Der Zustand der Kirche.
In der Kirche waren allmählich mancherlei Mißstände eingetreten. Die Päpste standen lange Zeit unter dem Einflusse der französischen Könige mehrfach erhoben mehrere Kirchenfürsten gleichzeitig Anspruch auf die päpstliche Würde. – Die Bischöfe gehörten meist dem Fürsten- und Adelstande an und benutzen ihr Amt oft nur, um zu Macht, Einfluss und Wohlstand zu gelangen. Sie besaßen nicht immer die Fähigkeiten, die zu ihrem Hirtenamte nötig waren, und kümmerten sich zu wenig um das Heil der Seelen. Häufig setzten sie ungeeignete und unwissende Gläubige als Geistlichen ein, die durch ihren Lebenswandel kein gutes Vorbild waren. Auf diese Weise sank das Ansehen der Kirche und ihrer Diener beim Volke, besonders in Deutschland. Viele glaubenseifrige Geistliche beklagten diese Übelstände und sehnten eine Besserung des kirchlichen Lebens herbei.
Mißstände bei der Ablaß-Verkündigung.
Nach der kirchlichen Lehre konnte solchen Christen, die ihre Sünden bereuten und beichteten, sowie bestimmte vorgeschriebene gute Werke (Beten, Fasten, Almosengeben) verrichteten, ein Nachlaß zeitlicher Sündenstrafen, ein „Ablaß“ gewährt werden. – Bei der Verkündigung des Ablasses hatten sich Missbrauch eingeschlichen. Einzelne der damit beauftragten Prediger unterließen es, die Christen zur Buße und Besserung zu ermahnen, wie vorgeschrieben war. Das unwissende Volk meinte daher nicht selten, es käme hauptsächlich auf die Zahlung einer Geldsumme an. – Gegen die Art, wie der Ablaß verkündigt wurde, trat Dr. Martin Luther in Wittenberg öffentlich auf.
Dr. Martin Luther wurde als Sohn eines Bergmannes im Jahre 1483 in Eisleben geboren, besuchte die Lateinschulen zu Magdeburg und Eisenach und immatrikulierte in der Universität zu Erfurt, um Rechtsgelehrter zu werden. Er änderte aber seine Absicht und trat in den Mönchsorden der Augustiner ein. Auf Empfehlung des Vorstehers der Augustiner-Klöster berief ihn der Kurfürst von Sachsen als Lehrer an die Universität zu Wittenberg. Dort wurde er später Doktor der Theologie (Gottesgelehrtheit) und Prediger an der Stadtkirche.
Der Beginn der Reformation.
Der kunstsinnige Papst Leo X. wollte die Peterskirche in Rom umbauen und schrieb einen Ablaß aus, um Beisteuern dazu zu erhalten. Bei der Verkündigung des Ablasses trat wiederum der alte Übelstand hervor, so daß bei vielen ernsten Christen Anstoß erregt wurde. Als sich daher der Dominikaner-Mönch Johann Tetzel, der im Erzbistume Magdeburg den Ablaß predigte, der Stadt Wittenberg näherte, schrieb Luther in lateinischer Sprache 95 Sätze über den Ablaß und schlug sie am 31. Oktober 1517 an die Tür der Schloßkirche an. So war es in jener Zeit üblich, wenn ein Gelehrter seine Meinung kundtun und andre zu einer Änderung darüber veranlassen wollte. Dieses Ereignis, bei dem Luther sich nicht gegen Papst und Kirche, sondern nur gegen die Übelstände bei der Verkündigung des Ablasses wenden wollte, war der Anfang der Reformation.
In wenigen Wochen waren Luthers Sätze in Flugschriften über ganz Deutschland verbreitet und riefen überall eine ungewöhnliche Bewegung hervor. Die Dominikaner-Mönche erwiderten darauf, und es entstand ein heftiger Streit in Schriften und Gegenschriften. Luther griff dabei einzelne Lehren der Kirche an, während ihn seine Gegner der Irrlehre beschuldigten. Schließlich lud der Papst Luther zur Verantwortung nach Rom vor, beauftragte aber dann auf Wunsch des Kurfürsten von Sachsen den Kardinal Cajetan, den Streit in Augsburg beizulegen. Cajetan suchte Luther zum Widerruf seiner Lehren zu bewegen, aber dieser weigerte sich und kehrte nach Wittenberg zurück. Ein zweiter päpstlicher Unterhändler, der gewandte Kammerherr Miltitz, stellte Luther bei einer Zusammenkunft in Altenburg vor, welch unheilvolle Spaltung durch sein Auftreten in der Christenheit entstehen würde. Da versprach Luther, seine Lehren nicht weiter zu „predigen und zu schreiben“; seine Gegner sollten aber ebenfalls versprechen zu schweigen.
Luther sagt sich von der Kirche los.
