Fürstentum Reuß jüngerer Linie (Gera) 1806 bis heute.
Reuß sind zwei Deutsche Fürstentümer: Reuß älterer Linie (Reuß-Greiz) und Reuß jüngerer Linie (Reuß-Schleiz-Gera), deren Gebiet aus zwei getrennten Teilen besteht, wovon der nördliche (Unterland) an den Preußischen Regierungsbezirk Merseburg, das Herzogtum Sachsen-Altenburg und das Großherzogtum Sachsen-Weimar grenzt, während der größere südliche Teil (Oberland) von Schwarzburg-Rudolstadt, dem Preußischen Kreis Ranis, dem Großherzogtum Sachsen-Weimar, dem Königreich Sachsen, Bayern (Oberfranken) und dem Herzogtum Sachsen-Meiningen eingeschlossen wird.
Im allgemeinen ist das Land gebirgig, indem es von einem Teil des Thüringer Waldes (dem sogenannten Frankenwald) sowie von einem Teil des zwischen diesem und dem Erzgebirge befindlichen vogtländischen Mittelgebirges durchzogen wird. Die bedeutendsten Spitzen sind: der Sieglitz (747 m) und der Kulm (779 m). Die Hauptgewässer sind: die Saale mit der Selbitz, Lemnitz, Friesau, Wetterau und Sormitz im westlichen und die Weiße Elster mit der Göltzsch im östlichen Teile des Landes.
An der südlichen Grenze entspringt die Rodach, die zum Main geht. Das Oberland führt an zahlreichen Punkten Stahlquellen, von denen die in der Nähe von Lobenstein gefasst sind und Anlass zu der Begründung der dortigen Bade- und Heilanstalt gaben. Das Klima ist gemäßigt, um den Frankenwald etwas rauh, in den Gegenden an der Saale und um Gera weit milder.
Die Fürstentümer Reuß haben einen Flächeninhalt von 1143,01 km² mit (1905) 215.187 Einwohner, wovon auf Reuß älterer Linie 316,3 km² mit 70.603 Einwohner, auf Reuß jüngerer Linie 826,71 km² mit 144.584 Einwohner kommen. Reuß älterer Linie zählt 2 Städte, 2 Marktflecken und 71 Dörfer, Reuß jüngerer Linie 6 Städte, 4 Marktflecken und 163 Dörfer. Städte mit über 10.000 Einwohner sind Greiz (23.118) und Gera (46.909). 1905 waren von den Einwohnern 209.189 evangelisch, 4011 katholisch, 1613 andere Christen, 344 Juden und 30 anderen Bekenntnisses. In Ebersdorf besteht eine Herrnhutergemeinde von 150 Seelen. Die Volksbildung steht auf hoher Stufe. Es bestehen in den Fürstentümern außer guten Volksschulen 2 Seminare (Schleiz und Greiz), 3 Gymnasien (Gera, Greiz und Schleiz), ein Realgymnasium, 2 höhere Töchterschulen, eine Handelsschule (Gera), eine Bauschule und eine Taubstummenanstalt (Schleiz), eine landwirtschaftliche Lehranstalt (Köstritz) und verschiedene Privatlehranstalten.
Das Wappen beider Fürstentümer hat vier Felder, in deren erstem und viertem ein rot gekrönter, goldener, doppelt geschwänzter Löwe in Schwarz (wegen Reuß), in deren zweitem und drittem ein goldener Kranich in Silber (wegen Kranichfeld); der Schild ist mit drei Helmen bedeckt und wird von zwei Löwen gehalten, die bei Reuß ältere Linie golden, bei Reuß jüngere Linie schwarz-silbern sind. Die Devise, auf blauem Bande, lautet: „Ich bau auf Gott.“
Die Flagge des Fürstentums Reuß jüngerer Linie ist Schwarz, Rot und Gelb.
