Der Wiener Kongreß und der Deutsche Bund.
Bald nach Beendigung des gewaltigen Krieges 1814 versammelten sich die verbündeten Fürsten in Wien, um den Länderbesitz der einzelnen Staaten festzustellen. Auf dem Wiener Kongresse trat wieder das Bestreben Österreichs hervor, Preußen nicht zu Macht und Ansehen kommen zu lassen. Obgleich es in den Befreiungskämpfen die größten Opfer gebracht hatte, erhielt es weniger Gebiet, als es vor 1806 besessen hatte. Es mußte Ansbach-Bayreuth an Bayern und Ostfriesland an Hannover abtreten. Dafür bekam es die Hälfte des Königreich Sachsens, sowie den größten Teil der jetzigen Provinzen Westfalen und Rheinland.
Gegen das Herzogtum Lauenburg a. E. tauschte es das schwedische Vorpommern ein, so daß seit 1815 ganz Pommern preußisch ist. Von seinen polnischen Besitzungen wurden ihm nur Danzig, Thorn und Posen zurückgegeben, der Rest fiel an Rußland. Preußen war durch Hannover, Kurhessen und andere Staaten in eine große östliche und eine kleine westliche Hälfte gespalten, so daß ihm ein Krieg, in dem diese Länder sich feindlich verhielten, große Gefahr bringen konnte. Es war aber durch den Wiener Kongreß wieder ein vorwiegend deutsches Land geworden. Das deutsche Kaiserreich wurde nicht wieder aufgerichtet. An seine Stelle trat der „Deutsche Bund“, zu dem Österreich, die fünf Königreiche Preußen, Bayern, Württemberg, Hannover und Sachsen, sowie dreißig Kleinstaaten und vier freie Städte, im ganzen 40 Glieder, gehörten.
Die Angelegenheiten Deutschlands sollten durch Vertreter der Regierungen aller deutschen Länder gemeinsam beraten werden. Dieser „Bundestag“, in dem Österreich den Vorsitz führte und den meisten Einfluß besaß, trat in Frankfurt a. M. zusammen. So blieb Deutschland ohne Einheit und Oberhaupt in viele selbständige Staaten zerrissen, unter denen die beiden alten Gegner, Österreich und Preußen, den Vorrang zu gewinnen trachteten.
Die heilige Allianz.
Das deutsche Volk war durch diese Gestaltung des Reiches enttäuscht. Als auch das Versprechen, eine Verfassung zu geben, d. h. das Volk durch gewählte Abgeordnete an der Regierung der Staaten teilnehmen zu lassen, nur von wenigen Fürsten gehalten wurde, stieg die Unzufriedenheit unter den gebildeten Bevölkerungsschichten in hohem Maße. Alexander I., Franz I. und Friedrich Wilhelm III. hatten während der Befreiungskriege ein Bündnis, die „heilige Allianz“, geschlossen, in dem sie „Regierung ihrer Länder in christlichem Geiste“ gelobten. Der österreichische Minister Metternich benutzte diesen Bund, um alle Bestrebungen zu unterdrücken, die auf freiheitliche Einrichtungen und auf Deutschlands Einigung hinzielten. Über 30 Jahre übte er in ganz Deutschland einen unheilvollen Einfluß aus. Er verhinderte, daß Friedrich Wilhelm III. eine Volksvertretung berief, so daß es in Preußen nur zur Bildung von Provinzialständen kam. Vereine von Turnern und Studenten, sowie Versammlungen wurden verboten und die Zeitungen unter strenge Aufsicht gestellt. Männer, die den Wünschen des Volkes Ausdruck zu geben wagten, wurden verfolgt und in die Gefängnisse geworfen; selbst Arndt, Jahn u. a., die sich um Deutschlands Befreiung verdient gemacht hatten, blieben nicht verschont.
Friedrich Wilhelms III. Sorge für sein Land.
