Kaiser Wilhelm I. Friedenszeit.
„Allezeit Mehrer des Reiches zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an Gütern und Gaben des Friedens“ hatte Kaiser Wilhelm am 18. Januar 1871 in Versailles versprochen. Siebzehn Jahre hat er an der Spitze des Reiches gestanden, für die ganze Welt ein Schirmherr des Friedens.
Beraten von seinem großen Kanzler, dem Fürsten Bismarck, wahrte er dem deutschen Volke die geachtete Stellung, die es sich unter blutigen Opfern erkämpft hatte. Auf Einladung Deutschlands traten Gesandte aller gebildeten Völker zusammen und gründeten 1874 den Weltpostverein. Durch ihn wurde es ermöglicht, für billigen Preis Briefe usw. nach allen Teilen der Erde zu senden. Als nach einem Feldzuge Rußlands gegen die Türkei 1877/78 wegen der Friedensbedingungen zwischen den Völkern Europas Krieg auszubrechen drohte, lud Fürst Bismarck Vertreter der europäischen Staaten zu dem Berliner Kongresse ein. Hier wurden unter seinem Vorsitze die Verhältnisse der Balkanhalbinsel geordnet und die Streitigkeiten beigelegt. Unablässig war der große Kaiser bemüht, das Heer und die neugegründete kaiserliche Flotte, in der die preußische Kriegsflotte aufgegangen war, schlagfertig zu erhalten.
Die Festungen Metz und Straßburg wurden durch Außenwerke verstärkt, die Kriegshäfen Kiel und Wilhelmshafen ausgebaut. Mit Österreich schloß Fürst Bismarck 1879 ein Bündnis, dem später auch Italien beitrat. Dieser Dreibund erwies sich im Laufe der Jahre als ein mächtiger Hort des Friedens. Unter dem Schutze des Reiches nahm der Seehandel einen ungeheuern Aufschwung.
Um den Verkehr zwischen Nord- und Ostsee zu erleichtern und in Kriegszeiten der deutschen Flotte eine schnelle Vereinigung zu ermöglichen, wurde der Bau des Nordostsee – Kanals in Angriff genommen.
Im Jahre 1883 erwarb Deutschland seine ersten Kolonien und suchte damit nachzuholen, was es in der traurigen Zeit der deutschen Uneinigkeit versäumt hatte. Wenn auch die wertvollsten überseeischen Länder sich schon in den Händen anderer Völker befanden, so besitzt Deutschland doch in Togo, Kamerun, Südwestafrika, Ostafrika, Neuguinea und den Südseeinseln Gebiete, die eine große Zukunft versprechen.
Mit der Sorge um Deutschlands Weltstellung ging der innere Ausbau des Reiches Hand in Hand. Eine einheitliche Gerichtsverfassung wurde eingeführt und als oberster Gerichtshof das Reichsgericht in Leipzig eingesetzt. In Preußen wurden die Eisenbahnen, soweit sie sich noch im Besitze von Gesellschaften befanden, vom Staate gekauft und unter einheitliche Verwaltung gestellt. Mit der fortschreitenden Gründung von Fabriken wuchs die Zahl der Menschen, die in ihnen Beschäftigung fanden;die Arbeiterklasse wurde durch Zuzug vom Lande allmählich die zahlreichste im Reiche. Da der Absatz der Ware oft Schwankungen unterworfen ist und bei geringem Verkaufe nicht selten Leute entlassen wurden, so geriet der Arbeiter mit seiner Familie in eine unsichere Lebenslage und mußte besonders in Tagen der Krankheit oft Not leiden.
Da richtete Kaiser Wilhelm 1881 an den Reichstag die Aufforderung, zur Besserung der Lage der Arbeiterklasse besondere Gesetze zu beraten. So entstanden das Kranken- und Unfallversicherungsgesetz.Die Einrichtung einer Alters- und Invalidenversicherung hat zwar Kaiser Wilhelm I. nicht mehr erlebt. Aber dem in seinem Geiste wirkenden Enkel, Kaiser Wilhelm II.,
ist es gelungen, auch dieses Gesetz zustande zu bringen.
Kaiser Wilhelms Lebensabend.
Kaiser Wilhelm blieb trotz der großen Erfolge, an denen sein langes Leben so reich war, anspruchslos und bescheiden. Ein eisernes Feldbett war seine Lagerstatt, und seine Zimmer in Babelsberg bei Potsdam, wo er gern im Sommer weilte, zeigten eine schlichte Ausstattung. In Berlin bewohnte er ein einfaches Gebäude am Opernplatze, das er schon als Prinz bezogen hatte. In dem zu ebener Erde gelegenen geräumigen Eckzimmer erledigte er bis in sein hohes Alter hinein die Regierungsgeschäfte.
