Wilhelm I. 1861-1888. Bis zum Prager Frieden.
Erst unter Friedrich Wilhelms IV. Nachfolger, Wilhelm I. sollte sich die Sehnsucht des deutschen Volkes nach der Wiederaufrichtung des Deutschen Kaiserreiches und der Einigung der deutschen Stämme unter einem Kaiser erfüllen. Er wurde am 22. März 1797 geboren und war der zweite Sohn Friedrich Wilhelms III. Und der Königin Luise. Seine Kinderjahre fielen in die traurige Zeit von Preußens Erniedrigung. Mit Eltern und Geschwistern mußte er vor den Franzosen nach Memel fliehen. Als Knabe von 13 Jahren kniete er am Sterbebette seiner Mutter. Diese hatte stets seinen einfachen und pflichttreuen Sinn gerühmt. Er ist auch sein Leben lang in Wesen und Lebensweise einfach geblieben und hat bis zum Tode durch eiserne Pflichttreue seinem Volke ein leuchtendes Vorbild gegeben. Von Jugend an zeigte der Prinz eine Vorliebe für den Soldatenstand und erwarb sich bald eine gründliche Kenntnis des militärischen Dienstes.
Im Jahre 1814 begleitete er seinen Vater in den Krieg und zog zweimal mit in Paris ein. Als er älter geworden war, nahm er in der Armee bald eine führende Stellung ein. Im Jahre 1829 vermählte er sich mit der geistvollen Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar. Die Ehe wurde mit zwei Kindern gesegnet, dem nachmaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm und der Prinzessin Luise, die sich später mit dem Großherzoge von Baden vermählte.
An der Spitze der preußischen Truppen warf Prinz Wilhelm 1848 den in Baden ausgebrochenen Volksaufstand nieder. Als Friedrich Wilhelm IV. 1858 in Krankheit verfiel, übernahm er unter dem Titel „Prinzregent“ für ihn die Regierung und bestieg 1861 nach dem Tode seines Bruders den preußischen Königsthron. In Königsberg setzte er zuerst sich und dann seiner Gemahlin die Krone auf das Haupt.
Den feierlichen Akt erlebte er in tiefster Gemütsbewegung, als ein Gelöbnis treuer Pflichterfüllung im Angesichte Gottes des Herrn. Eingedenk dessen, sagte er dann den anwesenden Landtagsmitgliedern und Ständen:
„Da die Krone nur von Gott kommt, habe ich durch die Krönung an geheiligter Stätte bekundet, daß ich sie in Demut aus seinen Händen empfangen habe.“
Verbesserung des Heeres.
Wenn Preußen das alte Ansehen, das es durch den Vertrag von Olmütz eingebüßt hatte, wiedererlangen wollte, so bedurfte es eines starken Heeres. Seine erste Aufgabe erblickte König Wilhelm daher in der Verbesserung und Vermehrung der Truppen, deren Anzahl nicht mehr im rechten Verhältnisse zu der angewachsenen Bevölkerung stand.
Die Anzahl der Regimenter wurde verdoppelt; die Fußtruppen wurden mit dem Zündnadelgewehre bewaffnet; die Artillerie erhielt gezogene Hinterladekanonen. Um das Heer schneller kriegsbereit machen zu können, trennte der Kriegsminister von Roon, der den König in diesen Fragen beriet, die Landwehr von den jüngeren Soldaten und bildete aus ihr besondere Truppenteile.
Die dreijährige Dienstzeit wurde streng durchgeführt. Bei diesen Plänen stieß der König aber auf den Widerstand des Abgeordnetenhauses, das die dazu nötigen Geldmittel nicht bewilligen wollte. Um die schwierigen Verhandlungen mit der Volksvertretung zu führen, wurde der bisherige Gesandte in Paris, Otto von Bismarck, vom Könige an die Spitze der Regierung berufen.
Otto von Bismarck, geboren 1815 in Schönhausen, stammte aus einer Adelsfamilie der Altmark. Er besuchte in Berlin das Gymnasium zum grauen Kloster und studierte in Göttingen und Berlin die Rechte. Dann trat er in den Staatsdienst, verließ diesen aber wieder und bewirtschaftete seine väterlichen Güter an der Elbe.
