Die Ortsgemeinden sind die, kraft gesetzlicher Notwendigkeit bestehende, nächste und unmittelbare Vereinigung von Staatsangehörigen auf einem abgegrenzten Teile des Staatsgebiets, welche in Unterordnung unter die Staatsgewalt, jedoch innerhalb der gesetzlichen Schranken selbständig, öffentliche Aufgaben zu erfüllen hat und durch ihre Organe in ihrem Bezirke eine öffentliche Gewalt ausübt. Die Ortsgemeinde ist zugleich öffentliche Körperschaft und Persönlichkeit des bürgerlichen Rechtes.
Die Gemeindeangelegenheiten.
Der Umkreis der gemeindlichen Wirksamkeit ergibt sich durch die Untersuchung des Begriffes der Gemeindeangelegenheiten. Der Begriff der Gemeindeangelegenheiten im weitesten Wortsinne umfaßt alle jene Angelegenheiten, die von den Gemeinden unmittelbar besorgt werden. Innerhalb dieses Gebietes ist ein doppelter Wirkungskreis der Gemeinden zu unterscheiden: ein eigener, die Gemeindeverwaltung, und ein übertragener, die Besorgung staatlicher Verwaltungsgeschäfte.
Der eigene Wirkungskreis der Gemeinden wird in den Gemeindeordnungen mit den den Worten „eigentliche Gemeindeangelegenheiten“ bezeichnet. Deren Begriff deckt sich nicht mit dem Begriffe der Gemeindebedürfnisse. Denn zu letzteren gehören alle Bedürfnisse, welche aus Gemeindemitteln zu befriedigen sind, gleichviel, ob sie im Bereiche der eigenen Gemeindeverwaltung oder der übertragenen Verwaltung liegen.
Gemeindeverwaltung und gemeindliche Selbstverwaltung.
Auch die Begriffe der eigentlichen Gemeindeverwaltung und der gemeindlichen Selbstverwaltung sind keine Wechselbegriffe. Das Gebiet des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechtes umfaßt vielmehr alle Verwaltungsbefugnisse, gleichviel ob sie innerhalb des Kreises der gemeindlichen oder der staatlichen Verwaltung liegen, welche die Gemeinde kraft Gesetzes und selbständig, d. h. unabhängig von dem beliebigen Eingreifen der Staatsverwaltung, ausübt.
Der Begriff der eigentlichen Gemeindeangelegenheiten ist in den Gemeindeordnungen nirgends näher bestimmt. Demnach erübrigt nichts, als denselben auf wissenschaftlichem Wege aus dem gesamten Inhalte unseres Gemeinderechtes zu ermitteln. Beide Gemeindeordnungen erklären die Gemeinden als öffentliche Körperschaften mit dem Rechte der Selbstverwaltung nach Maßgabe der Gesetze. Die Gemeinden besitzen demgemäß innerhalb der gesetzlichen Schranken Handlungsfreiheit. Sie sind daher nicht bloß zu dem zuständig, wozu sie ausdrücklich zuständig erklärt werden, sondern auch zu dem, was ihrer Zuständigkeit nicht entzogen ist!
Hiernach gehört dem eigenen Wirkungskreise der Ortsgemeinden unbedingt alles an, was ihnen weder gesetzlich zu tun geboten noch gesetzlich zu tun verboten ist. Gesetzlich verboten aber ist ihnen insbesondere jede Einmischung in Geschäfte, die nach der öffentlichen Rechtsordnung in den Wirkungskreis der staatlichen Behörden oder anderer Körperschaften als der Ortsgemeinden gehören. Den Kern des eigenen gemeindlichen Wirkungskreises aber bildet die Führung des Gemeindehaushaltes, d. i. die Verwaltung des Gemeinde- und örtlichen Stiftungsvermögens und die Bestimmung darüber, mit welchen Mitteln sowohl den freiwillig übernommenen, als auch den gesetzlichen Aufgaben der Gemeinde zu genügen sei.
Die gemeindliche Geschäftsführung.