Unter Luthers Gegnern befand sich der gelehrte Dr. Eck aus Ingolstadt. Zwischen diesem und einem Anhänger Luthers kam es in Leipzig zu einer öffentlichen Unterredung, an der auch Luther teilnahm. Hierbei erklärte dieser einzelne kirchliche Lehren, z. B. die Lehre vom Ablaß, für irrig, mehrere Lehren des in Konstanz verbrannten Huß dagegen für richtig und lehnte sich gegen das Ansehen des Papstes auf.
In einigen Schriften, die er kurze Zeit danach veröffentlichte, wandte er sich ferner gegen die sieben Sakramente der Kirche und die Ehelosigkeit der Priester. Diese und andre der von Luther verbreiteten Lehren wurden vom Papste, an den sich Dr. Eck gewendet hatte, als ketzerisch bezeichnet. Über Luther selbst wurde der Bann ausgesprochen, wenn er nicht binnen 60 Tage Widerruf leiste. – Da zog Luther am 10. Dezember 1520 mit einer Schar Studenten vor das Elstertor in Wittenberg und warf dort die päpstliche Bannbulle ins Feuer. Dadurch hatte er völlig mit der Kirche gebrochen.
Unter den Männern, die sich Luther in Wittenberg anschlossen, war Philipp Melanchthon der gelehrteste. Er hieß eigentlich Schwarzerd und war Professor der griechischen Sprache an der Universität zu Wittenberg.
Der Reichstag zu Worms 1521.
Nach dem Tode Maximilians I. (1519) war sein Enkel, Karl V., deutscher Kaiser geworden. Er herrschte zugleich über Spanien, die Niederlande und Italien. Da die Spanier durch die Entdeckungsfahrten des Kolumbus Herren von Amerika waren, sagte man von ihm mit Recht, „in seinem Reiche ginge die Sonne nie unter.“ Karl war noch jung an Jahren, aber weltklug und ein treuer Anhänger der Kirche. Als er zum ersten Male Deutschland betrat, berief er einen Reichstag nach Worms, auf dem auch über Luther und seine Lehren entschieden werden sollte. Luther wurde vorgeladen und erhielt freies Geleit zugesichert; ein Reichsherold holte ihn ab. Unter großem Zulaufe des Volks zog er in Worms ein. Gleich am Tage darauf mußte er vor den versammelten Fürsten und Herren erscheinen, bat jedoch als er zum Widerrufe seiner Schriften aufgefordert wurde, um einen Tag Bedenkzeit. Dieser Wunsch wurde ihm gewährt.
Als er sich am folgenden Tage weigerte, seine Lehren zu widerrufen, ließ ihn der Kaiser auffordern, von Worms abzureisen, und bewilligte ihm eine Frist von 21 Tagen. Dann verhängte er die Reichsacht über ihn, so daß ihn jedermann ungestraft töten konnte; seine Lehre wurde verboten. – Luther kam auf dem Rückwege nach Wittenberg durch den Thüringer Wald. Dort wurde er auf Veranlassung seines Landesherrn, des Kurfürsten von Sachsen, der ihn schützen wollte, von einigen Reitern überfallen und heimlich auf die Wartburg bei Eisenach gebracht. Auf diesem einsamen Bergschlosse lebte er zehn Monate lang in Verborgenheit und beschäftigte sich mit der Übersetzung der Bibel.
Der Bildersturm zu Wittenberg.
Zu dieser Zeit kamen zahlreiche Anhänger Luthers, meist Leute aus dem Handwerkerstande, von Zwickau nach Wittenberg. Sie verwarfen die Kindertaufe, sowie andre kirchliche Gebräuche (Messe) und verlangten, daß aus den Kirchen alle Bilder entfernt würden. Um ihre Forderungen durchzusetzen, drangen sie in die Gotteshäuser ein und zerstörten die Bildsäulen und Gemälde. Als er davon hörte, hielt es ihn keine Minute länger auf der Wartburg. Er eilte nach Wittenberg und predigte, bis es ihm gelungen war, den „Bildersturm“ beizulegen. Dann nahm er seine Lehrtätigkeit an der Universität wieder auf und fuhr fort, die Bibel zu übersetzen. – Zugleich suchte Luther zusammen mit Melanchthon und einigen andern seiner Anhänger im Kurfürstentume Sachsen eine neue Kirchenform einzurichten. Messe, Ohrenbeichte, Verehrung der Heiligen und Reliquien wurden abgeschafft, dagegen deutsche Predigt und deutscher Gesang beim Gottesdienste eingeführt. Von den sieben Sakramenten der Kirche ließ Luther nur das heilige Abendmahl, bei dem aber die Teilnehmer auch den Wein empfingen, und die Taufe bestehen. Die Ehelosigkeit der Geistlichen wurde aufgehoben. Luther selbst verheiratete sich mit Katharina von Bora, einer aus dem Kloster ausgetretenen Nonne. – In vielen Gegenden Deutschlands richtete man die Kirchen nach dem Vorbilde ein, das im Kurfürstentume Sachsen gegeben wurde. Auch das Schulwesen wurde überall da neugestaltet, wo Luthers Lehre Eingang fand.