Mittags um 1 Uhr, wenn die Schloßwache mit klingendem Spiele vorüberzog, pflegte er sich von seinem Schreibtische zu erheben und an das Eckfenster zu treten. Da diese Gewohnheit bekannt war, sammelten sich täglich zur Mittagszeit Hunderte von Menschen dem „historischen Eckfenster“ gegenüber, um den greisen Helden zu sehen. Mit freundlichem Gruße erwiderte der alte Kaiser die Huldigungen der Menge, ehe er in das Zimmer zurücktrat.
Im Jahre 1879 feierte Kaiser Wilhelm unter herzlicher Teilnahme seines Volkes mit seiner treuen Lebensgefährtin, der Kaiserin Augusta, das Fest der goldenen Hochzeit;1882 wurde sein erster Urenkel geboren. Mit den fröhlichen Worten: „Hurra, vier Kaiser“ empfing er die freudige Nachricht. Die große Verehrung, die Kaiser Wilhelm in der ganzen Welt genoß, zeigte sich besonders, als er seinen 90. Geburtstag feierte. Fast 100 Fürsten aus Deutschland und vielen andern Staaten kamen in Berlin zusammen, um ihn, den ältesten Herrscher der Erde, zu beglückwünschen. Aber auch das Leid verschonte den hochbetagten Kaiser nicht. Von tiefem Schmerze wurde er ergriffen, als sein einziger Sohn an einem schweren Halsleiden erkrankte und in dem milderen Klima Italiens Heilung suchen mußte.
Sein Heimgang.
Bis in das höchste Greisenalter hinein hatte Gott dem Kaiser die Rüstigkeit erhalten. Noch als hoher Achtziger konnte Wilhelm I. das Roß besteigen, um seine Truppen zu besichtigen; schließlich aber machte sich doch die Schwäche des Alters geltend. Nach seinem 90. Geburtstage kränkelte Kaiser Wilhelm häufig, und im März 1888 nahte das Ende. Da sein Sohn noch in Italien weilte, besprach er im Beisein des Fürsten Bismarck mit seinem Enkel, dem Prinzen Wilhelm, die Zukunft des Reiches und gab ihm seine Ratschläge. Auf die Bitte, sich zu schonen, äußerte er: „Ich habe keine Zeit, müde zu sein!“ Noch auf dem Sterbebette unterschrieb er ein wichtiges Schriftstück, das ihm Fürst Bismarck vorlegte.
Am 9. März 1888 schloß Kaiser Wilhelm im Glauben an seinen Erlöser für immer die Augen. Mit banger Befürchtung hatte man im ganzen deutschen Vaterlande die Berichte vom Krankenlager erwartet und tiefe Trauer ergriff bei der Todesnachricht die Herzen. Die Erinnerung an die ehrwürdige Greisengestalt Kaiser Wilhelms I. wird im deutschen Volke unauslöschlich fortdauern.
„Lebe wohl, alter Kaiser!“ stand oben am Brandenburger Tore angeschrieben, als der Zug mit der Leiche des ersten Deutschen Hohenzollernkaisers die Stadt Berlin verließ.
Kaiserin Augusta.
Kaiserin Augusta war ihrem Gemahle in Freud und Leid eine verständnisvolle Gefährtin, ihrem Volke eine echte Landesmutter. Ihre schönste Aufgabe erblickte sie darin, Not zu lindern und Tränen zu trocknen. Armen-, Kranken- und Waisenhäuser, Volksküchen und viele andere Wohltätigkeitsanstalten sind auf ihre Veranlassung errichtet worden. Eine besonders rege Liebestätigkeit entfaltete sie während der Feldzüge, als es galt, den Tausenden von Verwundeten und Kranken Hilfe zu spenden.
Um die Pflege im Kriege in feste Ordnung zu bringen, gründete sie den Vaterländischen Frauenverein, der bei Ausbruch eines Krieges Lazarette, Ärzte und Krankenpflegerinnen in das Feld sendet. Schon 1870 hat er außerordentlich segensreich gewirkt und dazu beigetragen, daß viele verwundete und kranke Soldaten die Gesundheit wiedererlangt haben. Am liebsten hielt sich die Kaiserin Augusta in Koblenz auf, wo sie am Rheine schöne Gartenanlagen geschaffen hat. In ihrem hohen Alter traf sie mancherlei Leid; im Jahre 1888 verlor sie den unvergeßlichen Gemahl und wenige Monate später den einzigen Sohn. In Gottergebung hat sie das ihr auferlegte Geschick getragen, bis sie, zwei Jahre später, 78 Jahre alt, von der Erde abgerufen wurde. Sie liegt neben Wilhelm I. zu Charlottenburg begraben.