Zu den eigentlichen Gemeindeangelegenheiten gehört endlich auch die gemeindliche Geschäftsführung, demnach die innere Verfassung, die Bestellung der Gemeindebediensteten und die Ordnung des Geschäftsganges, soweit das Gesetz hierzu Spielraum läßt. Die Verwaltung der eigentlichen Gemeindeangelegenheiten steht der kollegialen Gemeindebehörde vorbehaltlich der Befugnisse der Gemeindevertretung oder Gemeindeversammlung zu. Das Recht zum Erlasse von Gemeindestatuten („Statutarischen Bestimmungen“,), d.h. von allgemein verbindlichen Rechtssatzungen kommt den Gemeinden und deren Organen innerhalb des Bereiches der eigentlichen Gemeindeangelegenheiten insoweit zu, als es ausdrücklich vom Gesetze ihnen zugeschrieben oder in einer Verfügungsfreiheit, die ihnen das Gesetz einräumt, enthalten ist. Die Gemeindestatuten als Gesetzgebungsakte der Gemeinde in ihrem eigenen Wirkungskreise sind von den ortspolizeilichen Vorschriften zu unterscheiden, welch‘ letztere Gesetzgebungsakte der Ortsgemeinde im übertragenen Wirkungskreise sind.
Die Tätigkeit der Gemeinden in ihrem eigenen Wirkungskreise ist regelmäßig eine freie, d. h. nur gebunden durch die Pflicht des Gehorsams gegen das Gesetz und unabhängig von dem bestimmenden Eingreifen staatlicher Verwaltungsbehörden. Ein solches kann nur stattfinden, um den Gehorsam gegen das Gesetz zu erzwingen. Die staatliche Tätigkeit, welche dieses Ziel verfolgt ist die Staatsaufsicht. Diese Regel wird indessen durch eine Mehrzahl von Ausnahmen durchbrochen, die fast durchweg auf dem Gebiete der gemeindlichen Finanzverwaltung liegen. Diese Ausnahmen können, da sie aus keinem allgemeinen Rechtsgrundsatz abgeleitet sind, auch nur einzeln am treffenden Orte näher behandelt werden. Sie haben das Gemeinsame, daß hier die Ortsgemeinden bei ihren Willensakten an die vorherige Genehmigung der vorgesetzten Verwaltungsbehörde gebunden sind.
Diese Genehmigung aber kann nach freiem Ermessen erteilt oder versagt werden. Mit anderen Worten, in den gedachten Fällen besteht eine Staatskuratel über die Gemeinden, die indessen von den Gemeindeordnungen unter der Bezeichnung Staatsaufsicht mitbegriffen wird. Überall da, wo die staatsaufsichtliche Genehmigung notwendig ist, ist deren Vorhandensein ein Erfordernis der Rechtsgültigkeit des gemeindlichen Willensaktes.
Staatsaufsicht über die Gemeindeverwaltung.
Die Staatsaufsicht über die Verwaltung der eigentlichen Gemeindeangelegenheiten ist teils eine solche, welche von Amtswegen geübt wird, teils eine solche, welche nur auf Anrufen einer Partei sich geltend macht. Von Amts wegen („Offizialeinschreitung“) hat die Staatsaufsicht die doppelte Aufgabe zu verhindern, daß seitens der Gemeinden etwas geschieht, was den Gesetzen nicht gemäß ist, und zu erzwingen, daß seitens der Ortsgemeinden dasjenige geschieht, was die Gesetze von ihnen verlangen.
Die Staatsaufsicht von Amtswegen erstreckt sich demzufolge darauf:
1. daß von den Gemeinden die gesetzlichen Schranken ihres Wirkungskreises nicht zum Nachteile des Staates überschritten werden;
2. daß die gesetzlichen Vorschriften beobachtet werden, durch welche das Ermessen der Gemeindebehörden innerhalb ihres Wirkungskreises beschränkt ist;
3. daß die gesetzlichen öffentlichen Verpflichtungen der Gemeinden erfüllt werden;
4. daß die gesetzmäßigen Vorschriften über die Geschäftsführung beobachtet werden.
Eingreifen der Aufsicht.
Das aufsichtliche Eingreifen von Amts wegen kann nur stattfinden, wenn auf Seite der Ortsgemeinde eine Gesetzesverletzung vorliegt, die unter einen der oben angeführten Gesichtspunkte fällt, unter dieser Voraussetzung aber auch dann, wenn die Handlung oder Unterlassung der Gemeinde nur einen einzelnen benachteiligt.
