Fünfter Abschnitt

Von der Rechtspflege


§ 45

1) Verwaltung der Gerichtsbarkeit

Die Gerichtsbarkeit wird in einer gesetzlich bestimmten Instanzenordnung verwaltet.27


§ 46

2) Angabe der Gründe der Rechtsentscheidungen

Alle Gerichtsstellen haben ihren Entscheidungen Gründe beizufügen.


§ 47

3) Kompetenz

(1) Sie sind bei Ausübung ihres richterlichen Amtes innerhalb der Grenzen ihrer Kompe-
tenz von dem Einfluß der Regierung unabhängig.

(2) Über Kompetenzzweifel zwischen Justiz- und Verwaltungsbehörden entscheidet in letzter Instanz eine besondere Behörde, deren Organisation durch ein Gesetz bestimmt wird, und deren Mitglieder zur Hälfte aus Räten des obersten Justizhofes bestehen müssen.28


§ 48

Kein Untertan darf seinem ordentlichen Richter entzogen werden, außer in den von den
Gesetzen vorausbestimmten Fällen.29

§ 49

4) Rechtsweg in Bezug auf Akte der Staatsverwaltung

(1) Jedem, der sich durch einen Akt der Staatsverwaltung in seinen Rechten verletzt glaubt, steht der Rechtsweg offen.

(2) Ein besonderes Gesetz30 wird die nötigen Ausnahmen und Bestimmungen treffen, damit durch die Ausübung dieses Befugnisses der freie Fortgang der Verwaltung nicht gehemmt werde.


§ 50

5) Gerichtsstand des Fiskus

Der Fiskus nimmt in allen ihn betreffenden Rechtsstreitigkeiten Recht vor den ordentli-
chen Landesgerichten.31


§ 51

6) Gesetzliche Verfolgung

Niemand darf ohne gesetzlichen Grund verfolgt, verhaftet, oder bestraft und über vier und
zwanzig Stunden über die Ursache seiner Verhaftung in Ungewißheit gelassen werden.32


§ 52

7) Begnadigungsrecht

Der König hat in strafrechtlichen Fällen das Recht der Abolition, so wie der Verwandlung,
Minderung oder des Erlasses der Strafe, kann aber zuerkannte Strafen nicht schärfen.


§ 53

8) Konfiskation

(1) Die Konfiskation kann künftig nur bei einzelnen Sachen, welche als Gegenstand oder
Werkzeug einer Vergehung gedient haben, Statt finden.

(2) Eine allgemeine Vermögenskonfiskation tritt in keinem Falle ein.33


§ 54

9) Moratorien

Moratorien dürfen von Staatswegen nicht erteilt werden.34


§ 55

10) Vorbehaltene Bestimmungen über die Einrichtung der Rechtspflege

(1) Die Rechtspflege wird auf eine der Gleichheit vor dem Gesetze entsprechende Weise in der Maße eingerichtet werden, dass die privilegierten Gerichtsstände aufhören, soweit nicht einzelne auf Verträgen oder besonderen Verhältnissen beruhende Ausnahmen noch ferner notwendig bleiben.

