, welcher Handel zwischen dem Hochlande und dem fruchtbaren Grunde des bayrischen Hauptstromes vermittelt. Die Alpen sind noch ziemlich weit entfernt und das Donauthal ist es nicht minder. Und dennoch müssen es sehr verwöhnte Augen sein, die hier nur eine traurige dürre Gegend sehen.
Wenn man die Sendlinger Höhe besteigt, von welcher das mächtige eherne Standbild der Bavaria weithin leuchtet, hat man eine wahrhaft entzückende Umschau. Rechts nach Süden erblickt man die kecken Spitzen der Alpen. Ihre gespenstigen Hörner ragen mächtig empor am blauen Horizont und ihr Schnee glänzt herüber. Die Unterberge legen sich in blauen Umrissen vor sie. Links nach Norden erstreckt sich die Stadt mit ihren Türmen, Kirchen und Palästen und ihren Häuserreihen. Dazwischen hebt allerwärts das Laubwerk seine grünen Zweige hervor. Und weiterhin an den Vorstädten entlang kommen wir zur Isar. Einem wilden, prächtigen, schäumenden Wasser, das mit opalgrüner Flut munter ins Land strömt. Wir wandern an den Ufern hin und gelangen unterhalb der Stadt in den englischen Garten. Diese vom Graf von Rumford angelegte Anlage bietet die herrlichste Vegetation, welche man sich vorstellen kann.
Auf dieser Strecke entwickelt das rechte Isarufer unbestreitbare Reize. Die Häuser und Gärten, die auf seinen Hebungen und Vertiefungen liegen, erscheinen durchaus malerisch und einladend. Ebenso einladend sind die vielen Straßen, die von einer Reihe Villen gebildet werden. Wohnlich und verlockend sehen diese aus den umgebenden Gebüschen hervor. Besonders hat München durch die Schöpfung der neuen Maximiliansstraße gewonnen. Mit dieser wurde der schönste Zugang zu seinem eigentümlichsten Naturreiz, der frischen, brausenden Isar, gebahnt. So wurde München endlich in die Möglichkeit versetzt, von den natürlichen Vorteilen seiner Lage Nutzen zu ziehen.
Der Kern der Stadt.
Wir sind hiermit aus der Umgebung der Stadt in den Kern gelangt. Fragen wir, wie es hier aussieht, so lautet die Antwort: das alte München hat sich sicherlich vor anderen deutschen Städten nicht besonders ausgezeichnet. Gerade in einer Zeit, wo die heutige Sauberkeit noch nicht herrschte, das Pflaster schlechter war und man weniger auf die gefällige Verputzung der Außenseite gab. Damals mögen die inneren Teile der Stadt mit ihren ziemlich winkeligen, nicht allzu breiten Straßen und hohen Giebelhäusern nicht den heitersten Eindruck gemacht haben. Es ist sogar keinem Zweifel unterworfen, daß damals Augsburg und vor allem Nürnberg die Hauptstadt Bayerns übertroffen haben. Dennoch besitzt das alte München einige ganz beachtungswerte architektonische Werke aus vergangener Zeit.
So erhebt sich die in spätem gotischen Stil um 1468 erbaute Frauenkirche recht stolz über die neue Königsstadt. Sie trotzt auch gewissermaßen den im kleinern Maßstabe angelegten Werken der neuen Baukunst. Ferner stolzieren die Theatiner- und Jesuitenkirche in den feierlichsten Formen bourbonischer Kunst. Ebenso erinnert die 1253 erbaute Ludwigsburg, welche noch jetzt zum Teil in der Form besteht, in der sie 1327 Kaiser Ludwig wiederherstellte, an die früheren Tage. Herzog Albrecht V. gründete die Bibliothek, die Gemäldegalerie, den Antikensaal, das Münzkabinett und die Schatzkammer. In derselben Weise fuhren seine Nachfolger fort. Wilhelm V. baute die neue oder Maxburg und sein Sohn Maximilian führte die gegenwärtige alte Residenz auf, die von Schriftstellern als das achte Wunder der Welt gepriesen wurde.