Die Staatsaufsicht in eigentlichen Gemeindeangelegenheiten wird unter oberster Leitung des Staatsministeriums des Innern von den allgemeinen Verwaltungsbehörden, in erster Instanz regelmäßig von den Bezirksämtern ausgeübt. Gegenüber unmittelbaren Städten bilden die Kreisregierungen, Kammern des Innern, die erste Aufsichtsinstanz. Die übrigen Gemeinden mit Stadtverfassung diesseits des Rheines stehen zwar unter der unmittelbaren Aufsicht der Bezirksämter, aufsichtliche Zwangsbeschlüsse gegen diese Ortsgemeinden sind jedoch in erster Instanz durch die Kreisregierungen, Kammern des Innern, zu erlassen. Die Kreisregierungen haben da, wo ein positives aufsichtliches Eingreifen stattfindet, kollegial zu beschließen.
Die vorgesetzten Verwaltungsbehörden haben zum Zwecke der Handhabung der Staatsaufsicht das Recht, von der Tätigkeit der Gemeindebehörden Kenntnis zu nehmen, und insbesondere die Befugnis der Amts- und Kassenuntersuchung. Das Verfahren der Aufsichtsbehörden ist ein verschiedenes, je nachdem es sich um ein negatives oder um ein positives Eingreifen der Staatsaufsicht handelt. Bezüglich des negativen Einschreitens der Staatsaufsicht gelten folgende Bestimmungen.
Nimmt die Staatsaufsichtsbehörde wahr, daß von gemeindlichen Organen gesetzwidrige Beschlüsse gefaßt worden sind, so ist unter Vorsetzung einer angemessenen Frist die Aufforderung zur Zurücknahme dieser Beschlüsse zu erlassen. Wird dieser Aufforderung nicht nachgekommen, so sind die betreffenden Beschlüsse vorbehaltlich des Beschwerderechtes der Gemeinde außer Wirksamkeit zu setzen. Werden die gesetzmäßigen Vorschriften über die Geschäftsführung verletzt, so ist die Gemeindebehörde zu deren Beobachtung aufzufordern und nötigenfalls durch Disziplinarmaßregeln anzuhalten. Das positive Einschreiten der Staatsaufsicht ist durch nachstehende Vorschriften geregelt. Unterläßt eine Gemeinde, die ihr gesetzlich obliegenden Verpflichtungen zu erfüllen, so ist sie unter Angabe des Gesetzes aufzufordern, binnen angemessener Frist die Beschlüsse zu fassen, die zur Erfüllung ihrer Verpflichtung erforderlich sind.
Verfügung der Staatsbehörde.
Wird innerhalb der vorgestreckten Frist die gesetzliche Notwendigkeit, der Umfang oder die Art der Leistung bestritten, so hat die zuständige Behörde hierüber vorbehaltlich des Beschwerderechtes der Gemeinde Beschluß zu erlassen. Dabei ist auf die Leistungsfähigkeit der Gemeinde besondere Rücksicht zu nehmen. Wird die endgültig festgestellte Verpflichtung innerhalb angemessener Frist nicht erfüllt, so hat die Staatsbehörde an Stelle der Gemeindebehörde die Verfügungen zu treffen, die zum Vollzuge nötig sind. Sie hat also Handlungen der Gemeindeverwaltung vorzunehmen. Insbesondere ist sie befugt, die etwa erforderliche Umlage anzuordnen und deren Erhebung auf Kosten der Gemeinde zu veranlassen.
Die gleichen Befugnisse stehen der Aufsichtsbehörde zu, wenn Ortsgemeinden eine Verpflichtung nicht erfüllen, die durch rechtskräftige Entscheidung im bürgerlichrechtlichen Verfahren wegen einer Geldforderung oder im verwaltungsrechtlichen Verfahren festgestellt ist. Gegen die Beschlüsse der Aufsichtsbehörden, welche in erster Instanz über eigentliche Gemeindeangelegenheiten gefaßt worden sind, können die Gemeindeverwaltungen binnen vierzehn Tagen Verwaltungsbeschwerde ergreifen und dieselbe sofort oder binnen einer weiteren Frist von vierzehn Tagen ausführen.
Die Beschwerde gegen Beschlüsse der Bezirksämter geht an die vorgesetzte Kreisregierung, Kammer des Innern, welche kollegial entscheidet; die Beschwerde gegen erstinstanzliche Beschlüsse der Kreisregierungen an das Staatsministerium des Innern. Die zweite Instanz ist die letzte Verwaltungsinstanz. Jedoch kann gegen zweitinstanzielle Entscheidungen der Kreisregierungen Oberaufsichtsbeschwerde zum Staatsministerium des Innern erhoben werden.
