Wir, Anton, von GOTTES Gnaden König von Sachsen etc. etc. etc.
und
Friedrich August, Herzog zu Sachsen, etc.

tun hiermit kund, daß Wir, infolge der von Unseren getreuen Ständen wiederholt ausgesprochenen Wünsche und mit Rücksicht auf die in anderen Staaten des Deutschen Bundes bereits getroffenen und durch die Erfahrung bewährt gefundenen Bestimmungen die Verfassung Unserer Lande mit Beirat und Zustimmung der Stände in nachfolgender Maße geordnet haben.

Erster Abschnitt.

Von dem Königreiche und dessen Regierung im Allgemeinen


§ 1

1) Vom Königreiche. Einheit und Unteilbarkeit desselben.

Das Königreich Sachsen ist ein unter Einer Verfassung vereinigter, unteilbarer Staat.1


§ 2

Unveräußerlichkeit seiner Bestandteile und der Rechte der Krone

(1) Kein Bestandteil des Königreichs oder Recht der Krone kann ohne Zustimmung der
Stände auf irgend eine Weise veräußert werden.

(2) Grenzberichtigungen2 mit benachbarten Staaten sind hierunter nicht begriffen, wenn
nicht dabei Untertanen abgetreten werden, welche unzweifelhaft zu dem Königreiche gehört haben.


§ 3

Regierungsform.


Die Regierungsform ist monarchisch und es besteht dabei eine landständische Verfassung.


§ 4

2) Vom Könige.

Der König ist das souveräne Oberhaupt3 des Staats, vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt und übt sie unter den durch die Verfassung festgesetzten Bestimmungen aus. Seine Person ist heilig und unverletzlich.


§ 5

Der König kann, ohne Zustimmung der Stände, weder zugleich Oberhaupt eines andern
Staats werden, Erbanfälle ausgenommen, noch seinen wesentlichen Aufenthalt außerhalb Landes nehmen.


§ 6

Erbfolge des Sächsischen Fürstenhauses.

Die Krone ist erblich in dem Mannesstamm des Sächsischen Fürstenhauses, nach dem
Rechte der Erstgeburt und der agnatischen Linealfolge, vermöge Abstammung aus ebenbürtiger Ehe4.


§ 7

Fernere Erbfolge.

In Ermangelung eines durch Verwandtschaft oder Erbverbrüderung5 zur Nachfolge berechtigten Prinzen geht die Krone auf eine, aus ebenbürtiger Ehe abstammende, weibliche Linie, ohne Unterschied des Geschlechts, über. Hierbei entscheidet die Nähe der Verwandtschaft mit dem zuletzt regierenden Könige, bei gleicher Nähe das Alter der Linie und in selbiger, das Alter der Person. Nach dem Übergang gilt wieder der Vorzug des Mannesstamms in der Primogeniturordnung.


§ 8

Volljährigkeit des Königs.

Der König wird volljährig, sobald er das achtzehnte Jahr zurückgelegt hat.


§ 9

Regierungsverwesung.

(1) Eine Regierungsverwesung tritt ein während der Minderjährigkeit des Königs, oder wenn derselbe an der Ausübung der Regierung auf längere Zeit verhindert ist, und für die Verwaltung des Landes nicht selbst Vorsorge getroffen hat6, oder treffen kann.

(2) In beiden Fällen wird die Regierungsverwesung von dem der Thronfolge nächsten volljährigen Agnaten geführt.

(3) Sie besteht nur auf solange, als der König an der Ausübung der Regierung behindert ist, und deren Eintritt und Schluß wird gesetzlich bekannt gemacht.


§ 10

Anordnung derselben durch den König für den Nachfolger

Sollte sich bei einem zunächst nach dem Könige zur Thronfolge bestimmten Familien-
glied ein Hindernis zeigen, welches demselben die eigene Verwaltung des Landes unmöglich machen würde, so ist noch unter der Regierung des Königs durch ein Staatsgesetz über den künftigen Eintritt der Regierungsverwesung zu entscheiden.


§ 11

Anordnung derselben für den König

(1) Würde der König während seiner Regierung, oder bei dem Anfalle der Thronfolge, durch ein solches Hindernis von der eigenen Verwaltung des Landes abgehalten sein, ohne daß
früher die oben bestimmte Verfügung getroffen wäre, so soll längstens binnen sechs Monaten in einer von der obersten Staatsbehörde (§ 41) zu veranlassenden Versammlung sämtlicher im Königreiche anwesenden, nach zurückgelegtem 21sten Jahre volljährigen Prinzen des Königli-chen Hauses, mit Ausschluß des zunächst zur Regentschaft berufenen Agnaten, auf vorgängi-ges Gutachten jener Behörde, über den Eintritt der Regierungsverwesung, nach absoluter Stim-menmehrheit, ein Beschluß gefaßt und solcher den versammelten oder außerordentlich zusam-men zu berufenden Ständen zur Genehmigung vorgelegt werden.