Ein verjüngtes Leben begann, als ein frischer Zweig der Wittelsbacher auf den bayrischen Thron kam. Maximilian Joseph aus dem Haus Birkenfeld-Zweibrücken schleifte die Festungswerke. Ringsum entstanden Vorstädte, die unter dem Namen die Aue, St. Anna und Schönfeld bekannt sind. Die Wissenschaften erhielten vielfache Pflege. In gleicher Weise begann sich die Kunst zu regen und der Geist des neuen Deutschlands hielt seinen Einzug in die bayerische Hauptstadt.
Die Zierde Deutschlands.
Das alte München ist von verhältnismäßig geringer Bedeutung gegen das neue. König Ludwig hat Wort gehalten, wenn er vor mehr als vierzig Jahren in Rom gesagt: „Ich will aus München eine Stadt machen, die Deutschland so zur Zierde gereichen soll, daß keiner Deutschland kennt, wenn er nicht München gesehen hat!“ und in der That hat er eine Kunstepoche herbeigeführt, in der in kurzer Zeit riesenhafte Dinge geleistet worden sind, und die sein Nachfolger in konsequenter Verfolgung eines ganz bestimmten Ziels und in immer größerem Maßstabe fortsetzte.
Betrachten wir zunächst die königlichen Schlösser. Nahe dem Max-Josephsplatze steht der neue Königsbau, von Leo von Klenze aufgeführt. Derselbe enthält im Erdgeschoß Bilder nach den Nibelungen. In den Gemächern des Königs finden sich Bilder zu den griechischen Dichtern. In denen der Königin zu den deutschen wie von Schnorr, Kaulbach, Schwind und andern bedeutenden Meistern. An der anderen Seite nach dem Hofgarten hin liegt der Saalbau im späten italienischen Stil von demselben Baumeister.
Im Erdgeschoß findet man Bilder zur Odyssee nach Schwanthaler. Den Bankettsaal schmücken Schlachtgemälde, ferner sind dort die Säle mit der Geschichte Karl des Großen, Friedrich Barbarossas und Rudolfs von Habsburg. Der Thronsaal weist zwölf kolossale vergoldete Erzstatuen von Fürsten aus dem Hause Wittelsbach auf, ebenfalls von Schwanthaler. Außerdem sind als Fürstensitze noch der im gotischen Stil von Gärtner erbaute Wittelsbacher Palast, den König Ludwig nach seiner Abdankung bewohnte, und die Villa der Königin an der Landstraße vor dem Siegesthor anzuführen.
Die Wahrzeichen Münchens.
Eine ungleich größere Anzahl von Monumenten ist dem bayrischen Volke und seinen früheren Fürsten gewidmet. Das wichtigste und umfangreichste Werk in derselben Beziehung ist die Ruhmeshalle, die auf der Sendlinger Höhe über der Theresienwiese nach einem Plane Klenzes im dorischen Stile aufgeführt ist. Vor dem hufeisenförmigen Geländer erhebt sich, von Schwanthaler entworfen, das kolossale Erzbild der Bavaria.
Ein anderes treffliches Denkmal ist das Siegesthor am Ende der Ludwigsstraße, von Gärtner und Metzger ausgeführt. Prächtig erscheint hier eine von vier Löwen gezogene Bavaria in Erzguß von Wagner in Rom, die das Ganze krönt. Den 30 000 Bayern, die im russischen Kriege den Tod fanden, ist ein 31 Meter hoher Obelisk auf dem Karolinenplatze, den tapfern Oberländern, die im Jahre 1705 aus freiem Antriebe für das Vaterland starben, ein schönes Monument auf dem Friedhofe gesetzt. So ist das Isarthor mit seinen Freskobildern der Verherrlichung Kaiser Ludwigs des Bayern gewidmet. An den Kurfürsten Maximilian I. erinnert die Reiterstatue vor dem Königsbau, an König Maximilian Joseph das sitzende Standbild vor dem Theater. Endlich gehört hierher noch die Feldherrenhalle, welche die Ludwigsstraße nach der Straße hin schließt, und die Statuen Tillys und Wredes enthält; an den Arkaden am Hofgarten sind die Kriegs- und Friedensthaten bayerischer Fürsten geschildert.