Außerdem ist den Ortsgemeinden gegen staatsaufsichtliche Verfügungen der Kreisregierungen, Kammern des Innern, der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, wenn durch solche Verfügungen angeblich das gesetzliche Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde verletzt, insbesondere wenn derselben eine gesetzlich nicht begründete Leistung auferlegt worden ist. Solche Beschwerden gehen an den Verwaltungsgerichtshof, welcher in erster und letzter verwaltungsgerichtlicher Instanz entscheidet. Sie können gegen erst- und zweitinstanzielle Beschlüsse der Kreisregierungen erhoben werden.
Rechtsverletzung von Gemeindebehörden.
Die Staatsaufsicht kann von Seite Dritter angerufen werden, wenn dieselben behaupten, daß durch einen Beschluß einer Gemeindebehörde oder einer Gemeindeversammlung in einer eigentlichen Gemeindeangelegenheit ein Gesetz oder eine andere gültige Satzung des öffentlichen Rechtes zu ihrem Nachteile verletzt worden sei. Wegen bloßer Interessensverletzungen, die keine Rechtsverletzungen sind, kann die Staatsaufsicht nicht angegangen werden.
Aufsichtsbeschwerden gegen Beschlüsse der Gemeindebehörden und Gemeindeversammlungen sind von der unmittelbar vorgesetzten Verwaltungsbehörde — dem Bezirksamte oder der Kreisregierung, Kammer des Innern, — zu entscheiden. Gegen diese Entscheidung steht sowohl dem Beschwerdeführer als der Gemeindebehörde die Berufung an die nächsthöhere Behörde zu, welche als zweite und letzte Aufsichtsinstanz erkennt. Beschwerde und Berufung sind, soferne keine formelle Nichtigkeit in Mitte liegt, an eine Notfrist von vierzehn Tagen gebunden. Sie können bei der unteren oder bei der höheren Behörde angebracht werden. Die Aufsichtsbehörden können die Beschlüsse der Gemeindebehörden und Gemeindeversammlungen nur soweit aufheben oder abändern, als durch dieselben zu Ungunsten des Beschwerdeführers das Recht verletzt ist. Gegen Entscheidungen der Kreisregierungen ist auch hier Oberaufsichtsbeschwerde statthaft.
Außerdem kann die Gemeindebehörde, wenn sie durch eine erst- oder zweitinstanzielle Entscheidung der Kreisregierung ihr Selbstverwaltungsrecht verletzt erachtet, in derselben Weise den Verwaltungsgerichtshof anrufen, wie bei einer von Amtswegen erlassenen Aufsichtsentscheidung.
Der Wirkungskreis der Ortsgemeinden.
Der übertragene Wirkungskreis der Ortsgemeinden läßt sich durch keine allgemeine Formel umschreiben. Die Gemeindeordnungen nennen als Gegenstand des übertragenen gemeindlichen Wirkungskreises vor allem die „Polizei”. Sie sagen dann weiter, daß bezüglich der Verrichtungen, welche den Gemeinden in Gegenständen der „allgemeinen Staatsverwaltung”, der gerichtlichen Polizei, der Rechtspflege, der Finanzverwaltung und, wie beizufügen ist, der Heeresverwaltung durch Gesetz oder Verordnung übertragen sind, die hierüber getroffenen Bestimmungen maßgeben. „Neue Verrichtungen dieser Art können den Ortsgemeinden nur durch gesetzliche Anordnung zugewiesen werden.“ Endlich ist noch zu erwähnen, daß die Gemeindeordnungen den Gemeindebehörden „Anteil an der Armenpflege, sowie an dem Kirchen- und Schulwesen nach den hier über bestehenden Gesetzen und Verordnungen „zusichern. Hierzu kam infolge der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches die Verpflichtung der Gemeinden zur Bestellung eines Gemeindewaisenrates als eines Hilfsorganes der Obervormundschaft.
Nähere Erörterung bedarf dasjenige, was die Gemeindeordnungen bezüglich der Ortspolizei bestimmen. Sie überweisen den Ortsgemeinden „die Handhabung und den Vollzug der die Polizeiverwaltung betreffenden Gesetze, gesetzlich erlassenen Verordnungen, polizeilichen Vorschriften und kompetenzmäßigen Anordnungen der vorgesetzten Behörden innerhalb des Gemeindebezirks, soweit hierfür nicht durch Gesetz oder gesetzmäßige Verordnung die Zuständigkeit einer höheren Behörde begründet ist. Polizeiverwaltung im Sinne der Gemeindeordnung ist gleichbedeutend mit innerer oder Landesverwaltung. Demgemäß ist der Inhalt der erwähnten Gesetzesvorschriften folgender.
