Startseite. » Königreich Sachsen. » Geografie. » Städte und Gemeinden. » Dresden nach H. F. von Criegern.

Dresden.

Residenzstadt des Königreich Sachsen.

Da das Leben eines Volkes an seinen großen Städten die Mittelpunkte hat, von denen der Strom der geistigen Bewegung ausgeht und nach welchen er zurückflutet, so müssen wir auch hören, was Fremde über Dresden und Leipzig sagen. Beide nämlich müssen in gleichem Maße berücksichtigt werden, da das geistige Leben Sachsens nicht einem Kreise gleicht, der sich um einen Mittelpunkt dreht wie das Frankreichs, sondern einer Ellipse mit zwei Mittelpunkten. Welches von beiden Zentren das zentralere sei, ist ein Gesprächsgegenstand, welcher, sowie Angehörige beider Städte zusammen zu Tische sitzen, stets mit Lebhaftigkeit, häufig mit Erregtheit behandelt wird. Für den Fremden haben sie beide nicht nur immer sehr viel Anziehendes, sondern eine hohe Bedeutung gehabt; es sind Weltstädte, welche weit über die Grenzen Deutschlands hinaus ihren Einfluß ausüben und daher jahraus, jahrein von einer Schar fremder Gäste aus aller Herren Länder besucht werden. Schon dieser Fremdenverkehr an und für sich ist ein Zeichen dafür, was für einen Leumund sie auswärts haben; wir wollen jedoch auch einige einzelne Zeugen abhören, zuerst, wie es die Hochachtung vor der Haupt- und Residenzstadt will, über Dresden.

Schon unter Johann Georg II. ist viel zur Verschönerung Dresdens gethan worden. Kostspielige Bauten wurden unternommen, z. B. das Komödien(Inventions-)haus, eines der ersten festen und ordentlichen Theater in Deutschland, in welchem hauptsächlich während des Karnevals und bei festlichen Gelegenheiten schon regelmäßige Vorstellungen gegeben wurden; Ball-, Reit- und Schießhäuser zu Dresden; das Schloß wurde prächtig ausgeschmückt, die Kunstkammer vermehrt, der Große Garten angelegt, so daß schon damals Dresden, obgleich zwischen finstere Festungswerke eingeengt, doch dem fremden Besucher als die schönste Stadt Deutschlands erscheint, in der ein frisches, reges Leben pulsiert. So beurteilt es der Franzose Chappuzeau, welcher es 1671 besucht hat. Jedoch eine Weltstadt ist es durch August den Starken geworden. Von dessen Regierungszeit an ward es der Anziehungspunkt für alle, welche Sinn für höheren Lebensgenuß hatten.

So berichtet der Däne Hoyer, ein Zeitgenosse: „Nur will ich dieses anfügen, daß der Dresdensche Hof von einer unglaublichen Zahl fremder und vornehmer Leute wimmelte, worunter viele junge Edelleute auch aus Holstein waren, die aber zum Teil dieses Vergnügen durch Verspielung großer Summen allzu teuer bezahlten und viele Jahre hernach oder wohl gar ihr Lebtage für diese Kurzweil darben müssen.“

Der mehrfach genannte von Loen schreibt 1718: „Die Stadt Dresden scheint gleichsam nur ein großes Lustgebäude zu sein, worin sich alle Erfindungen der Baukunst angenehm miteinander vermischen. Ein Fremder hat schier ein paar Monate damit zuzubringen. Es ist keine Kunst in der Welt zu finden, davon man hier nicht ausnehmende Meisterstücke erblickt.“

Ganz entzückt schreibt der „reisende Franzose“ von dieser Stadt: „Dresden hat eine stolze Lage und beherrscht auf allen Seiten eine vortreffliche Aussicht. Sie ist ohne Vergleich die schönste Stadt, die ich noch in Deutschland gesehen. Die Bauart der Häuser hat viel mehr Geschmack als die von Wien. Auf der langen und prächtigen Elbbrücke ist die Aussicht bezaubernd. Die Sitten und die Art der hiesigen Leute sticht mit den Deutschen, die ich bisher gesehen, noch stärker ab als die Schönheit der hiesigen Straßen und der Geschmack der Gebäude mit den Städten in Schwaben, Bayern, Österreich und Böhmen. Ein ungemein schöner Wuchs, sprechendere Gesichtszüge, eine gewisse Rundung und Leichtigkeit der Bewegungen, eine zuvorkommende Höflichkeit, eine durchaus, bis auf die untersten Volksklassen fortlaufende Reinlichkeit und ein gewisses gesprächiges, zudringliches und einnehmendes Wesen muß jedem, der auf meinem Wege hierher kommt, an den hiesigen Einwohnern stark auffallen.“