(2) Sind nicht mindestens drei Königliche Prinzen zu Fassung eines diesfallsigen Beschlusses gegenwärtig, so werden die den Jahren nach ältesten regierenden Häupter der Ernestinischen Linie7 bis zu Erfüllung dieser Zahl zu der Versammlung eingeladen.


§ 12

Gewalt des Regierungsverwesers

(1) Der Regierungsverweser übt die Staatsgewalt in dem Umfange, wie sie dem Könige zu-
steht, unter dessen Namen verfassungsmäßig aus.

(2) Veränderungen in der Verfassung dürfen von dem Regierungsverweser weder in Antrag
gebracht, noch, wenn sie von den Ständen beantragt worden, genehmigt werden, als wenn solches von ihm, unter Beirat des nach § 11 konstituierten Familienrats, und in Folge eines in der daselbst vorgeschriebenen Maße gefaßten Beschlusses geschieht. Dergleichen Veränderungen erhalten aber sodann bleibende Gültigkeit.8


§ 13

Dessen Aufenthalt und Aufwand

(1) Der Regierungsverweser hat, insofern er nicht ein auswärtiger Regent ist, seinen we-
sentlichen Aufenthalt im Lande zu nehmen.

(2) Der Aufwand desselben wird von der Zivilliste (§ 22) bestritten.9


§ 14

Regentschaftsrat


Die oberste Staatsbehörde (§ 41) bildet den Regentschaftsrat des Regierungsverwesers,
und dieser ist verbunden, in allen wichtigen Angelegenheiten das Gutachten derselben einzuholen.10


§ 15

Erziehung des minderjährigen Königs

(1) In Ermangelung einer von dem Könige getroffenen Anordnung gebührt die Erziehung
des minderjährigen Königs der Mutter, und wenn diese nicht mehr lebt, oder sich anderweitig vermählt, der Großmutter von väterlicher Seite; jedoch kann die Ernennung der Erzieher und Lehrer und die Festsetzung des Erziehungsplans nur nach Rücksprache mit dem Regierungs-verweser und dem Regentschaftsrat geschehen. Bei einer Verschiedenheit der Ansichten hat der Regierungsverweser mit dem Regentschaftsrat die Entscheidung; auch liegt diesem, nach dem Absterben oder der anderweitigen Vermählung der Mutter oder der Großmutter, die Sorge für die Erziehung des minderjährigen Königs allein ob.11

(2) Die diesfallsigen Beratungen des Regentschaftsrats werden unter dem Vorsitze des Regierungsverwesers gepflogen, welcher bei dem zu fassenden Beschluß nur eine Stimme, jedoch, im Falle der Stimmengleichheit, die Entscheidung hat.


