Rechtliche Stellung der Distriktsgemeinden
Die Distriktsgemeinden sind Gemeindeverbände höherer Ordnung mit körperschaftlichen Rechten (Distr.-R.-Ges. Art. 1). Sie sind, gleich den Ortsgemeinden, gesetzlich notwendige Verbände, in welche der Staat — seine Angehörigen und sein Gebiet — sich gliedert. Nur die unmittelbaren Städte sind vom Distriktsgemeindeverbande ausgeschlossen (Art. 35).
Über die Einteilung des Landes in Distriktsgemeinden bestimmt das Gesetz (Art. 1), daß diesseits des Rheines jeder Amtsbezirk einer Distriktsverwaltungsbehörde, in der Pfalz jeder Kanton eine Distriktsgemeinde bilde. Das Gesetz bezeichnet die Distriktsgemeinden als „Korporationen“. Es will damit ausdrücken, daß sie keine bloßen Gesellschaften, sondern wahre Gemeinden mit juristischer Persönlichkeit seien.
Die Bedeutung dieses Rechtssatzes ist eine öffentlich rechtliche, insoferne er die Distriktsgemeinden als Gemeindeverbände bezeichnet, eine bürgerlich rechtliche, insoferne er ihnen die Eigenschaft juristischer Personen zuschreibt. Mitglieder des Distriktsgemeindeverbandes sind die Ortsgemeinden und die Eigentümer der Gemarkungen, die zu keiner Ortsgemeinde gehören. Da übrigens die Ortsgemeinden nichts anderes sind, als die Gesamtheit der Gemeindeangehörigen, so kann man auch sagen, daß die Ortsgemeindeangehörigen als solche zugleich Distriktsgemeindeangehörige seien. Eine besondere, von der Ortsgemeindeangehörigkeit rechtlich losgelöste Distriktsgemeindeangehörigkeit des Einzelnen gibt es indessen nicht. Bezüglich der Verwaltungstätigkeit der Distriktsgemeinden ist vor allem hervorzuheben, daß dieselben durch ihre Organe, Distriktsrat und Distriktsausschuß, keine obrigkeitliche oder Amtsgewalt innerhalb des Gemeindebezirkes ausüben. Ihre Organe sind in ihrem eigentlichen Wirkungskreise lediglich mit der Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten befaßt. Eine gesetzliche Abgrenzung dieser Angelegenheiten besteht nicht. Indessen ergibt es sich von selbst, daß die Distriktsgemeinden nicht in Gebiete übergreifen können, welche dem Staate oder andern Gemeindeverbänden zugehören. Bezüglich gewisser Verwaltungstätigkeiten der Distriktsgemeinden ist gesetzlich teils festgestellt, daß sie notwendig, teils außer Zweifel gestellt, daß sie zulässig sind.
1) Art. 89 Abs. VII der dies jh. Gem.O.; Bl. f. adm. Pr. BD. 39 S. 131, v. Kahrl I S. 801 ff. 2) v. Seydel, Staatsrecht II S. 135 ff. 694 ff. W. v. Lermann, die bayer. Distriktsgemeindeordnung, München 1894.
3) Es wird jedoch nachstehende Ausnahme von der aufgestellten Regel zugelassen: „Werden infolge einer Amtsorganisation mehrere Landgerichtsbezirke in einen Verwaltungsdistrikt vereinigt, so kann jeder dieser Bezirke als Distriktsgemeinde mit besonderer Vertretung fortbestehen“. Vgl. darüber v. Seydel, bayer. Staatsrecht II S. 139 ff.
Dabei ist jedoch darauf hinzuweisen, daß nicht alles, was Distriktslast ist, dadurch zum Gegenstande der distriktsgemeindlichen Verwaltung wird. Den Distriktsgemeinden können Lasten auch für Zwecke auferlegt sein, die nicht im Bereiche ihrer eigenen Verwaltung liegen. Die Distriktsgemeinden können so dann, innerhalb der oben angegebenen Grenzen, den Umkreis ihrer Verwaltungstätigkeit über das gesetzlich Notwendige hinaus erweitern. Einem Zwange können sie in dieser Beziehung nicht unterliegen. Hat aber eine solche Erweiterung in bleibender Weise stattgefunden, so wird die betreffende Verwaltungstätigkeit zu einer rechtlich notwendigen (Art. 27).
Die Distriktsgemeinden haben ein Recht selbständiger Verwaltung nur in beschränktem Maße. Sie stehen in den wichtigsten Beziehungen unter Staatskuratel, im übrigen unter Staatsaufsicht. Die Grenzen der einen und der anderen staatlichen Befugnis lassen sich nur nach einem formellen Gesichtspunkte angeben. Die Beschlüsse, welche der Distriktsrat faßt, bedürfen in der Regel zu ihrer Rechtsgültigkeit der Genehmigung der vorgesetzten Kreisregierung, Kammer des Innern (Art. 23). Beschlüsse des Distriktsausschusses dagegen bedürfen solcher Bestätigung nicht, sie können nur, wenn sie Gesetzen oder Verordnungen zuwiderlaufen, durch die Regierung aussichtlich außer Kraft gesetzt werden. Hieraus erhellt, daß die Ausscheidung der Zuständigkeiten der beiden genannten Distriktsorgane (Art. 11, 16) zugleich für die Ausscheidung der Gebiete unfreier und freier Selbstverwaltung der Distriktsgemeinden maß gibt. Bezüglich dieser Ausscheidung aber gilt im allgemeinen der Grundsatz, daß alle Angelegenheiten der Distriktsgemeinde zur Zuständigkeit des Distriktsrates gehören, welche nicht durch ausdrückliche Gesetzesvorschrift dem Distriktsausschusse zugewiesen sind. Der Letztere ist das Organ der Distriktsgemeinde für die Führung der laufenden Verwaltung, insbesondere der Vermögensverwaltung. Er kann bei Gefahr auf Verzug statt des Distriktsrates die zur Abwehr erheblicher Nachteile erforderlichen Leistungen beschließen (Art. 25). Er hat ferner alle an den Distriktsrat zu bringenden Gegenstände vorzuberaten und vorzubereiten.
Die Verwaltung aller Distriktsanstalten geschieht nach den vom Distriktsrate vorgeschlagenen oder geprüften und von der Kreisregierung genehmigten Ordnungen. Die Aufsicht über die Distriktsanstalten führt der Distriktsausschuß.
Die distriktsgemeindlichen Organe haben außerdem noch eine Reihe einzelner Befugnisse und Obliegenheiten, insbesondere auch auf dem Gebiete der staatlichen Verwaltung.
- Als Distriktslasten werden in Art. 27 u. a. genannt: Distriktsstraßen, Feuerlöschmaschinen, Hebammenunterricht, Besoldung der Distriktstierärzte. Das Armenpflegeges. vom 29.April 1869 Art. 38, 39 erklärt die Distriktsgemeinden für berechtigt, Armenhäuser, Beschäftigungsanstalten, Armenkolonien, Krankenhäuser und Erziehungsanstalten für verwahrloste Kinder zu errichten, ferner Spar- und Vorschußkassen und ähnliche Anstalten zu gründen.
Quelle: Das Staatsrecht des Königreichs Bayern, Max von Seydel. Dritte Auflage 1903, S. 239.