Bundesrat:
1 Stimme
Reichstag:
1 Wahlkreis und 1 Abgeordneter
Haupt- und Residenzstadt des Fürstentums Reuß jüngerer Linie:
Gera – 46.910 Einwohner (1905) – 88. Platz der größten Städte des Deutschen Reichs, Ebersdorf ist Sommerresidenz.
Militär:
1881:
Das Fürstentum Reuß jüngerer Linie gehört zum Ersatzbezirk des IV. Armeekorps. Garnisonstadt ist Gera – Infanterie 96,2 und Landwehr 96,2.
1905:
In militärischer Hinsicht bilden die Truppen der beiden Reuß mit denen von Schwarzburg-Rudolstadt das 7. Thüringische Infanterieregiment Nr. 96, das der 38. Division des 11. Preußischen Armeekorps (Kassel) zugewiesen ist. In Gera befindet sich der Regimentsstab und außerdem ist dort ein Bataillon dieses Regiments stationiert, von dem allmonatlich ein kleines Detachement (Truppenabteilung) nach Greiz abgeschickt wird.
Gemäß der Aufstellung der Generalverordnung vom 30. Dezember 1861 besorgte die Thurn und Taxissche Post auf Grund von Beschlüssen des Wiener Kongresses 1815 den Postdienst bis zum 30. Juni 1867 im Fürstentum Reuß jüngerer Linie.
Ab 1. Juli 1867 übernahm die Preußische Post den Postdienst. Das gesamte Preußische Postwesen ging am 1. Januar 1868 auf den Norddeutschen Bund (Norddeutscher Postbezirk) über. Die Reichsverfassung vom 16. April 1871 bestimmte u. a. dass die unmittelbare Posthoheit, mit Ausnahme des inneren Verkehrs im Königreich Bayern und im Königreich Württemberg, dem Deutschen Reich zusteht.
Währungen und Münzen:
- bis 1875: 1 Taler = 30 Groschen = 360 Pfennige,
- ab 1875: 1 Mark = 100 Pfennig.
Die Reußischen Fürstentümer gehören zu den industriereichsten Gebieten Deutschlands. Obgleich die Reußischen Lande wegen ihrer gebirgigen Beschaffenheit die Landwirtschaft nicht zu begünstigen scheinen, so wird diese doch mit großer Sorgfalt betrieben.
Ahnherr des Hauses Reuß ist Erkenbert, Herr von Weida (um 1122). Der deutsche Kaiser Heinrich VI., nach dem die männlichen Nachkommen angeblich den Namen Heinrich führen, verlieh dem Hause die Reichsvogteien Plauen (1569 an Kursachsen), Weida (1411 an Meißen) und Gera. Heinrich, Vogt von Plauen († vor 1296), erhielt infolge seiner Heirat mit der Tochter einer russischen Fürstin den Beinamen „Reuß“ (deutsches Wort für Russe), der seinen Nachkommen blieb. Die Vorfahren des Reußischen Fürstenhauses waren im 12. Jahrhundert kaiserliche Vögte im Sorbenland (Vogtland) und wurden allmählich selbstständig. Ihr Gebiet war einst erheblich größer und umfasste auch Plauen und Hof mit. 1564 teilten die Reußen ihr Herrschaftsgebiet in die Linien Obergreiz – mittlerer Linie Reuß, in Untergreiz – älterer Linie Reuß und in Gera – jüngerer Linie. Im Jahre 1616 starb die mittlere Linie Reuß aus und deren Gebiet wurde auf die beiden anderen Linien aufgeteilt. 1778 erfolgte die Ernennung zum Reichsfürsten für Reuß älterer Linie und 1790 bzw. 1806 für die Vertreter von Reuß jüngerer Linie. Alle Fürsten und Prinzen des Hauses Reuß führen den Namen Heinrich, wobei die ältere Linie alle hintereinander bis hundert, die jüngere bis zum Ende eines Jahrhunderts fortzählt und dann von vorne anfängt. Im Aussterben der einen Linie fällt das Land an die andere.