Nach den Befreiungskämpfen waren in Preußen große Aufgaben zu lösen. Schulden, die durch den Krieg entstanden waren, mußten gedeckt, die neuen Landesteile in den Staat eingegliedert werden. Der König ließ die Verwaltung in sparsamster Weise führen und setzte die Ausgaben für den Hof auf eine bestimmte Jahressumme fest. Das Land wurde in acht Provinzen (Preußen, Pommern, Brandenburg, Sachsen, Posen, Schlesien, Westfalen und Rheinland) geteilt, an deren Spitze je ein Oberpräsident stand. Jede Provinz zerfiel wieder in Regierungsbezirke, die von Präsidenten verwaltet wurden, und in Kreise unter Landräten. Vertreter des Grundbesitzes und der Städte bildeten den Provinziallandtag, der die Angelegenheiten der Provinz beriet. In jeder Provinz wurde ein Armeekorps aufgestellt, das ein kommandierender General befehligte. Als neuntes Armeekorps trat die Garde in Berlin und Potsdam hinzu, die aus allen Provinzen ihre Soldaten erhielt. Die allgemeine Wehrpflicht wurde durchgeführt und an der Einrichtung der Landwehr festgehalten. Jeder Preuße mußte drei Jahre bei der Truppe, zwei Jahre in der Reserve und je sieben Jahre in der Landwehr ersten und zweiten Aufgebots dienen. Die Heerführer der Befreiungskriege hatte der König durch Standeserhöhungen belohnt. Bülow, Tauentzien, York, Kleist und Gneisenau wurden in den Grafenstand erhoben; Blücher war zum „Fürsten von Wahlstatt“ ernannt worden.
Damit zur Durchführung der allgemeinen Schulpflicht eine hinreichende Anzahl geeigneter Lehrer angestellt werden konnte, ließ Friedrich Wilhelm III. neue Seminare einrichten. Die Universität Wittenberg wurde nach Halle verlegt und im Westen des Landes die Universität Bonn gegründet. Als im Jahre 1817 die dritte Jahrhundertfeier der Reformation begangen wurde, vereinigten sich die lutherische und die reformierte Kirche auf Veranlassung des Königs unter einer gemeinsamen Oberbehörde. Die Gemeinden, die sich dieser „Union“ (Vereinigung) anschlossen, nannten sich „evangelisch“.
Seit der Befreiung der Bauern entwickelte sich in der Landwirtschaft ein reges Streben. Die Gemeindeländereien wurden unter die zur Benutzung Berechtigten verteilt und die Äcker so zusammengelegt, daß jeder Bauer bequem und ohne durch den Nachbar behindert zu werden, sein Land bewirtschaften konnte. Auch die Viehzucht machte große Fortschritte. Die alte Dreifelderwirtschaft hörte nach und nach auf, Kartoffel- und Kleebau verbreiteten sich allgemein.
Die Landwirte fingen an, die Lehren der Naturwissenschaft auf den Ackerbau anzuwenden und die Felder künstlich zu düngen. Man kam auch allmählich zu der Einsicht, daß der Landbau regelrecht erlernt werden müßte. Bei Berlin entstand die erste landwirtschaftliche Hochschule.
Die deutsche Vielstaaterei war der Entwicklung des Handels sehr hinderlich. Jedes Land erhob von den Waren, die der Kaufmann hindurchführen wollte, hohe Zölle, so daß es fast unmöglich war, auf weitere Entfernungen Handel zu treiben. Da gründete Friedrich Wilhelm III. 1834 den deutschen Zollverein, dem trotz der Abmahnungen Österreichs bald viele deutsche Staaten beitraten. Sie bildeten zusammen mit Preußen ein einheitliches Zollgebiet, in dem die Waren nur einmal versteuert werden mußten. Das Geld, das dadurch einkam, wurde unter die beteiligten Länder nach der Bevölkerungszahl verteilt. Der Zollverein führte einen großen Aufschwung des Handels herbei, er brachte auch die deutschen Staaten einander näher und hat so die spätere Einigung Deutschlands vorbereitet. Ein völliger Umschwung des wirtschaftlichen Lebens vollzog sich mit der Einführung der Dampfmaschine. Die ersten Fabriken entstanden, zwischen Berlin und Potsdam wurde 1838 die erste preußische Eisenbahn gebaut. Auf den Strömen begannen Dampfschiffe zu verkehren, und auch der Seehandel fing wieder an sich zu beleben.
In der langen Friedenszeit, die auf die Befreiungskriege folgte, strebte der deutsche Bürgerstand mächtig empor und übernahm in Wissenschaft und Kunst, in Handel und Gewerbe die Führung. Neben den drei alten Ständen (Adel, Bürger, Bauern) begann sich durch die zahlreicher werdenden Fabriken ein neuer, vierter Stand, der Arbeiterstand, zu bilden.