Dieses Dresden, welches um die Mitte des vorigen Jahrhunderts viel weniger eine deutsche Stadt als eine vorgeschobene Stätte für den Luxus, die Geselligkeit und die Künste des südlichen Europas war, feiert das Epigramm Herders:

Blühe, deutsches Florenz, mit deinen Schätzen der Kunstwelt, Stille gesichert sei Dresdens Olympia uns. Phidias-Winckelmann erwacht an deinen Gebilden. Und an deinem Altar sprossete Rafael Mengs.

Hier ist richtig darauf hingewiesen, was die Größe Dresdens ausmacht: Das Kunstleben! Die Kunst hat hier auf musikalisch-dramatischem Gebiete eine Blütenperiode gefeiert, deren Wirkungen sich weit über das Land hinaus erstreckten. Man denke nur an J. A. Hasse, der von hier aus nicht nur über die Opernbühne eine nur selten und schwach angefochtene Diktatur ausübte, sondern auch von den Italienern, deren Urteil in Musikangelegenheiten damals maßgebend war, als il divino Sassone (der göttliche Sachse) gefeiert ward. Auch Friedrich der Große, der bereits 1740 den Flötenspieler Quanz von Dresden nach Berlin gezogen hatte, schwelgte während seines Dresdener Aufenthalts nach der Schlacht bei Kesselsdorf im Genusse der hasseschen Musik.

Auf dieser Höhe des Musiklebens fand unsre Hauptstadt auch die mehrgenannte Frau von Staël; überhaupt in ganz Sachsen nimmt sie eine eifrige Pflege dieser Kunst wahr. Jedoch ist sie von den kirchlichen Musikaufführungen in der römisch-katholischen Hofkirche nicht so entzückt, wie es sonst Einheimische und Fremde zu sein pflegen. Denn sie sagt darüber: „Die Kirchenmusik ist in Deutschland weniger schön als in Italien, weil dort die Instrumente alles beherrschen (während in Italien die Vokalmusik die Hauptsache ist). Wenn man in Rom das Miserere nur von Sängern hat vortragen hören, so erscheint jede Instrumentalmusik, auch die der Dresdener Hofkirche, irdisch. Violinen und Trompeten gehören in Dresden beim Gottesdienste zum Orchester, und die Musik ist mehr militärisch als kirchlich; der Gegensatz zwischen den lebhaften Eindrücken, welche sie hervorbringt, und der Andacht in einer Kirche ist nicht angenehm; man soll nicht Lebenslust in der Ruhe der Gräber erwecken; die Militärmusik begeistert einen, das Leben zu opfern, aber nicht, sich von ihm innerlich loszulösen.

Zwar ist dies Urteil insofern schief, als auch die päpstliche Kapelle in Rom durchaus nicht lauter Misereres singt (vielmehr geschieht dies nur einmal im Jahre, nämlich in der Karwoche Mittwochs, Donnerstags und Freitags nachmittags); aber das ist wohl möglich, daß Frau von Staël eine nicht nur für ihren, sondern auch für andrer ernster Kunstkenner Geschmack sehr weltliche Musik gehört hat.

Über die Pflege der Malerei sagt sie: „Mehrere bedeutende Maler haben sich in Dresden niedergelassen; die Meisterwerke der Bildergalerie wecken das Talent und den Ehrgeiz.“ Nachdem sie sodann über die Madonna von Raffael und die Nacht des Correggio ihre Ansicht ausgesprochen, welche mit der allgemein herrschenden nur übereinstimmen kann, hebt sie unter den lebenden Künstlern Hartmann (die drei Frauen am offenen Grabe Christi) und Schick hervor, dessen Opfer Noä sie als ein ganz besonderes Meisterwerk schildert.

„Die durch die Wasser verjüngte Natur“, so schreibt sie, „scheint eine neue Frische gewonnen zu haben; die Tiere sehen aus, als ob sie mit dem Erzvater und seinen Kindern eine Familie ausmachten, nachdem sie mit ihnen zusammen der allgemeinen Flut entgangen sind. Das Grün, die Blumen, der Himmel sind mit lebhaften und naturwahren Farben gemalt, welche die durch morgenländische Landschaften hervorgebrachten Eindrücke widerspiegeln.