In der Heimat erwarb er sich bald Vertrauen und wurde zum Deichhauptmann gewählt, dem die Oberaufsicht über die schützenden Elbdämme oblag. 1847 kam er als Abgeordneter in den Landtag, wo er mit großer Schärfe die Rechte des Königs vertrat. Er wurde deshalb auch von Friedrich Wilhelm IV. zum Gesandten beim Bundestage in Frankfurt ernannt. Dort erkannte Bismarck, daß eine Einigung des deutschen Vaterlandes nie möglich sein werde, solange beide Großmächte, Österreich und Preußen, zu Deutschland gehörten. Später wurde Bismarck Gesandter in Petersburg und darauf in Paris.
Als ihn König Wilhelm zum Ministerpräsidenten ernannte, sprach es Bismarck offen aus, daß Deutschland nicht durch Verhandlungen und Verträge, sondern nur durch „Blut und Eisen“ geeinigt werden könne. Er besaß das volle Vertrauen des Königs und war felsenfest von der Notwendigkeit der Heeresvermehrung überzeugt. Daher führte er mutig und mit zäher Willenskraft trotz aller Anfechtungen den schweren Streit mit dem Abgeordnetenhause.
Der Deutsch-Dänische Krieg 1864.
Die Dänen hatten ihre Bemühungen, Schleswig ihrem Lande einzuverleiben, fortgesetzt. Sie sandten dänische Beamte und Lehrer nach Schleswig und belegten jeden, der seine deutsche Gesinnung offen zeigte, mit Geld- und Gefängnisstrafen. Im Jahre 1864 zwangen sie sogar ihren König, die Vereinigung Schleswigs mit Dänemark durch Gesetz zu erklären.
Da nahmen sich Österreich und Preußen der bedrängten Schleswiger an und ließen Truppen in Schleswig-Holstein einrücken. Die Preußen wurden von einem Neffen König Wilhelms, dem Prinzen Friedrich Karl befehligt; den Oberbefehl über alle Truppen führte der alte preußische Feldmarschall Wrangel. Die Dänen wurden gezwungen, das Danewerk, einen langen Erdwall, der sich quer durch das Land zog, zu räumen, und gingen in die starken Düppler Schanzen zurück, die den Übergang nach der Insel Alsen deckten.
Diese Schanzen bestanden aus zehn hohen Erdwerken, die durch Gräben, Pfahlwerk und dergleichen unzugänglich gemacht und mit schweren Geschützen besetzt waren. Während die Österreicher weiter nach Jütland vordrangen, begannen die preußischen Truppen die Düppler Schanzen zu belagern, und am 18. April 1864 früh 10 Uhr erfolgte unter dem Klange des Düppler Marsches der allgemeine Sturm auf die Wälle. Den Angriffskolonnen gingen Pioniere voran, die das Pfahlwerk sprengten und die Gräben mit Sandsäcken ausfüllten.
Trotz des furchtbaren Feuers und der tapfersten Gegenwehr der Dänen flatterten schon nach einer Viertelstunde auf sechs eroberten Schanzen die preußischen Fahnen. Am Nachmittage fielen auch die letzten Befestigungen, und die Dänen flüchteten auf einer Schiffbrücke, die sie hinter sich abbrachen, nach Alsen.
Bei der Schwäche der preußischen Flotte glaubten sie, hier vor einem Angriffe geschützt zu sein. Prinz Friedrich Karl ließ jedoch heimlich Kähne zusammenbringen; eine preußische Truppenmacht setzte in der Nacht nach Alsen über und brachte die Insel in ihre Gewalt. Die dänischen Schiffe erschienen zu spät, um den Übergang hindern zu können. Da sahen die Dänen ein, daß sie auch auf ihren Inseln nicht sicher waren. Sie traten im Frieden zu Wien Schleswig-Holstein, sowie das Herzogtum Lauenburg a. d. Elbe an Österreich und Preußen ab.
Der deutsche Krieg 1866.
Österreich verlangte, daß aus Schleswig-Holstein ein neuer Staat gebildet und der Herzog von Augustenburg, der alte Erbrechte besaß, an seine Spitze gestellt würde. König Wilhelm war einverstanden, forderte jedoch, daß sich der Herzog mit Heer- und Postwesen an Preußen anschlösse: denn ein neuer Staat im Norden war sonst für Preußen gefährlich. Dies wollten aber weder Österreich noch der Herzog. Durch einen Vertrag, den Bismarck zustande brachte, wurde der Streit vorläufig beigelegt. Schleswig sollte durch Preußen, Holstein durch Österreich verwaltet werden;
Lauenburg wurde gegen eine Geldentschädigung Preußen überlassen. Für das Zustandekommen des Vertrags erhob König Wilhelm Bismarck in den Grafenstand. Da der österreichische Statthalter die Anhänger des Herzogs von Augustenburg in Holstein frei gewähren ließ, hörten die Streitigkeiten wegen der beiden Herzogtümer jedoch nicht auf.