Im Deutschen Krieg von 1866 hielt sich Reuß jüngerer Linie neutral, trat aber schon am 26. Juni 1866 durch freiwilligen Vertrag mit Preußen dem in Aussicht genommenen Norddeutschen Bund bei. 1867 ging infolge einer Konvention die Militärhoheit auf Preußen über. 1871 wurde das Fürstentum Reuß jüngerer Linie ein Bundesstaat des Deutschen Reichs. 1902 übernahm Fürst Heinrich XIV. die Regentschaft über das Fürstentum Reuß älterer Linie. Am 1. Juli 1905 trat ein Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz in Kraft und 1906 wurde die Preußische Lotterie ausschließlich zugelassen.
Regenten:
Fürsten von Reuß jüngerer Linie 1853 – 1918.
Regierendes Fürstenhaus: Ahnherr Erkenbert von Weida (um 1120), Stammvater Heinrich der Jüngere (geb. 1530).
Fürsten Reuß jüngere Linie:
- 1818 – 1854 Fürst Heinrich LXII. (1785 – 1854).
- 1854 – 1867 Fürst Heinrich LXVII. (1789 – 1867), 1820 Hochzeit mit Prinzessin Adelheid von Reuß-Ebersdorf.
- 1867 – 1913 Fürst Heinrich XIV. (1832 – 1913), 1858 Hochzeit mit Prinzessin Agnes von Württemberg (1835-1886).
- 1913 – 1928 Fürst Heinrich XXVII. (1858 – 1928), ab 1908 in Regentschaft, 1884 Hochzeit mit Elise zu Hohenlohe-Langenburg.
- 1928 – 1945 Heinrich XLV.
- 1945 – 2012 Heinrich IV.
- 2012 bis heute Heinrich XIV.
Landesparlament des Fürstentums Reuß jüngerer Linie.
16 Abgeordnete.
Im Fürstentum Reuß jüngerer Linie ist der Landtag zusammengesetzt aus dem Fürstlichen Besitzer des Reuß-Köstritzer Paragiums (Abfindung nachgeborener Prinzen mit Liegenschaften, Landbesitz) oder dessen Vertreter, aus 3 Abgeordneten der Höchstbesteuerten und aus 12 auf drei Jahre direkt gewählten Abgeordneten der übrigen Bevölkerung.
Gerichtsorganisation (1881).
Für Thüringen besteht ein gemeinsames Oberlandesgericht in Jena. Das Fürstentum Reuß jüngerer Linie hat gemeinschaftlich mit dem Kreis Neustadt des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach ein Landgericht zu Gera und Amtsgerichte in Gera, Hirschberg, Hohenleuben, Lobenstein und Schleiz.
Administrative Gliederung des Fürstentums Reuß jüngerer Linie.
Das Fürstentum Reuß jüngerer Linie besteht aus den Gebieten von Gera und Schleiz–Lobenstein und einer zwischen Altenburg und Weimar gelegenen Exklave. Es gliedert sich in die Landratsämter Gera und Ebersdorf. Das Fürstentum besteht aus 6 Städten, 4 Marktflecken und 163 Dörfer.