Ortsgemeinden als Vollzugsorgan des Staates.
Während es auf allen anderen Gebieten staatlicher Regierungstätigkeit einer besonderen gesetzlichen oder gesetzmäßigen Bestimmung bedarf, um Recht und Pflicht einer Mitwirkung der Ortsgemeinden zu begründen, spricht auf dem Gebiete der Landesverwaltung die Vermutung dafür, daß die Gemeinde das unterste Vollzugsorgan der Staatsgewalt ist. Sie ist es nur dann nicht, wenn eine besondere Rechtsvorschrift ihre Zuständigkeit ausschließt. Diese gesetzliche Berufung der Gemeinden bzw. Gemeindebehörden zu Organen der staatlichen Verwaltung hat eine andere Bedeutung wie die Zuständigkeitsübertragung an Staatsverwaltungsbehörden. Soweit das Gesetz die Gemeinden zu solcher Verwaltungstätigkeit beruft, haben sie nicht bloß, wie die Staatsbehörden, die Pflicht, sondern sie haben dem Staate gegenüber auch das Recht zur Führung dieser Geschäfte.
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Gemeindebehörde bezüglich ihrer übertragenen Verwaltungstätigkeit zwar im Verhältnisse der Unterordnung zu den Staatsverwaltungsbehörden steht, daß sie aber von letzteren regelmäßig hinsichtlich dieser Tätigkeit nicht außer Dienst gesetzt werden kann. Die Aufsichtsbehörde ist nur bei Gefahr auf Verzug berechtigt an Stelle der Gemeindebehörde diejenigen Anordnungen unmittelbar zu treffen, die zur Ausführung gesetzlich bestehender Vorschriften notwendig sind.
Zum Bereiche der inneren Verwaltung gehört die Verwaltungsrechtspflege nicht. Zu verwaltungsrechtlichen Entscheidungen sind daher die Gemeindebehörden regelmäßig nicht berufen. Die Gemeinden sind durch das Organ der Gemeindebehörden in den gesetzlich vorgesehenen Fällen zum Erlasse ortspolizeilicher Vorschriften befugt. Organe der örtlichen Polizeiverwaltung sind in Gemeinden mit Stadtverfassung Magistrat und Bürgermeister, in den übrigen Ortsgemeinden der Bürgermeister. Der Erlaß ortspolizeilicher Vorschriften steht nur den kollegialen Gemeindebehörden zu. Eine Ausnahmestellung nehmen bezüglich der Zuständigkeit auf dem Gebiete der Landesverwaltung die unmittelbaren Städte diesseits des Rheines ein. Hier kommen nämlich der Gemeindebehörde sämtliche Zuständigkeiten zu, welche die Distriktsverwaltungsbehörden sowohl in dieser Eigenschaft als in der Eigenschaft von Verwaltungsgerichten besitzen.
Die Magistrate der unmittelbaren Städte können als Distriktsverwaltungsbehörden in den Fällen, wo sonst distriktspolizeiliche Vorschriften zulässig sind, ortspolizeiliche Vorschriften erlassen.
Eingeschränkte Geltung für München.
Dieser Geschäftskreis der Gemeindebehörde und damit der Wirkungskreis der Gemeinde erleidet eine Einschränkung für München, wo die Zuständigkeiten der Distriktsverwaltungsbehörden zwischen dem Magistrate, der Lokalbaukommission und der königlichen Polizeidirektion geteilt sind. Die Ausscheidung der Zuständigkeiten zwischen diesen Behörden sollte gemäß Artikel 97 der Gemeindeordnung nach Einvernahme des Magistrates durch Verordnung stattfinden, die Verordnung aber binnen drei Jahren durchgesehen und dem Landtage zur gesetzlichen Feststellung vorgelegt werden. Die fragliche Verordnung erging unterm 2. Oktober 1869. Da die Gesetzesvorlage, welche dem Landtage von 1874 gemacht wurde, zu seinem Ergebnisse führte, so ist es seither bei jener Verordnung verblieben.