Auch für Staats- und öffentliche Zwecke sind viel neue Gebäude errichtet worden. Das Postgebäude, die Reitbahn, der Eisenbahnhof, die Bergwerks- und Salinenadministration, das Kriegsministerium, das Blindeninstitut, die Universität, die Bibliothek und endlich der Glaspalast, der die Industrieausstellung der Jahre 1854 und 1858 in sich faßte und der ersten historischen Kunstausstellung zum Sitze dient. Was schließlich die Kirchen anlangt, so ist auch in dieser Richtung Unglaubliches geschaffen worden. Die Basilika zum heiligen Bonifacius schließt sich an den ältesten griechischen Stil aus dem fünften und sechsten Jahrhundert an. Die Allerheiligen- oder Hofkapelle ist mit Bildern von Heß ausgestattet. Außerdem sind noch bemerkenswert: die Mariahilfkirche in der Vorstadt Au, die Ludwigskirche und die protestantische Kirche.
König Maximilian II. setzt das Werk fort.
Die neue Maximiliansstraße ist die Schöpfung des Königs Maximilian II. Es erhebt sich jetzt allmählich ein Prachtbau an dem andern in der neuen Straße. Gleich am Eingange derselben rechts erhebt sich die neue Fassade des Münzgebäudes. Gegenüber sehen wir die Ergänzung des Hoftheaters durch einen Anbau vollendet und das Fundament zu einer Reihe von Privathäusern zwischen diesem und dem Hotel zu den vier Jahreszeiten gelegt. Dort öffnet sich das kolossale Gebäude der Regierung zur Linken, dessen rechter Flügel ebenfalls unter Dach gebracht ist, während das Taubstummeninstitut bereits vollendet war, als es die Bestimmung erhielt, dem neuen bayerischen Nationalmuseum angefügt zu werden.
Zentrum für Wissenschaft und Kunst.
Unter den Männern, welche in den letzten Jahren in München eine neue Heimat gefunden, zeichnen sich besonders aus als Dichter: Emanuel Geibel, Fr. Bodenstedt, Paul Heyse, Franz von Kobelt und Moritz Carriere. An der Spitze der wissenschaftlichen Anstalten steht natürlich die Universität, die gar manche berühmte Namen besitzt, ebenso die Akademie, an welcher Fr. H. Jakobi, Schilling und Thiersch nacheinander Präsidenten waren. Ferner nennen wir die polytechnische, die Landwirtschafts- und Gewerbe-, die Baugewerks- und Handelsschule, sowie das Taubstummen- und Blindeninstitut und endlich die Gymnasien und lateinischen Schulen, welche zu den genannten Schulen vorbereiten sollen.
Reich ist München auch an den mannigfachsten Hilfsmitteln, besonders der Naturwissenschaften, und wenn die einzelnen Sammlungen nur den einzelnen Zweigen des menschlichen Wissens dienen, so vereinigt die Bibliothek mit ihren Schätzen die Hilfsmittel der sämtlichen Wissenschaften in sich. Der wissbegierige Wanderer, wie der Mann der Wissenschaft, findet hier ein Feld, das sowohl der Neugier als dem tiefsten Studium die reichste Ausbeute bietet. Doch auch das gesellige München steht nicht zurück, und der Fremde kann überall hingehen, ohne sich etwas zu vergeben. Hier gilt kein Stand und Namen, und der Vornehme sitzt neben dem schlichten Arbeiter, der hohe Staatsbeamte neben dem Subalternen — beim Seidel. Will man aber Natur genießen, so bietet der englische Garten das herrlichste Waldleben und der Starnberger See die großartigsten Naturschönheiten; und wer längere Zeit in München bleibt, der kann auch eine Menge von schönen Ausflügen machen, zu denen die nahen Alpen einladen.
Geographische Bilder. Darstellung des Wichtigsten und Interessantesten aus der Länder- und Völkerkunde. Nach den besten Quellen bearbeitet und herausgegeben für Lehrer und Lernende, sowie für Freunde der Erdkunde von U. Mauer. Erster Band. Vierzehnte Auflage. Langensalza, Schulbuchhandlung von F. G. L. Greßler. 1889. Seiten 249-252.