Auf Bismarcks Beschwerden rief Österreich die Entscheidung des Bundestags an, und dieser beschloß, das Bundesheer kriegsbereit zu machen, um Preußen zum Nachgeben zu zwingen. Der Krieg zwischen den deutschen Stämmen war unvermeidlich geworden.
Auf Österreichs Seite standen die süddeutschen Staaten, Hannover, Kurhessen, Nassau und die freie Stadt Frankfurt; die norddeutschen Kleinstaaten dagegen schlossen sich Preußen an. Vorher schon hatte Bismarck mit Italien, das Venetien zu gewinnen hoffte, ein Bündnis geschlossen.
Die Besetzung Norddeutschlands.
Nach einem Plane, den General von Moltke aufgestellt hatte, rückten die preußischen Truppen überraschend schnell in Hessen, Sachsen und Hannover ein. Der Kurfürst von Hessen wurde gefangen genommen; seine Truppen hatten sich aber am Maine mit den Süddeutschen vereinigt.
Der sächsischen Armee gelang es, nach Böhmen zu den Österreichern zu entkommen. Der König von Hannover suchte mit seinem Heere Bayern zu erreichen, wurde aber bei Langensalza von schwachen preußischen Abteilungen angegriffen und festgehalten.
Die tapfere hannöversche Armee errang bei Langensalza zwar den Sieg, mußte sich aber einige Tage darauf gefangen geben, da sie von herbeigeeilten preußischen Streitkräften umstellt war. Dem Könige von Hannover wurde erlaubt, sich nach Österreich zu begeben.
Der Einmarsch in Böhmen.
Das preußische Heer, das den Kampf gegen Österreich führte, war in drei Armeen eingeteilt. Die Elbarmee befehligte der General Herwarth von Bittenfeld, die I. Armee Prinz Friedrich Karl, die II. Armee der Kronprinz Friedrich Wilhelm. Sie sollten einzeln die Sudeten überschreiten und sich bei Gitschin in Böhmen vereinigen.
Die Elbarmee und die I. Armee drangen von Norden her über das Gebirge und stellten die Verbindung unter sich her, nachdem sie die ihnen entgegentretenden feindlichen Abteilungen geschlagen hatten.
Schwerer war die Aufgabe des Kronprinzen. Er mußte wegen der Enge der schlesischen Gebirgspässe drei voneinander entfernte Straßen benutzen, auf denen seine Truppen einzeln angegriffen und in das Gebirge zurückgeworfen werden konnten. Eine Heeresabteilung wurde auch wirklich von den Österreichern zurückgedrängt; aber die auf der mittleren Straße marschierende Garde wetzte die Scharte aus, indem sie am Tage darauf den Feind bei Trautenau besiegte.
Glänzend löste General von Steinmetz, der mit seinem Korps die südöstlichste Straße eingeschlagen hatte, seine Aufgabe. Aus dem Gebirge heraustretend zertrümmerte er an drei hintereinander folgenden Tagen drei verschiedene österreichische Armeekorps, die sich ihm einzeln entgegenstellten.
Nach dem Orte der ersten Schlacht erhielt er den Ehrennamen „Der Löwe von Nachod“. Die Verbindung der drei preußischen Armeen war nun hergestellt. König Wilhelm begab sich mit Moltke, Roon und Bismarck nach Böhmen und übernahm den Oberbefehl.
Die Schlacht bei Königgrätz.
Der österreichische Oberbefehlshaber riet nun seinem Kaiser dringend, sofort Frieden zu schließen, da das österreichische Heer dem preußischen nicht gewachsen sei. Er erhielt jedoch den Befehl, eine Entscheidungsschlacht zu schlagen. Daher nahm er nordwestlich der Festung Königgrätz eine Verteidigungsstellung ein, die er noch befestigte; besonders stark besetzte er die Höhe von Chlum.
König Wilhelm beschloß, mit den beiden ersten Armeen sofort anzugreifen, und noch in später Nacht erhielt der Kronprinz Befehl, zu Hilfe zu kommen. Am 3. Juli 1866 entbrannte die Schlacht. Der König war den ganzen Tag im Sattel und teilte alle Anstrengungen und Gefahren mit seinen Truppen. Als er dem feindlichen Granatfeuer zu nahe kam, bat ihn Bismarck dringend, sich nicht so großer Gefahr auszusetzen.
