Großherzogtum Hessen 1806 bis heute.
Das Großherzogtum Hessen ist ein Deutscher Bundesstaat, besteht aus zwei durch Preußisches Gebiet getrennten Hauptteilen nebst elf kleineren Exklaven und liegt mit seinen Hauptteilen zwischen 7°51´ und 9°39´ östlicher Länge und 49°24´ und 50°50´ nördlicher Breite. Das südliche Hauptgebiet wird durch den Rhein in die Provinzen Starkenburg und Rheinhessen getrennt und grenzt nördlich an Preußen, östlich an Bayern und Baden, südlich an Baden, westlich an die Bayrische Rheinpfalz und Rheinpreußen; der nördliche Hauptteil umfasst die Provinz Oberhessen und wird gänzlich von Preußen umschlossen. Von den Exklaven sind die größten die zusammenhängenden Gemarkungen Wimpfen a. Berg, Wimpfen i. Tal und Hohenstadt, an Baden und Württemberg grenzend, die mit Baden gemeinschaftliche Gemarkung Kürnbach und die Gemarkung Helmhof mit Forstbezirk, beide von Baden umschlossen, sowie die von Preußen umschlossene Gemarkung Steinbach, sämtlich zur Provinz Starkenburg gehörig. Die zur Provinz Oberhessen gehörenden Parzellen (mehrere Walddistrikte) liegen südwestlich von dieser Provinz in Preußischem Gebiet. Enklaven fremder Staaten (Preußen und Baden) sind acht von Hessischem Gebiet eingeschlossen.
Das Großherzogtum Hessen ist zusammengesetzt teils aus den älteren Ländern, nämlich der Obergrafschaft Katzenelnbogen (1567) und dem größeren Teil von Oberhessen (1584 und 1627), teils aus den seit 1803 zur Entschädigung und durch Tausch hinzugekommenen Teilen von Kurpfalz und Kurmainz, dem Bistum Worms, der Abtei Seligenstadt, den ehemaligen Reichsstädten Worms, Friedberg und Wimpfen und einem Teil des ehemaligen französischen Departements Donnersberg (Provinz Rheinhessen, ferner den Standesherrschaften Isenburg, Solms, Schlitz, Stolberg, Erbach, Löwenstein-Wertheim etc. sowie den reichsritterschaftlichen Besitzungen der Familien Riedesel, Löw, Wambolt, Gemmingen etc.
Hauptstadt des Großherzogtums Hessen:
Darmstadt = 83 385 Einwohner (1905) = 49. Platz der größten Städte des Deutschen Reichs.
Die Bevölkerung betrug nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 = 1.282.123 Einwohner:
- 639.252 männlich,
- 642.871 weiblich.
Die Farben des Großherzogtums Hessen sind Rot und Weiß. Abgeordnete im Reichstag 9. Stimmen im Bundesrat 3.
Das große Staatswappen des Großherzogtums Hessen ist ein Schild je zweimal gespalten und geteilt mit Mittelschild, der das kleine Staatswappen zeigt. Oben die Felder mit den Figuren von Hessen, Mainz und Worms, zu Seiten des Mittelschildes Ziegenhain und Katzenelnbogen, unten Büdingen, Hanau und Nidda. Auf dem Schilde stehen die Helme von Hessen, Mainz, Katzenelnbogen, Ziegenhain und Hanau. Als Schildhalter dienen zwei gekrönte, rot bewehrte, auf Rasen stehende Löwen.
Das kleine Staatswappen des Großherzogtums Hessen ist ein in Blau, ein von Silber und Rot zehnfach quergestreifter, golden gekrönter und bewehrter, Schwert schwingender Löwe. Auf dem Schilde ruht eine zweibügelige Königskrone.
Durch das Reichsmünzgesetz vom 4. Dezember 1871 für das Deutsche Reich wurde für das Großherzogtum Hessen, mit einer Übergangszeit bis 1. Januar 1875, die Goldwährung und Markrechnung eingeführt:
- bis Ende 1874 = 1 Gulden = 60 Kreuzer = 240 Pfennige,
- ab 1875 = 1 Mark = 100 Pfennig.