„Mehrere andre Künstler versuchen, sowie Schick in der Malerei, die in der Dichtkunst eingeführte oder richtiger: erneuerte Richtung (die klassische) einzuführen. Aber die Künste brauchen Reichtümer und in Deutschland sind die großen Vermögen in den verschiedenen Städten zerstreut. Bisher besteht der wahre Fortschritt, welchen man in Deutschland gemacht hat, darin, daß man die alten Meister versteht und nachbildet; ein schöpferischer Geist spricht sich noch nirgends aus.“

Zu der Pflege der Musik und der Malerei, sowie der schönen Künste überhaupt, in welcher Dresden schon um der in dieser Stadt angehäuften Kunstschätze willen stets einen hohen Rang einnehmen wird, kam in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts auch eine lebhaftere Beschäftigung mit der deutschen Litteratur. Es war damals die Zeit der Romantik, und der Vater derselben, Ludwig Tieck, ward Mittelpunkt des litterarisch angeregten Kreises in Dresden. Die Staël rühmt an seinen Lustspielen, denen sie übrigens die Füglichkeit, aufgeführt zu werden, rundweg abspricht, den gemütvollen Humor; sie weist das nach an seinem „Gestiefelten Kater“.“ Weit berühmter als durch seine eignen Leistungen ward er durch seine Vorlesungen, welche solchen Weltruf erlangten, daß jeder Fremde, der nach Dresden kam, auch den Hofrat Tieck gehört haben wollte. Da soll es öfters vorgekommen sein, daß Ausländer, die ihm etwas Schönes sagen wollten, laut die Vorzüge der „Urania“ lobten, weil sie Tieck mit Tiedge, dem Verfasser des genannten Werkes, verwechselten.

Viel weniger als von dem Kunstleben ist Frau von Staël von dem geselligen Leben Dresdens erbaut. Sie schreibt darüber: „Die Natur in der Umgebung der Hauptstadt ist sehr malerisch, aber die Gesellschaft bietet daselbst keine Annehmlichkeiten. Der Glanz des Hofes findet hier keinen Anklang; nur das steife förmliche Wesen macht sich breit.“ Sie glaubt ferner, die Vorliebe der sächsischen Gelehrten für das zurückgezogene Leben daraus erklären zu müssen, daß die Gesellschaft gar zu langweilig ist.

Schon vor ihr will der Franzose Chappuzeau wahrgenommen haben, daß in Sachsen der Adel, welcher nach Ansicht des „reisenden Franzosen“ ebenso arm als zahlreich ist, einen ganz ungemein stark ausgeprägten Kastengeist habe und sich gegen den Umgang und die Verwandtschaft mit Bügerlichen gänzlich absperre.“ Die Staël findet überhaupt in Deutschland ein ängstliches Beobachten der Standesunterschiede, welches in der Unterhaltung zu einer peinlich berührenden Anführung der Titel führt. „Die Sprache der Deutschen“, sagt sie, „die in den Büchern so kühn ist, ist in der Unterhaltung eigentümlich geknechtet durch die Titulaturen, mit welchen sie überladen ist. Ich erinnere mich, in Sachsen der metaphysischen Vorlesung eines berühmten Weltweisen beigewohnt zu haben, welcher stets den Herrn Baron von Leibniz anführte; niemals vermochte es die Begeisterung beim Vortrage über ihn, den Titel Baron, der zum Namen eines großen Mannes so wenig paßt, wegzulassen.“

Über die Bevölkerung Dresdens insgesamt fällt der Pole Kraszewskv, welcher, nachdem er jahrzehntelang die denkbar duldsamste Gastfreundschaft genossen hatte, in einen Hochverratsprozeß verwickelt und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt ward, das Urteil, daß von derselben irgend eine politische Erhebung nun und nimmer zu erwarten, da sie ganz und gar nur auf Erwerb und Gewinn gerichtet sei. Er schließt dies daraus, daß auf dem Dresdener Christmarkte auch die Kinder zu Geschäftsleuten werden, indem sie ihren wohlbekannten, durch Ludwig Richters liebliches Bild verherrlichten Handel mit „Feuerrüpeln“ aus gebackenen Pflaumen treiben. (Kraszewski, vieczorze Dresdenskie, III.)


Quellangaben und Verweise.

Aus: Der Leumund der Sachsen. Festschrift zur Jubelfeier der 800 jährigen Regierung des Hauses Wettin über das gegenwärtige Königreich Sachsen, verfaßt von Hermann Ferdinand von Criegern, Leipzig 1889, Verlag und Druck von Otto Spamer.

Quelle: https://staatsbibliothek.ewigerbund.org/viewer/image/criegern_leumund_sachsen_1889/34/