Die Staatsregierung ist ferner gesetzlich berechtigt, auch in den übrigen unmittelbaren Städten die Ausübung der Befugnisse der Distriktsverwaltungsbehörden in Bezug auf Fremdenpolizei, Presse, Vereine und Versammlungen, ferner die Handhabung der Sicherheitspolizei zum Schutze des Staates und der bestehenden Staatseinrichtungen, sowie zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe auf Staatskosten zu übernehmen und hierfür eigene Beamte (k. Stadtkommissare) mit dem erforderlichen Hilfspersonale aufzustellen. Doch hat, wenn die öffentliche Ruhe bedroht oder gestört ist, der Magistrat zu deren Erhaltung oder Wiederherstellung mitzuwirken.
Die Ortsgemeinden sind verpflichtet, soweit ihnen Aufgaben der inneren Verwaltung („Polizei“) übertragen sind, die damit verbundenen Obliegenheiten zu erfüllen und die hierfür erwachsenden Kosten zu bestreiten. Diese Verpflichtung besteht auch hinsichtlich der Distriktsverwaltung in den unmittelbaren Städten. Jedoch wird diesen „nach Maßgabe des jeweiligen Finanzgesetzes“ ein Beitrag hierzu aus Staatsmitteln geleistet. Die Gemeinde München ist aber verpflichtet, ihrerseits zum Aufwande der staatlichen Polizeidirektion daselbst einen Beitrag zu zahlen.
Stellung der Ortsgemeinden zum Staat.
Die Stellung der Gemeinden und Gemeindebehörden zu den Staatsbehörden ist im Gebiete des übertragenen Wirkungskreises eine wesentlich andere wie im Bereiche des eigenen Wirkungskreises. Sie besorgen dort Geschäfte des Staates als Organe des Staates. Diese Tätigkeit kann daher von den vorgesetzten Behörden durch Dienstbefehl bestimmt werden und unterliegt einer Aufsicht anderer Art als die Staatsaufsicht in eigentlichen Gemeindeangelegenheiten. Nur bezüglich des Erlasses polizeilicher Vorschriften nehmen die Gemeinden eine selbständigere Stellung ein. Die staatliche Aufsicht steht auch hier unter der obersten Leitung des Staatsministeriums des Innern und wird von den allgemeinen Verwaltungsbehörden gehandhabt. Nächstvorgesetzte Behörde ist regelmäßig das Bezirksamt, unmittelbaren Städten gegenüber die Kreisregierung, Kammer des Innern.
Die Gemeindeordnungen regeln die Aufsicht des Staates nur für jenen Teil des übertragenen Wirkungskreises der Gemeinden, welchen sie unter dem Namen „Polizeiverwaltung“ zusammenfassen. Die je unterliegt der „ununterbrochenen Aufsicht” der vorgesetzten Behörden. Letztere können die Gemeindebehörden zur Ausführung der gesetzlich bestehenden Vorschriften auffordern und nötigenfalls im Disziplinarwege anhalten.
Verfahren bei Beschwerden.
Beschwerden gegen „polizeiliche“ Verfügungen der Gemeindebehörden, sowie Beschwerden der Gemeinden gegen Anordnungen, welche die vorgesetzte Aufsichtsbehörde in Bezug auf die „Polizeiverwaltung“ getroffen hat, werden in dem Instanzenzug erledigt, welcher für die betreffende Sache vorgeschrieben ist. Das aufsichtliche Eingreifen in dem Falle, daß eine Gemeindebehörde die Schranken ihrer Befugnisse überschreitet oder notwendige Einrichtungen verabsäumt, vollzieht sich auf diesem übertragenen Gebiete nach den gleichen Bestimmungen, wie sie für die Handhabung der Staatsaufsicht in eigentlichen Gemeindeangelegenheiten gelten.
Die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes seitens der Gemeinde gegen aufsichtliche Anordnungen ist unbedingt ausgeschlossen, soweit letztere lediglich auf dem „polizeilichen“ Gebiete sich bewegen. Nur so weit das Gebiet der finanziellen Verpflichtungen der Gemeinde und daher auch jenes der eigentlichen Gemeindeangelegenheiten berührt wird, ist die Betretung des Verwaltungsrechtsweges wegen Auferlegung einer gesetzlich nicht begründeten Last möglich. Aber auch hier bleiben dem Verwaltungsrechtswege alle Fragen entzogen, in denen das freie Ermessen der Verwaltungsbehörden innerhalb der gesetzlichen Schranken entscheidet.
Quelle: Staatsrecht des Königreichs Bayern von Dr. Max von Seydel. Dritte Auflage. 1903, S.198-205.