- Landratsamt Gera mit einer Fläche von 283 km² und 99.594 Einwohnern (Jahr 1900) umfasst die Gemeinden: Gera, Bethenhausen (nur teilweise zu Reuß jüngerer Linie, der andere Teil gehört zum Herzogtum Sachsen-Altenburg), Bieblach, Caaschwitz, Caasen, Collis, Cretzschwitz, Culm (Reuß), Debschwitz, Dorna (nur teilweise zu Reuß jüngerer Linie, der andere Teil gehört zum Herzogtum Sachsen-Altenburg), Dürrenebersdorf, Ernsee, Frankenthal, Geißen, Gleina, Gorlitzsch, Göttendorf, Groitschen, Großaga, Großsaara, Grüna, Harpersdorf, Hartmannsdorf, Hermsdorf, Hirschbach, Hirschfeld (nur teilweise zu Reuß jüngerer Linie, der andere Teil gehört zum Herzogtum Sachsen-Altenburg), Hohenleuben, Hundhaupten (nur teilweise zu Reuß jüngerer Linie, der andere Teil gehört zum Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach), Kaimberg, Kaltenborn, Kleinaga, Kleinfalke, Kleinsaara, Köstritz, Kraftsdorf (nur teilweise zu Reuß jüngerer Linie, der andere Teil gehört zum Herzogtum Sachsen-Altenburg), Laasen, Langenberg, Langengrobsdorf, Langenwetzendorf, Lessen, Leumnitz, Lichtenberg, Lusan, Milbiz, Mühlsdorf, Nauendorf, Negis, Neuärgerniß, Niederböhmersdorf, Niederndorf, Oberröppisch, Otticha, Pforten, Pohlen, Pohlitz, Pöllwitz (nur teilweise zu Reuß jüngerer Linie, der andere Teil gehört zum Fürstentum Reuß älterer Linie), Pörsdorf (nur teilweise zu Reuß jüngerer Linie, der andere Teil gehört zum Herzogtum Sachsen-Altenburg), Reichenbach, Roben, Roschütz (nur teilweise zu Reuß jüngerer Linie, der andere Teil gehört zum Herzogtum Sachsen-Altenburg), Rubitz, Rüdersdorf (nur teilweise zu Reuß jüngerer Linie, der andere Teil gehört zum Herzogtum Sachsen-Altenburg), Rusitz, Scheubengrobsdorf, Schöna, Schwaara, Seifarthsdorf (nur teilweise zu Reuß jüngerer Linie, der andere Teil gehört zum Herzogtum Sachsen-Altenburg), Seligenstädt, Söllmnitz, Steinbrücken, Stublach, Stübnitz, Thieschitz, Tinz, Töppeln, Trebnitz, Triebes, Untermhaus, Waaswitz, Waltersdorf, Weißendorf, Weißig, Wernsdorf, Windischenbernsdorf, Wüstfalke, Zeulsdorf, Zschippach, Zschippern, Zwötzen.
- Landratsamt Schleiz mit einer Fläche von 544 km² und 39.616 Einwohnern (Jahr 1900) umfasst die Gemeinden: Schleiz, Altengesees, Blankenstein, Blintendorf (nur teilweise zu Reuß jüngerer Linie, der andere Teil gehört zum Königreich Preußen), Burkersdorf, Dittersdorf, Dobareuth, Dragensdorf, Dürrenbach, Brüdergemeinde Ebersdorf, Ebersdorf, Eliasbrunn, Frankendorf, Frössen, Gahma, Gebersreuth, Göritz, Görkwitz, Göschitz, Göttengrün, Gräfenwarth, Grumbach, Harra, Heinersdorf, Helmsgrün, Hirschberg, Karolinenfield, Kießling, Kirschkau, Kleinwolschendorf, Künsdorf, Kulm, Langenwolschendorf, Langgrün, Leitlitz, Lerchenhügel, Lichtenbrunn, Lobenstein, Löhma, Lössau, Lothra, Lückenmühle, Mielesdorf, Mödlareuth (nur teilweise zu Reuß jüngerer Linie, der andere Teil gehört zum Königreich Bayern), Neundorf, Oberböhmsdorf, Oberkoskau, Oberlemnitz, Oettersdorf, Oschitz, Oßla, Pahren, Pirk, Pöritzsch, Pörmitz, Pottiga, Raila, Rödersdorf, Rothenacker, Röttersdorf, Ruppersdorf, Saalburg, Saaldorf, Schilbach, Schlegel, Schönbrunn, Seibis, Seubtendorf, Spielmes, Stelzen (nur teilweise zu Reuß jüngerer Linie, der andere Teil gehört zum Königreich Sachsen), Tanna, Tegau, Thierbach, Thimmendorf, Titschendorf, Ullersreuth, Unterkoskau, Unterlemnitz, Venzka, Weckersdorf, Weitisberga (nur teilweise zu Reuß jüngerer Linie, der andere Teil gehört zum Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt), Wernsdorf, Willersdorf, Wurzbach, Zollgrün.