Kulisse Münchens.
Steht man auf der Theresienwiese bei München, am Fuße des Bavaria-Kolosses, übersättigt von allen Herrlichkeiten dieser wahrhaft königlichen Stadt, und sieht, gewaltiger, als alle die Monumente, die unsere kunstbegeisterten Monarchen durch ihre großen Künstler hervorriefen. Die ewigen unwandelbaren Denkmale einer unsichtbaren Hand – die riesigen Alpen. Dieses bayerische Hochland in seiner ganzen Ausdehnung, von der Mädelegabel im Allgäu bis zum Watzmann bei Berchtesgaden und den Salzburger Bergen, gekleidet in ruhiges Blau, dazwischen eine schimmernde Felswand, dahinter ein weißer Gletscher, aber in seltenen Momenten, an herrlichen Sommerabenden, getaucht in glühendes Rot – dann füllt sich die Brust mit unwiderstehlichem Sehnen nach ihren schwindelnden Höhen, zerklüfteten Felsen, stürzenden Bergwässern und grünen Seen.
Zwar ist das bayerische Hochland keine Schweiz. Die Gebirgsstöcke sind dort höher, ausgebreiteter, gewaltiger, die Gletscher häufiger, die Seen größer, die Fälle stürzen tiefer; doch erreichen hier die höchsten Punkte die gewiß respektable Höhe von 2510 – 3140 Meter, wie die Zugspitze, der Watzmann, Mädele, Karwendel und andere, man trifft alle Typen der Alpennatur, und der wahre Naturfreund, der sich nicht vom Namen und dem allgemeinen Fremdenzug bestimmen läßt, findet sich gewiß hier ebenso befriedigt wie dort.
Auch ist es für den einzelnen Reisenden, der dem Geräusch großer Städte für einige Zeit zu entsagen kommt, wohlthuend, hier nirgends den Zügen reisender Engländer zu begegnen, die in der Schweiz allenthalben jene großartigen und teuren Gasthöfe da hervorgerufen haben, wo man Ländlichkeit und Einfachheit besuchen möchte, und nur ausländischen Luxus für teures Geld findet.
Land und Leute.
Wer das bayerische Hochland der Alpen durchreisen will, muß sich begnügen, in einem einfachen Wirtshause beherbergt zu werden, wo er sich jedoch bei mäßigen Ansprüchen befriedigt und vor allem allenthalben Reinlichkeit finden wird, ohne daß es ihm übrigens belästigen dürfte, wenn vielleicht am andern Tische Knechte und Mägde des Wirtes aus einer gemeinschaftlichen großen Schüssel ihr einfaches Mahl einnehmen, während sich neben ihn einer jener schmucken stattlichen Söhne der Alpen setzt, wie sie von solcher Größe und Muskelkraft weder Schweizer, noch Tiroler, ihrer Nachbarn, auszuweisen haben. Er darf sich nicht gekränkt fühlen, wenn ihn dieser in seiner treuherzigen schlichten Weise mit „Du“ begrüßt, darf jedoch durchaus nicht glauben, dadurch mit Zudringlichkeit belästigt zu werden.
Hat der Mann einige „Hoalbi“ Bier getrunken, so wird er lebendig, und beginnt seine „Schnattahüpf’ln“ vorzutragen, kleine vierzeilige Lieder, die meist improvisiert werden, und ihr Wirtshaus-, Schützen- und Liebesleben besingen; nun rücken mehrere zusammen, und einer sucht es dem andern zuvorzuthun. Dabei wird in die Hände geklatscht, mit den Füßen gestampft und gejodelt. Es findet sich dann gewöhnlich eine Zither vor, das Instrument, welches ausschließlich den Alpen gehört, und hier fast von jedem ihrer Söhne gespielt wird.
Bald ist nun auch ein „Deandl“ (Mädchen) bei der Hand, und nun wird „Landler“ getanzt, dieser gemütliche und zugleich graziöse Nationaltanz, der auf unsern Bällen noch keine Gnade finden konnte, während man Polka, Mazurka u. a. von fremden Nationen entlehnt. — Leider folgen dann auch manchmal ernstliche Händel, wie dies bei Naturkindern, die sich von ihren Leidenschaften blind beherrschen lassen, leicht möglich ist. Es werden die stählernen Schlagringe gedreht, die sie am Finger tragen, und selten legt sich der Kampf, bis er sein Opfer gefordert. Doch haben die Leute Takt genug, in Gegenwart Fremder sich zu beherrschen.
