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1918. Der Schicksalstag im Königreich Sachsen.

Es sind die Anfangstage des Novembers 1918. Die Revolution im Deutschen Reich, wie auch im Königreich Sachsen, ist in vollem Gange.

8. November in Berlin.

Kaiser Wilhelm II. war am 29. Oktober ins kaiserliche Hauptquartier im belgischen Spa gereist. Er befasst sich mit der Abdankung und mit der möglichen Variante, als Deutscher Kaiser abzudanken aber König von Preußen zu bleiben. Die politischen und revolutionären Ereignisse überrollen den Kaiser allerdings. Noch im Begriff, eine Erklärung zu unterschreiben, die den Verzicht auf den Kaiserthron, nicht jedoch auf den preußischen Thron beinhaltet, erreicht ihn die Meldung, Reichskanzler Max von Baden habe, ohne vorherige Rücksprache mit ihm, bereits vor einer Stunde seinen Thronverzicht – für beide Throne – bekannt machen lassen. Zwischenzeitlich habe auch der SPD-Abgeordnete Philipp Scheidemann vom Balkon des Reichstages die Republik ausgerufen. Der Reichskanzler Prinz Max von Baden habe zudem den Sozialdemokraten Friedrich Ebert, den Vorsitzenden der stärksten Reichstagsfraktion, zum Reichskanzler ernannt, ihm die Regierungsgeschäfte übergeben und sei selbst zurückgetreten. Kaiser Wilhelm II. versucht, nachdem er sich von den Nachrichten etwas erholt hat, unverzüglich nach Deutschland zurückzukehren. Es ist jedoch zu spät, eine sofortige Rückkehr nicht möglich und unsicher.

Quelle: → www.preussen.de

8. November in Dresden.

Infolge der Ereignisse dieser Novembertage im Schicksalsjahr 1918 erreichte die Revolution nun auch Sachsen. Als der König Friedrich August III. an diesem 8. November nach einer Ausfahrt ins Dresdner Schloß zurückkehrte, erwartete ihn bereits die Nachricht, der bayerische König sei geflüchtet, in München wurde eine Räteregierung unter Kurt Eisner gebildet und der Freistaat Bayern sei ausgerufen worden. Meldungen über die Ausweitung der Revolution lagen inzwischen auch aus Frankfurt a. Main, Schwerin, Hannover und Oldenburg vor. Aus Braunschweig hieß es, der Herzog Ernst August von Braunschweig, ein Schwiegersohn Kaiser Wilhelms II., sei gestürzt worden und außer Landes gegangen. Rückmeldungen aus Berlin blieben aus und über die Hauptstadt hatte man eine Nachrichtensperre verhängt. [2]

Kriesensitzung.

Friedrich August III. berief nach Rückkehr von seiner Ausfahrt eine Krisensitzung ein, an der das Kabinett Heinze, der Stadtkommandant von Dresden, der kommandierende General des XII. Armeekorps, Kronprinz Georg und Prinz Johann Georg teilnahmen. Vermutlich aus reiner Verunsicherung hatten sich einige Husaren- und Leibgrenadiereinheiten in Bataillonsstärke in den Kasernen verschanzt, der Nachrichtenkontakt zu ihnen fehlte. Die Generalität hatte de facto die Befehlsgewalt über die Armee verloren und Truppen, die sich aus eigenem Entschluß gegen die Revolution stellten, waren nicht bekannt. Den Gedanken, Offizierskompanien zu bilden und die Kadetten- und Unteroffiziersschulen gegen die Massen einzusetzen, verwarf der König.

Den Verlauf der Sitzung dazu schildert Julius Fräßdorf, einer der neuen Minister, so:

„Den Rat, der Revolution mit Gewaltmitteln zu begegnen“, lehnte Friedrich August III. mit den Worten ab, „er wolle nicht den eben beendeten Krieg auf der Schloßstraße fortsetzen.“. [2]

Sehr wohl darf hier an die Worte König Friedrich August III. erinnert werden: „Ich bringe meinem Volke das größte Vertrauen entgegen, und es wird mein festes Bestreben sein, des Landes und des Volkes Wohl zu fördern und jeden, auch den letzten meiner Untertanen, glücklich und zufrieden zu machen.“, die er im „Erlaß an mein Volk“ bei Regierungsantritt am 15. Oktober 1904 eindringlich an sein Volk – die Sachsen – richtete.

9. November – des Königs Flucht.

Der König gedachte, den Gang der Dinge abzuwarten. „Ich genne doch meine Dräsdner, die duhn mir nischt“, sagte er und: „Ich hawe den Leiten nischt gedahn, und die duhn mir ooch nischt.“ Doch auf Drängen der aufgebrachten Höflinge und Familienmitglieder verließ Friedrich August III. am 8. November nach 20 Uhr das Schloß. In seiner Begleitung befanden sich Tochter Margarethe und deren Hofdame, Frau Dr. von Oer, Generalmajor O’Byrn und Oberstallmeister von Römer.