„Ich kann doch nicht davon reiten, wenn meine brave Armee im Feuer steht!“ war die Antwort des Königs. Besonders schwer litten die Magdeburgischen Regimenter unter General von Fransecki, die in den „Swiepwald“ eingedrungen waren. Als ein weiteres Vorwärtskommen unmöglich war, setzten sich die tapferen Truppen am Waldrande fest, und General Fransecki stieß seinen Degen in die Erde mit den Worten: „Hier sterben wir!“
Im Kampfe mit mehr als vierfacher Übermacht und unter furchtbarem Geschützfeuer hielten die zusammengeschossenen Bataillone ihre Stellung fest. Endlich kam der Kronprinz mit seinem Heere auf dem Schlachtfelde an. Unablässig war die II. Armee gegen Flanke und Rücken des Feindes marschiert, und am Nachmittage erstürmte die preußische Garde die Höhe von Chlum. Um nicht abgeschnitten zu werden, mußte der tapfere Gegner den Rückzug antreten. Die blutigste und größte Schlacht seit der großen Völkerschlacht bei Leipzig war geschlagen worden.
Auf der Höhe von Chlum traf König Wilhelm mit dem Kronprinzen zusammen, schloß ihn tief bewegt in die Arme und schmückte ihn mit dem höchsten preußischen Kriegsorden. An die Königin sandte er folgenden Drahtbericht:
„Einen vollständigen Sieg über die österreichische Armee haben wir heute in einer achtstündigen Schlacht erfochten. Ich preise Gott für seine Gnade. Der Gouverneur soll Viktoria schießen.“
Die preußischen Heere drangen nun unaufhaltsam gegen Wien vor, so daß der Kaiser von Österreich schleunigst Friedensverhandlungen anknüpfte.
Der Mainfeldzug.
Die Streitkräfte, die gegen Süddeutschland zu fechten bestimmt waren, drängten die Bayern in mehreren siegreichen Gefechten über den Main und besetzten Frankfurt. Später überschritten die preußischen Truppen unter dem Befehle des Generals von Manteuffel den Main und schlugen die Süddeutschen noch an der Tauber.
Der Friedensschluß.
Nach dem Vorfrieden zu Nikolsburg kam am 23. August 1866 der Friede zu Prag zustande. Die Friedensbedingungen, die dem besiegten Kaiserstaate auferlegt wurden, waren sehr milde. Bismarck wollte zwar Österreich aus Deutschland hinausdrängen, um die deutsche Einigung zu ermöglichen, es aber nicht zu einem unversöhnlichen Gegner machen. Auch galt es, durch einen schnellen Friedensschluß zu verhindern, daß Napoleon III. sich zum Schiedsrichter zwischen Österreich und Preußen aufwarf und als Lohn dafür deutsches Gebiet erlangte. Daher forderte Bismarck keine Landabtretung von Österreich; auch Sachsen blieb in ganzem Umfange erhalten. Venetien freilich mußte Österreich an Italien überlassen, obgleich die Italiener zu Wasser und zu Lande geschlagen worden waren.
Österreich schied aus Deutschland aus, zahlte 60 Millionen Mark Kriegsentschädigung und verzichtete zugunsten Preußens auf Schleswig-Holstein. Die süddeutschen Staaten zahlten ebenfalls geringe Kriegskosten. Sie schlossen auf Bismarcks Veranlassung mit Preußen ein geheimes Bündnis, nach dem sie im Falle eines Krieges ihre Truppen unter den Oberbefehl König Wilhelms stellten. Schleswig-Holstein, Hannover, Kurhessen, Nassau, Hessen-Homburg und die freie Stadt Frankfurt a. M. wurden Preußen einverleibt.
Aus den erworbenen Gebieten wurden die drei Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover und Hessen-Nassau gebildet. Damit war der Zusammenhang zwischen den östlichen und westlichen Landesteilen Preußens, sowie der Zugang zur Nordsee hergestellt. Alle Länder nördlich des Mains vereinigten sich unter Führung Preußens zu dem Norddeutschen Bunde und bildeten ein einheitliches Militär-, Post-, Telegraphen-, Zoll- und Handelsgebiet.
Der König von Preußen war der Präsident und Graf Bismarck der Kanzler des Bundes. Die Fürsten und freien Städte wurden bei der Verwaltung der gemeinsamen Angelegenheiten durch Bevollmächtigte vertreten, die zu einem „Bundesrate“ zusammentraten; ein Reichstag, dessen Mitglieder vom Volke gewählt wurden, beriet mit dem Bundesrate die Gesetze. Ein gewaltiger Schritt zur Errichtung des ersehnten einigen deutschen Reiches war damit getan.