Beachtenswert sind die Symbole, die die Decken der Gastlokale zieren. Liegt das Dorf an einem der Seen, und sind daselbst Kähne zum Gebrauch für Reisende, so hängt von der Decke herab das Modell eines Kahnes mit einer Puppe als Fährmann; außerdem Fleischer- und in gläsernen Behältern ein Frachtwagen in Duodez, wenn hier Einkehr der Fuhrleute stattfindet. Es deutet das, sowie die mit geschnitzten Figürchen bedeckten Maibäume, die zahlreichen bunten Heiligenbilder u. a. m., gewiß auf ein schon südlicheres, dem Italienischen verwandteres Element des Volkes hin, das, genährt durch das Bilderreiche des katholischen Kultus, sinnige, farbige und plastische Anschauungen als Brücke zur Vermittelung seines Ideeenganges mit den aufzunehmenden Begriffen bedarf.
Denselben Grund mögen die dramatischen Spiele dieser Gebirgsleute haben, die, ebenso originell als alt, nur Szenen aus der christlichen Legende oder Jesusgeschichte darstellen, und uns so einen Begriff von der Bühne des Mittelalters geben. Hat irgendwo eine Gemeinde ein derartiges Schauspiel beschlossen, dann wird es durch Anschlagzettel in allen benachbarten Dörfern bekannt gemacht. Die Aufführung geht in einer Scheune vor sich, und hat ein zahlreiches und aufmerksames Auditorium.
Das bayerische Hochland hat noch eine andere eigentümliche Volkssitte vorzuzeigen – das „Haberfeldtreiben“. Hat jemand durch Wucher, Geiz, Unsittlichkeit oder sonst ein Laster, das von den Gerichten nicht direkt bestraft werden kann, den öffentlichen Unwillen erregt, so versammelt sich vor seinem Hause des Nachts ein vermummter Haufe bei Fackelbeleuchtung mit Waldteufeln, Pfeifen, metallenen Becken, alten Töpfen, mit denen sie, unterstützt von Geschrei und Gejohle, einen Höllenlärm so lange vollführen, bis der zitternde Missetäter in dem Haufen erscheint. Hier werden ihm von einem Sprecher seine Vergehen vorgehalten, und mit dem Versprechen der Besserung beruhigt, gehen die Leute auseinander.
Bergsteigen, Wildern und Schmuggeln.
Bergsteigen und Wildern ist ihnen, wie allen Bergbewohnern, angeborene Leidenschaft, dabei lockt auch die nahe österreichische Grenze zur Schmuggelei, und alles ist ihnen lockend, was Gefahren bringt, die hier weit größer sind, als irgendwo, wozu sich aber auch hier weit mehr Schlupfwinkel bieten. In vielen Familien erbt sich dieses Geschäft vom Großvater auf den Urenkel fort; und manche hat schon im Kampfe mit den Grenzwächtern ihr Oberhaupt eingebüßt. Aber in stetem Kampf mit den Elementen und dem Gesetz, geht der bayerische Älpler gestählt und ausdauernd daraus hervor, mit scharfem Blick und feinem Gehör jede Gefahr erkennend und sie mit athletischer Kraft bekämpfend; er ist einer jener Söhne der Natur mit allen ihren schlimmen, aber auch, vortrefflichen Eigenschaften, die in unsern Tagen nur noch schirmende Berge oder dürre Steppen vor dem unaufhaltsamen Strom der Kultur, die alle Welt beleckt, bewahren.
Geographische Bilder. Darstellung des Wichtigsten und Interessantesten aus der Länder- und Völkerkunde. Nach den besten Quellen bearbeitet und herausgegeben für Lehrer und Lernende, sowie für Freunde der Erdkunde von U. Mauer. Erster Band. Vierzehnte Auflage. Langensalza, Schulbuchhandlung von F. G. L. Greßler. 1889. Seite 241-243.