Vom Stallhof trat der König seine Reise mit dem Automobil nach Moritzburg an. Hier verbrachten der König und seine Begleiter eine Nacht im Jagdschloß. Bereits am nächsten Morgen setzten sie die Fahrt über Schloß Schönfeld nach Schloß Linz fort. Dort angekommen, erreichte Friedrich August die Einladung der Prinzessin von Schönburg, Quartier in ihrem Schloß Gutenborn bei Ruhland zu nehmen, das jenseits der Landesgrenzen im 1815 an Preußen gefallenen Teil der Lausitz liegt.“ [2]

10. November – Proklamation im Zirkus Sarrasani.

Am 10. November 1918 verlas der Landtagsabgeordnete Hermann Fleißner im Zirkus Sarrasani. die Proklamation: „Die Monarchie hat aufgehört, somit existiert auch die Erste Kammer nicht mehr, und die Zweite Kammer ist aufgelöst; auf der Basis des allgemeinen und direkten Wahlrechts wird eine Nationalversammlung gewählt.“ [2]

13. November – der „Thronverzicht“.

Friedrich August III. soll seinen Thronverzicht am 13. November 1918 vollzogen haben. Noch am gleichen Tage wurde in Dresden dazu folgende Erklärung veröffentlicht:

Dresden, 13. November 1918

„An den Arbeiter- und Soldatenrat, Dresden, Ständehaus. Auf die heute früh mündlich an Se. Exzellenz den Herrn Finanzminister gerichtete Anfrage teile ich mit, daß Se. Majestät der König auf den Thron verzichtet hat. Gleichzeitig hat Se. Majestät alle Offiziere, Beamten, Geistlichen und Lehrer von dem ihm geleisteten Treueid entbunden und sie gebeten, im Interesse des Vaterlandes auch unter den veränderten Verhältnissen ihren Dienst weiterzutun.“

Der Minister des Innern Dr. Koch [2]

Sollte dies nun die politische Sterbeurkunde des Hauses Wettin sein, das 830 Jahre und damit länger als jede andere deutsche Dynastie an der Macht war? – Entweder fiel es im Durcheinander des Umbruchs niemandem auf, oder es wurde als völlig belanglos betrachtet, dass Friedrich August dem Buchstaben nach nur für seine Person und nicht im Namen der Wettiner und damit auch im Namen seiner Erben auf den Thron verzichtete. Keiner seiner Nachkommen gab später die formal noch bestehenden Ansprüche auf den sächsischen Thron auf.

Friedrich August verließ Schloß Gutenborn am 14. November 1918, einen Tag nach der vermeintlichen Thronentsagung und reiste in Begleitung der Prinzessin Margarethe, Frau Dr. von Oer, Generaladjutant von Tettenborn und Legationsrat Steinbach ins schlesische Sibyllenort. Dort lebte er bis zu seinem Tode am 18. Februar 1932. [2]

13. November in Chigirinka.

Während in Sachsen die Revolution fortschritt, machte diese anderen Orts nicht halt. Jedoch sollte die Erkenntnis über die Geschehnisse eine ganz andere als im Königreich Sachsen selbst sein.

Es ist der 13. November, als des nächtens seine Königliche Hoheit Prinz Ernst Heinrich von Sachsen – drittgeborener Sohn SM König Friedrich August III. von Sachsen – von den revolutionären Geschehnissen in seiner Heimat heimgesucht werden sollte. Der Prinz befand sich mit seinem Schwadron zu jener Zeit am entlegenen Ort Chigirinka in den Tiefen Russlands und führte das 1. Eskadron des Garde-Reiter-Regiment (1. Schweres Regiment mit 140 Mann) im nahegelegenen Stary Bychow am Dnjepr (Weißrußland, Luftlinie ca. 1350 km östlich von Berlin entfernt).

An jenem Tag erhielt Seine Königliche Hoheit Prinz Ernst Heinrich von Sachsen neben dem Befehl mit dem Regiment nach Bobruisk zu marschieren, um von dort aus den Rückmarsch in die Heimat anzutreten, die Nachricht über die Abdankung seines Vaters als König von Sachsen. Das kam nicht wirklich überraschend, denn bereits am 11. November erhielt er die Meldung vom Ausbruch der Revolution und daß der Kaiser nach Holland übergetreten sei.

In der Nacht weckte ein Wachtmeister den Prinzen und teilte ihm mit, daß sich alle Mannschaften und Unteroffiziere zusammengefunden hätten und einen vier Mann starken Soldatenrat unter Führung des Obmanns Sergeanten Schönfelder gewählt hatten. Dieser wolle seine Bedingungen mit ihm besprechen. Der Prinz entgegnete dieser Nachricht, daß sich der gewählte Sergeant am darauffolgenden Morgen ab 9 Uhr einfinden könne, um die Geschicke der Schwadron zu besprechen.