Gemäß der Aufstellung der Generalverordnung vom 30. Dezember 1861 besorgte die Thurn und Taxissche Post auf Grund von Beschlüssen des Wiener Kongresses (1815) den Postdienst im Großherzogtum Hessen. Ab 1867 gehörte die Provinz Oberhessen zum Norddeutschen Bund (Norddeutscher Postbezirk). Das Gesetz zum Posttaxwesen im Gebiet des Norddeutschen Bundes war auch in den nicht zum Bund gehörenden Provinzen Starkenburg und Rheinhessen gültig. Die Reichsverfassung vom 16. April 1871 bestimmte u. a., dass die unmittelbare Posthoheit, mit Ausnahme des inneren Verkehrs im Königreich Bayern und im Königreich Württemberg, dem Deutschen Reich (Reichspost) zusteht.
Das Militär des Großherzogtums ist nach der Konvention vom 13. Juni 1871 als geschlossene Division (Großherzoglich Hessische [25.] Division) vom 1. Januar 1872 in den Etat und in die Verwaltung des Reichsheeres und zwar speziell in den Verband der Preußischen Armee (jetzt des 18. Armeekorps) eingetreten. In der Festung Mainz mit Kastel steht dem Reich das Besatzungsrecht zu. Das Hessische Kontingent behält im Frieden Garnison innerhalb des Großherzogtums; ausgenommen sind außerordentliche Fälle.
Wirtschaft.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind abgesehen vom Vogelsberggebiet günstig. Landwirtschaft ist ausgezeichnet (Getreide und Wein). Bergbau nur in Oberhessen von einiger Bedeutung (Braunkohlen und Eisen). Industrie, einige Industriezweige von europäischer Bedeutung (Leder- und chemische Industrie). Wagenbau in Offenbach. Handel ist sehr lebhaft, Haupthandelsplatz ist Mainz.
Hessen war seit Jahrhunderten in eine Kassler und eine Darmstädter Hauptlinie getrennt. 1806 wurde Landgraf Ludwig X. als Ludwig I. Großherzog von Hessen und bei Rhein. Im Wiener Kongresses von 1814/15 trat er das Herzogtum Westfalen an Preußen ab und erhielt das Fürstentum Rhein-Hessen. Von 1815 bis 1866 gehörte das Großherzogtum dem Deutschen Bund an. 1866 kämpfte es im Deutschen Krieg an der Seite Österreichs. Nach der Niederlage Österreichs floh Großherzog Ludwig III. nach Worms und das Großherzogtum musste die Landgrafschaft Hessen-Homburg und den Kreis Biedenkopf an Preußen abtreten. Am 3. September 1866 trat der nördlich vom Main gelegene Teil des Großherzogtums, die Provinz Oberhessen dem Norddeutschen Bund bei. 1867 schloss es unter Großherzog Ludwig III. eine Militärkonvention mit Preußen. Mit dem Vertrag vom 15. November 1870 – Ratifizierung am 29. Januar 1871 in Berlin – wurde das ganze Großherzogtum Hessen ein Bundesstaat im Deutschen Reich. Das Großherzogtum Hessen ist, durch das Gebiet um Frankfurt/M, in zwei Teile getrennt. Im südlichen Hauptland, links vom Rhein, Rheinhessen (Mainz), rechts Starkenburg (Darmstadt); das nördliche Stück bildet Oberhessen (Gießen).
Regenten.
Hessische Großherzöge 1806 – 1918.
Titel: Großherzog von Hessen und bei Rhein (ab 7. Juli 1816)
regierendes Fürstenhaus: Brabant, Ahnherr Graf Reginar († 915).
