Hintergründe.
Der vaterländische Hilfsdienst war in den Jahren nach der Errichtung ein wichtiges Werkzeug des Staates. Durch die völkerrechtwidrige Hungerblockade der Engländer wurde die Situation im Inland immer schwieriger. Die Deutschen erkannten die Notwendigkeit dagegen etwas zu tun und kamen der Hilfsdienstpflicht in großem Umfang nach. Davon und von vielem mehr handelt dieser historische Zeitungsbericht, der im folgenden in voller Länge wiedergegeben wird.
Bei einigen Zeilen könnte man meinen sie stammen aus der heutigen Zeit. Doch diese Interpretation wird jedem Leser selbst überlassen.
Zeitungsartikel.
Der vaterländische Hilfsdienst. Von Prof. Dr. Theobald Ziegler, Frankfurt a. M. (Genaues Erscheinungsjahr ist unklar, vermutlich 1917.)
Fast gleichzeitig tat Deutschland zwei scheinbar ganz entgegengesetzte Dinge: es lud die Feinde zu Friedensverhandlungen ein und es erließ das vaterländische Hilfsdienstgesetz, – jenes mitten in unserem Siegeslauf ein beispielloses Zeichen von Mäßigung, Friedensliebe und Menschlichkeit, dieses das Zeichen ebenso beispielloser Entschlossenheit eines ganzen Volkes, sich selbst zu behaupten in seiner nationalen und in seiner staatlichen Existenz und Macht. Und doch kein Widerspruch! Alle Welt, Feinde und neutrale, sollten sehen, daß wir nicht aus Ermattung oder gar aus Angst die Hand zum Frieden bieten, sondern daß wir willens und bereit sind, wenn sie in diese Hand nicht einschlagen wollen, den Krieg mit Aufbietung der ganzen Volkskraft fort- und durchzuführen zum siegreichen Ende. Sie haben unter Friedensangebot in schnödester und rohester Form zurückgewiesen: So tritt nun der Krieg wieder und mit schärfster Benützung aller uns zu Gebot stehenden Mittel in seine Rechte.
Aber zum Kriegführen braucht man nicht nur Soldaten und Geld, sondern auch Zivilisten, in erster Linie – und davon ist wohl der Gedanke an den allgemeinen Hilfsdienst ausgegangen – Leute zur Anfertigung von Munition und sonstigem Kriegsmaterial. Dann sind Arbeitskräfte zur Bestellung der Felder nötig, damit der teuflische Aushungerungsplan zuschanden wird; und endlich werden Helfer auf tausend anderen Gebieten gesucht, so daß möglichst jeder kampffähige Mann von sonstigen Dienstleistungen freigemacht wird und wirklich zum kämpfen verwendet werden kann. Das ist der Sinn und die Absicht des Hilfdienstgesetzes vom 06. Dezember 1916, das jeden Jüngling und Mann vom vollendeten siebzehnten bis zum vollendeten sechzigsten Lebensjahr in den Dienst des Staates stellt und ihn als Arbeiter für seine Zwecke in Pflicht nimmt. Damit erst entspricht der Feldarmee die Heimarmee vollends, damit erst ist die allgemeine Wehrpflicht, der „Militarismus“, wirklich durchgeführt und zur Wahrheit geworden.
Aber bleiben nicht doch noch Unterschiede und Ausnahmen? Unterschiede: um was handelt es sich denn beim vaterländischen Hilfsdienst, um sittliche Verpflichtung oder um staatlichen Zwang? Zunächst wendet sich der Staat an die Freiwilligkeit. Das ist, möchte ich sagen, das Schöne und das Große, daß man darauf rechnet und sich, wie die bisherigen Erfahrungen zeigen, darin auch nicht verrechnet hat, daß das Deutsche Volk seine Zeit und das, was es in dieser Zeit dem Staat schuldig ist, so völlig begreift, und darum nun, wo der Staat ruft, die vielen von selber kommen und das, was sie bisher nicht getan oder im persönlichen Interesse getan haben, freiwillig und bereitwillig als Staatsdienst und als Kriegsdienst hinter der Front auf sich nehmen. So stellt der Staat den freien Willen, das Moralische, den Pflichtgedanken in seinen Dienst und in seine Rechnung ein. Daß er sich daneben den Zwang vorbehält, wo einzelne doch versagen oder sich nicht willig den besonderen Aufgaben, die ihnen gestellt werden, unterziehen und in den notwendig straffen Organisationsplan im ganzen einreihen lassen sollten, ist selbstverständlich; er wäre sonst nicht der Staat, der Gewalt über uns hat, und der seinem Wesen und Begriff nach zwingen können muß.