14. November – Herr Rittmeister.

Bis hierhin sprach der Sergeant – ein damaliger Unteroffiziersdienstgrad – den Prinzen stets mit „Königliche Hoheit“ an. Dies änderte sich ab dem 14. November, als Sergeant Schönfelder aufgrund seiner revolutionären Kommandoübernahme über die Schwadron als Ansprache für den Schwadronschef die Bezeichnung „Herr Rittmeister“ gebrauchte.

An jenem Morgen um Punkt 9 Uhr trat der gewählte Obmann des vierköpfigen Soldatenrats, Sergeant Schönfelder, an den Prinzen heran. Schönfelder war zwar der neue Schwadronsführer, jedoch erkannte er sehr schnell, dass bei dem Rückmarsch weder die Unteroffiziere noch die Mannschaften einem einfachen Sergeanten gehorchen würden. Da das in den kalten Wintern Russlands fatale Folgen für die Schwadron gehabt hätte, willigte Ernst Heinrich ein, sie in die Heimat zu führen. Daran knüpfte er allerdings vier Bedingungen:

  1. Niemand trägt ein rotes Abzeichen.
  2. Alles bleibt wie bisher, Disziplin, Gehorsam und die Befugnisse des Rittmeisters, auch dessen Strafgewalt. Die Offiziere werden gegrüßt wie bisher.
  3. Der Rittmeister ist einstimmig als Schwadrohnsführer zu wählen.
  4. Der Soldatenrat übernimmt die Fragen der Verpflegung und des Quartiermachens.

Wortwörtlich ergeht die Anweisung Ernst Heinrichs an den Sergeant Schönfelder:

„Jetzt gehen Sie zur Schwadron, und wenn alles klar ist, dann hat die Schwadron um zwölf Uhr feldmarschmäßig vor dem Gutshaus anzutreten. Im Übrigen ist ein Befehl des Regiments eingetroffen, wonach die Schwadron unverzüglich nach Bobruisk an der Beresina zu marschieren hat, da mit einem Vormarsch der Sowjets über den Dnjepr zu rechnen ist.“
Letzteres setzte Prinz Ernst Heinrich hinzu, um den Eindruck zu verschärfen. Tatsächlich traten die Sowjets, sobald Gebiete geräumt wurden, den Vormarsch an. [3]

Punkt zwölf Uhr war die Schwadron angetreten. Prinz Ernst Heinrich trat vor die Front und sagte:

„Der Obmann des von Ihnen gewählten Soldatenrates, Sergeant Schönfelder, hat Ihnen die Bedingungen mitgeteilt, unter denen ich bereit bin, die Schwadron nach Hause zu führen. Wir alle sind vom Fahneneid entbunden, auch ich. Wir sind aber nicht entbunden von der Pflicht gegenüber unserem Vaterland und unserer Heimat. Daher müssen wir in voller Disziplin, wie früher, den Rückmarsch durchführen. Hierfür sind Gehorsam und Pflichterfüllung die Grundlage. Wir beginnen unseren Rückmarsch morgen früh, völlig auf uns selbst gestellt, in einem Lande, das uns feindlich gesinnt ist, ohne geregelte Verpflegung, mit der Roten Armee im Rücken und den Unbilden des russischen Winters ausgesetzt. 1812 ging in diesem Gebiet die Große Armee Napoleons, ebenfalls auf dem Rückmarsch, elend zugrunde, zum guten Teil, weil jeder nur an sich selbst dachte und die Disziplin aus den Fugen ging. Ich werde alles für die Schwadron tun, was in meinen Kräften steht, aber ich verlange auch, daß die Schwadron ganz hinter mir steht. Sie alle kennen meine Bedingungen. Ich fordere Sie auf, zum Zeichen der Annahme den rechten Arm zu erheben. Sie können sich entscheiden, wie sie wollen, wer aber den rechten Arm nicht hebt, der hat unverzüglich die Reihen der Schwadron zu verlassen.“ [3]

„Ich bin wieder für die alte Ordnung.“

Alle 140 Mann hoben den Arm, ohne Ausnahme. Somit begann am Morgen des 15. Novembers 1918, um zehn Uhr vormittags, für den Prinzen und weitere 140 Mann der Rückmarsch in die Heimat. In dieser angekommen – es war der Ort Guben im Königreich Preußen – bat der Obmann des Soldatenrats, Sergeant Schönfelder, den Prinzen Ernst Heinrich von Sachsen nach der Verabschiedung um kurze Unterredung, um folgendes mitzuteilen:

„Königliche Hoheit, ich muß Ihnen etwas gestehen. Die Erfahrungen und Ergebnisse der letzten Wochen haben mich ganz verändert. Ich bin wieder für die alte Ordnung und die Monarchie“… [2]


Quellangaben und Verweise.
[1] www.preussen.de
[2] Aus: Walter Fellmann „Sachsens letzter König Friedrich August III.“, 1992, Koehler & Amalang
[3] Aus: Prinz Ernst Heinrich von Sachsen „Mein Lebensweg, vom Königsschloss zum Bauernhof“, 1968, Paul List Verlag KG