(2) Die nähern Bestimmungen hierüber werden durch ein Gesetz getroffen werden.35


27 Die Neugestaltung der Justiz begann abgesehen von den transitorischen Einrichtungen der VO. v. 7. Nov. 1831 mit dem B Ges.
v. 1835, durch welches in den höheren Instanzen ein Oberappellationsgericht und 4 Appellationsgerichte eingerichtet wurden. Die Gesetzgebung von 1855 hob alle Patrimonialjustiz auf, so das von da an alle Gerichtsbarkeit nur von königlichen Gerichten geübt wurde, (wegen der Schönburg’schen Rezeßherrschaften s. nachher) und stellte als untere Instanzen die Bezirksgerichte und Gerichtsämter auf. Geschworenengerichte wurden 1868 angefügt. Die Gesetzgebung von 1873 führte die Trennung der Justiz und Verwaltung, die bei den Gerichtsämtern noch fehlte, durch, indem sie diese zu reinen Gerichten machte. Das Jahr 1877 brachte endlich die Reichsjustizgesetzgebung mit der neuen Gerichtsorganisation, (Oberlandesgericht in Dresden, Landgerichte nebst Schwurgerichten in Bautzen, Chemnitz, Dresden, Freiberg, Leipzig, Plauen, Zwickau, Amtsgerichte s. Ges. v. 1. März, VO. v. 28. Juli 1874). Der Übergang der dem Hause Schönburg noch zustehenden Gerichtsbarkeit auf den Staat wurde durch die Übereinkunft von 1878 (s. z. § 63) geordnet. 28 Die Entscheidung der Kompetenzkonflikte wurde zunächst durch § 18 des A Ges. v. 28. Jan. 1835 provisorisch dem Staatsrat
übertragen; dann durch Ges. v. 13. Juni 1840 einer hierfür gegründeten besonderen Kommission. Das RGerichtsverfassungsgesetz § 17 gab den Anlass zu dem die Entscheidung der Kompetenzstreitigkeiten neu ordnenden Sächs. Ges. vom 3. März 1879, das hierfür einen besonderen Kompetenzgerichtshof aufstellte.
29 Daraus erwuchsen dann die ABC Gesetze v. 28. u. das DGes. v. 30. Jan. 1835.
30 Als das besondere Gesetz des § ist die zu § 48 bemerkte Gesetzgebung von 1835 anzusehen, insbesondere das A Gesetz v. 28. Jan.1835 und in diesem insbesondere § 7, Z. 3 und Abs. 2, wo es heißt „Der Rechtsweg findet statt 3) wenn Jemand unter der Behauptung, eine Verwaltungsbehörde habe ihre Amtsgewalt überschritten oder gemissbraucht, oder Amtspflichten vernachlässigt, und es sei daraus für ihn Schaden entstanden, Entschädigung (nach Befinden Herstellung des vorigen Standes der Sache, Sachsenbuße) verlangt.“ „Es dürfen jedoch Justizbehörden, wenn dabei Verwaltungsmaßregeln zur Sprache kommen, über die
Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit derselben im Bezug auf das allgemeine Beste, soweit eine rechtliche Erörterung darüber in den Gesetzen nicht ausdrücklich nachgelassen worden, nicht urteilen, noch die Verordnungen der Verwaltungsbehörden für ungültig erklären. Auch versteht es sich von selbst, dass Justizbehörden über die Verletzung oder Gefährdung bloßer Interessen (im Gegensatz der Rechte) und über Versagung von Gesuchen, deren Bewilligung dem Ermessen der Verwaltungsbehörden überlassen ist, nicht zu urteilen haben; ingleichen, dass die Administrativ-Justizbehörden, wenn sie in ihrer richterlichen Eigenschaft, innerhalb der Grenzen ihrer Kompetenz, Entscheidungen geben, ganz den gewöhnlichen Justizbehörden gleichzuachten sind.“
S. dazu § 11 des Reichs-Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz. 31 Siehe jetzt § 4 des REinfGes. zur Zivilprozessordnung.
32 Siehe das D. SGB. und die DStPO., bes. SGB. § 2 SPO. § 114, 198, 266, und GVG. § 16.
33 Siehe bes. § 40 des SGB.
34 Siehe d. ECPO. § 14, 4, EKO. § 4. 35 Abs. 2 wurde durch das C Ges. v. 28. Jan. 1835 verwirklicht. Dazu das Hausgesetz Abschn. 9 (Nachtrag vom 20. Aug. 1879).
Im Übrigen ist auf die Reichsgesetzgebung zu verweisen (bes. EGVG § 5, 7. GVG § 16. ECPO § 5, EKO § 7, ESPO. § 4).