Fürs Zweite die Ausnahmen: auf Frauen ist das Hilfsdienstgesetz nicht ausgedehnt worden. Nicht als ob der Staat auf weibliche Hilfe verzichten wollte; daß das nicht geschieht, zeigt ja der Blick auf die tausend und aber tausend in den Munitionsfabriken beschäftigten Frauen und Mädchen, und zeigt der Blick auf das, was Frauenhände in Lazaretten und im nationalen Frauendienst leisten und schaffen. So rechnet der Staat auch bei ihnen darauf, daß sie ihm wie die Männer freiwillig und von selber helfen. Aber daß Frauenarbeit vielfach individueller ist als Männerarbeit und darum nicht ebenso in den Rahmen eines allgemein gültigen Gesetzes einbezogen und eingespannt werden kann, diese Einsicht ließ ihr gegenüber auf das staatliche Mittel des Zwangs verzichten. Und daher gilt hier: auch haushalten und wirtschaften in Stadt und Land, auch sparsam kochen und Kindererziehen ist vaterländischer Hilfsdienst; aber ihn muß jede Hausfrau und jede Mutter individuell und doch immer im Aufsehen zum Staat und im Gedanken an die Staatsnotwendigkeiten besorgen und leisten.
So ist der vaterländische Hilfsdienst eine gewaltige Probe auf das, was man Staatsozialismus nennt und was sich schon vor dem Krieg unter diesem Namen als die Neigung gezeigt hat, das, was eben noch Privatsache gewesen war, im nächsten Augenblick schon zu einer öffentlichen, einer sozialen Angelegenheit zu machen. Deswegen fordern dabei auch allerlei soziale Probleme der Arbeitszeit und der Lohnfestsetzung, des Verhältnisses von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, von Kündigungsrecht und Koalitionsfreiheit, von Arbeiterschutz und Schiedsgerichten Berücksichtigung, und der Reichstag hat gerade hier mit Recht und mit gutem Verständnis allerlei Vorkehrungen gesucht und glückliche Lösungen gefunden. Aber die Hauptsache ist doch das Allgemeine: Die Versöhnung des Einzelnen mit dem Staat, der große Friedensschluß, der auf dieser tief sittlichen Grundlage zwischen dem Deutschen Industrievolk und dem Deutschen Staat zustande gekommen ist, und dessen Segen uns gewiß auch über den Krieg hinaus begleiten wird, wie er uns vom ersten Tag des Krieges an durch diesen hindurch begleitet hat.
Wertvoll ist endlich auch die – ich möchte sagen: die Verlängerung der Deutschen Heimarmeefront über die Grenzen unseres Vaterlands hinaus und hinein in die von uns besetzten feindlichen Gebiete, die Verwendung der sich zum Hilfsdienst Stellenden in der Etappe. Unsere Bilder zeigen beispielsweise die Ankunft und Begrüßung, die Anmeldung und Verteilung solcher Hilfsdienstpflichtigen in der alten belgisch-flämischen Handels- und Universitätsstadt Gent. Von dieser Ausdehnung des Hilfsdienstes dürfen wir uns, neben der allgemeinen Erweiterung des Geschichtreifes und dem Speziellen eigenen Erleben des Krieges oder doch eines Bruchstücks davon, noch zweierlei versprechen; einmal eine nicht bloß ideelle, sondern ganz reale und ganz besonders enge Verbindung von Heimarmee und Feldarmee, „die draußen“, das sind jetzt auch Zivilisten, die die Verbindung zwischen unseren Feldgrauen nach rückwärts und und uns zu Hause Gebliebenen nach vorwärts herstellen. Und fürs zweite wird dadurch Einsicht und Verständnis verbreitet für das Viele und Vielartige, das in Feindesland und in der Etappe an Verwaltungs- und Organisationsarbeit zu leisten ist, und das wird auch die Schwierigkeit ähnlich vielgestaltiger Aufgaben zu Hause, zum Beispiel bei dem Volksernährungsproblem zum Bewußtsein bringen und den Fehlern und Mißgriffen gegenüber, an denen es ja dort wie hier nicht fehlt, duldsamer und geduldiger machen.
Aber über alles ist es doch die Erkenntnis, mit der die Hilfsdienstpflicht unser ganzes Volk durchdringen wird, das wir durchhalten müssen um jeden Preis und durchhalten wollen mit jedem Endchen unserer Kraft. Und dazu trägt das Pflichtbewußtsein jedes einzelnen, der im Hilfsdienst tätig ist, und sein Glaube mächtig bei, daß es wesentlich auch auf ihn und seine Mitarbeit ankomme. Nicht bloß tragen ohne zu klagen, sondern tragen, indem man stützt und das Ganze tragen hilft – wenn darin das ganze Volk einig und wenn es dazu entschlossen ist, führt es zum Sieg. Ohne Sieg aber kein Friede! Und so ist das Hilfsdienstgesetz letzten Endes doch auch ein Friedensgesetz, neben dem uneingeschränkten Tauchbootkrieg ein zweiter gewaltiger Schritt vorwärts auf dem Weg zu einem baldigen Frieden und zu einem guten Deutschen Frieden, wie wir ihn alle wollen und brauchen.