Das souveräne Großherzogtum Hessen bildet laut Verfassungsurkunde vom 17. Dezember 1820, die durch Landes- und Reichsgesetzgebung mannigfache Abänderungen erfahren hat, als ein unter ein und derselben Verfassung stehendes Ganzes, eine unteilbare konstitutionelle Monarchie. Der Landesherr, der den Titel „Großherzog von Hessen und bei Rhein“ mit dem Prädikat „Königliche Hoheit“ führt, ist das Oberhaupt des Großherzoglichen Hauses wie auch der Evangelischen Kirche des Landes und bezieht eine Zivilliste von 1.265.000 Mark, die, gleich den übrigen Bedürfnissen des Hofes, vorzugsweise auf die als schuldenfreies unveräußerliches Familieneigentum des Großherzoglichen Hauses anerkannten zwei Drittel der Domänen angewiesen ist.
Großherzöge von Hessen und bei Rhein 1806 – 1918:
- 06.04.1790 – 06.04.1830 Großherzog Ludwig I., bis 13.08.1806 mit Titel Landgraf zu Hessen, als Ludwig X. (1753 – 1830).
- 06.04.1830 – 16.06.1848 Großherzog Ludwig II. (1777 – 1848).
- 16.06.1848 – 13.06.1877 Großherzog Ludwig III. (1806 – 1877).
- 13.06.1877 – 13.03.1892 Großherzog Ludwig IV. (1837 – 1892).
- 13.03.1892 – 09.11.1937 Großherzog Ernst Ludwig (25.11.1868 – 09.10.1937).
- 1937 – 1980 Philipp von Hessen.
- 1980 – 2013 Moritz von Hessen
- 2013 bis heute Heinrich Donatus von Hessen.
Landesparlament.
Das Großherzogtum Hessen ist eine konstitutionelle Monarchie mit einem 2-Kammersystem:
- Die Erste Kammer besteht aus den Prinzen des Großherzoglichen Hauses, den Häuptern der standesherrlichen Familien, dem Senior der freiherrlichen Familie von Riedesel, einem protestantischen Geistlichen, welchen der Großherzog auf Lebenszeit mit der Würde eines Prälaten ernennt, dem katholischen Landesbischof, dem Kanzler der Landesuniversität, 2 von dem angesessenen Adel aus seiner Mitte gewählten Mitgliedern und aus höchstens 12 vom Großherzog auf Lebenszeit berufenen ausgezeichneten Staatsbürgern.
- Die Zweite Kammer besteht aus 10 Deputierten der Städte (Darmstadt 2, Mainz 2, Gießen, Offenbach, Friedberg, Alsfeld, Worms, Bingen je 1) und 40 Abgeordneten der kleineren Städte und Landgemeinden. Die Ernennung der Abgeordneten für die Zweite Kammer geschieht durch indirekte Wahl.
Gerichtsbarkeit.
Im Großherzogtum Hessen bestehen (seit 1888) ein Oberlandesgericht in Darmstadt (letzte Instanz, insofern nicht, als solche, das Reichsgericht in Leipzig zuständig ist), drei Landgerichte in Darmstadt, Gießen und Mainz (für jede Provinz eins), Schwurgerichte in Darmstadt, Gießen und Mainz, Kammern für Handelssachen in Darmstadt, Offenbach, Gießen, Mainz und Worms, 49 Amtsgerichte, ein Rhein-Schifffahrtsgericht zu Mainz, ferner eine kaiserliche Disziplinarkammer in Darmstadt sowie Militärgerichte.
Das Großherzogtum Hessen bildet (1910) den Bezirk des Oberlandesgerichts Darmstadt, zu welchem 3 Landgerichte mit 53 Amtsgerichten gehören:
- Landgericht Darmstadt mit den Amtsgerichten Beerfelden, Bensheim, Darmstadt I, Darmstadt II, Dieburg, Fürth (Odenwald), Gernsheim, Großgerau, Großumstadt, Kirchhorn (Neckar), Höchst (Odenwald), Lampertheim, Langen (Bz. Darmstadt), Lorsch (Hessen), Michelstadt, Offenbach (Main), Richelsheim (Odenwald), Reinheim (Hessen), Seligenstadt (Hessen), Wald-Michelbach, Wimpfen und Zwingenberg (Hessen).