1 In der VU. von 1831 hatte § 1 am Schluß noch die Worte „des Deutschen Bundes“. Dieselben wurden durch Z. l. des VG. von 1868 gestrichen.
2 Hins. der Grenzberichtigungen geht aus den Verhandlungen des Landtags von 1831 hervor, daß man die bloße Feststellung ungewisser Grenzen überhaupt nicht als Veräußerung, somit nicht als von ständischer Zustimmung abhängig ansah: es sollte aber eine solche auch dann nicht nötig sein, wenn zur Ausgleichung und Berichtigung streitiger oder nicht gut abgerundeter Grenzen ein gegenseitiger Austausch kleinerer Parzellen und somit eine wirkliche wechselseitige Gebietsabtretung erfolge. Nur wenn eine derartige Abtretung zugleich die Abtretung von Untertanen enthält, ist dazu die Zustimmung der Stände erforderlich. 3 Die Ausübung der Regierung kann nach § 9 der VU auch einem Regierungsverweser oder Stellvertreter zukommen.
4 Nach § 1 des Haus-Ges. von 1837 verb. mit §§ 9 und 10 bilden den sukzesionsfähigen Mannesstamm des Königlichen (Alberttinischen) Hauses die „Prinzen, welche von dem gemeinschaftlichen Stammvater durch von dem König anerkannte ebenbürtige rechtmäßige Ehe in männlicher Linie abstammen“. Die Ebenbürtigkeit ist weder in der VU. noch im HG. näher bestimmt; auch die älteren Hausgesetze haben sie nicht festgestellt. In den Verfassungsverhandlungen wünschten die Stände eine nähere Bestimmung; die Regierung erklärte, eine solche werde später entsprechend den noch zu erwartenden bundesgesetzlichen Bestimmungen in das Hausgesetz aufgenommen werden. Als bestehendes Recht ist anzunehmen, daß nur die Ehe eines Prinzen mit einer hochadeligen Gemahlin ebenbürtig sei. Die Ebenbürtigkeit des Schönburg’schen und des Solms Wildenfels’schen Hauses ist von Seiten Sachsens ausdrücklich anerkannt, zuletzt hins. des ersteren im Erläuterungsreceß von 1835 (G.- u. VBl. von 1835 S. 626) und in der Übereinkunft von 1878 §19 (G. u. VBl. von 1878 S. 401), hins. des anderen in der Königlichen Deklaration v. 18. Feb.
1846 (G.- u. VBl. S. 20) „jedoch außer aller Beziehung auf den Besitz der Herrschaft Wildenfels und einer etwa behauptet werdenden ehemaligen Reichsunmittelbarkeit derselben“.
5 Seit 1373 besteht eine Erbverbrüderung zwischen den Gesamthäusern Sachsen und Hessen; letztmals erneuert wurde sie 1614. Ihre fortdauernde Geltung war jederzeit unbestritten; daß auch der obige § 7 der VU. ihre Anerkennung enthält, ist außer Zweifel.
Dieser Erbverbrüderung schloß sich 1451 das Brandenburg’sche Haus an (letzte Erneuerung gleichfalls 1614); rechtliche Gültigkeit oder Fortdauer dieser Erbverbrüderung mit Brandenburg war nicht unbestritten; § 7 oben läßt diesen Streit gleichfalls unentschieden. Auch die Hessen-Darmst. VU. von 1820 (Art. 5) und die Kurhessische von 1831 (§ 4) drücken sich ebenso unbestimmt und allgemein aus wie unser § 7 (Art. 5 „In Ermangelung eines durch Verwandtschaft oder Erbverbrüderung zur Nachfolge berechtigten Prinzen geht die Regierung auf das weibliche Geschlecht über“, § 4. „Würden dereinst Besorgnisse wegen der Thronerledigung bei Ermangelung eines durch Verwandtschaft oder fortdauernde Erbverbrüderung zur Nachfolge berechtigten
Prinzen entstehen, so soll etc..“ Die Preußische Verfassung von 1850 (Art. 53) spricht nur von Thronsukzession im Mannesstamm des Königlichen Hauses. Die Verträge selbst s. bei Schulze, Hausgesetze Bd. II. 1878 S. 36 flg. Über sie bes. E. Löning, die Erbverbrüderung zwischen den Häusern Sachsen und Hessen 1867 u. Schulze I. c. S. 10 flg 6 Der Fall, wo der König „für die Verwaltung des Landes selbst Vorsorge getroffen hat“, ist seit 1831 viermal vorgekommen:
1837 s. Spezial – Rescript des Königs v. 23. Juni 1837.
1838 s. Spezial – Rescript des Königs v. 17. April 1838.
1849 s. Königliche Erklärung vom 8. Mai 1849.
1866 s. Königliche Verordnung vom 16. Juni 1866.
In den 3 ersten Fällen wurde das Gesamtministerium mit der Stellvertretung beauftragt, im 4. Fall eine Landeskommission eingesetzt. Eine Regierungsverwesung kam seit 1831 nicht vor. 7 Das Sächsische Fürstenhaus ging durch die Teilung von 1485 zwischen den Brüdern Ernst und Albrecht, den Söhnen des Kurfürsten Friedrich d. Sanftmütigen in die beiden Hauptlinien: ältere oder Ernestinische, und jüngere oder Albertinische, jetzt Königliche, Linie auseinander. Seit 1672 bestand das Ernestinische Haus nur noch aus den beiden von 1641 datierenden Linien
Weimar und Gotha. Das Gothaische Haus teilte sich 1680 abermals und bildet seit 1825 bzw. 1826 die drei herzoglichen Linien:
S.-Meiningen und Hildburghausen, S.-Altenburg und S.-Coburg-Gotha. Das Haus Weimar nahm 1815 die Großherzogliche Würde an.
Die Gliederung des Ernestinischen Gesamthauses war also 1831 schon dieselbe wie heute: das Gr.–H. S.-Weimar und die 3 bemerkten Herzogtümer.
8 Wegen der Verfassungsänderungen überhaupt s. u. § 152.
9 Zu Abs. 2 siehe§ 64 des HG. 10 Vgl. hierzu die VO. v. 7. Nov. 1831, § 4 G bes. Z. 5.
11 Wenn die Mutter des minderjährigen Königs sich wieder vermählt und die Großmutter tot ist, so können nach den Verhandlungen von 1831 Regierungsverweser und Regentschaftsrat, wenn sie es für angemessen halten, die Erziehung der Mutter übertragen.