- Landgericht Gießen mit den Amtsgerichten Alsfeld, Altenstadt (Hessen), Bad Nauheim, Büdingen, Butzbach, Friedberg (Hessen), Gießen, Grünberg (Hessen), Herbstein, Homberg (Oberhessen), Hungen, Laubach (Hessen), Lauterbach (Hessen), Lich, Nidda, Ortenberg (Hessen), Schlitz, Schotten, Ulrichstein und Vilbel.
- Landgericht Mainz mit den Amtsgerichten Alzey, Bingen (Rhein), Mainz, Niederolm, Oberingelheim, Oppenheim, Osthofen (Rheinhessen), Pfeddersheim, Wöllstein (Hessen), Wörrstadt und Worms.
Zur Strafverbüßung dienen: ein Landeszuchthaus in Marienschloß, eine Zellenstrafanstalt in Butzbach, je ein Gefängnis in Darmstadt und Mainz, 3 Provinzialarresthäuser in Darmstadt, Mainz und Gießen, 47 Haftlokale (Untersuchungs- und Strafanstalten) an den Amtsgerichtssitzen (4 weitere Haftlokale sind mit den Provinzialarresthäusern vereinigt), ein Arbeitshaus in Dieburg und ein Filialarbeitshaus in Gießen, zur Verbüßung von Nachhaft.
Organisation der Verwaltungsbehörden.
Die oberste Staatsbehörde bildet das Staatsministerium. Innerhalb des Staatsministeriums bestehen das Ministerium des Innern und der Justiz und das Ministerium der Finanzen. Der Präsident des Staatsministeriums ist zugleich Minister des Großherzoglichen Hauses und des Äußern.
Ministerium des Innern und der Justiz:
- Sektion für innere Verwaltung
- Ministerialabteilungen für Schulangelegenheiten (an Stelle der früheren Oberstudiendirektion)
- Ministerialabteilungen für öffentliche Gesundheitspflege (früher Obermedizinaldirektion)
- Sektion für Justizverwaltung, Abteilung für Bauwesen (früher Oberbaudirektion)
Ministerium der Finanzen:
- Abteilung für Forst- und Kameralverwaltung (früher Oberforst- und Domänendirektion)
- Abteilung für Steuerwesen (früher Obersteuerdirektion)
Administrative Gliederung des Großherzogtums Hessen.
An der Spitze der einzelnen Kreise stehen Kreisämter, welche die Aufsicht über Stadt- und Landgemeinden führen. In den Städten Alzey, Bad Nauheim, Bensheim, Bingen, Darmstadt, Friedberg (Hessen), Gießen, Offenbach und Worms ist die städtische Verfassung eingeführt, auf alle anderen Städte findet die Landgemeindeordnung Anwendung. Die Gemeindebehörden sowohl in den Städten als in den Landgemeinden führen die Bezeichnung „Großherzogliche Bürgermeisterei“.
Das Großherzogtum Hessen gliedert sich in 3 Provinzen:
(Petzolds „Gemeinde- und Ortslexikon des Deutschen Reiches“ 1911)
- Die Provinz Starkenburg mit einer Fläche von 3019 km² (54,83 Quadratmeilen) und 489.512 Einwohnern (Jahr 1900) gliedert sich in: Sitz der Provinzialdirektion in Darmstadt mit den Kreisen Bensheim, Darmstadt, Dieburg, Erbach, Groß-Gerau, Heppenheim, Offenbach.
- Die Provinz Rheinhessen mit einer Fläche von 1375 km² (24,96 Quadratmeilen) und 348.334 Einwohnern (Jahr 1900) gliedert sich in: Sitz der Provinzialdirektion in Mainz mit den Kreisen Alzey, Bingen, Mainz, Oppenheim, Worms.
- Die Provinz Oberhessen mit einer Fläche von 3287 km² (59,72 Quadratmeilen) und 282.047 Einwohnern (Jahr 1900) gliedert sich in: Sitz der Provinzialdirektion in Gießen mit den Kreisen Alsfeld, Büdingen, Friedberg, Gießen, Lauterbach, Schotten.