…Staatsangehöriger, Reichsbürger, Untertan oder Staatsbürger?
Deutscher. Kaum ein Begriff hat sich in den vergangenen hundert Jahren unschärfer, undeutlicher und schwammiger entwickeln müssen als dieser und den wenigsten Deutschen der Gegenwart ist bekannt, daß die Bezeichnung „Deutscher“ ein gesetzlicher normierter Begriff für das deutsche Indigenat ist (siehe Artikel 3 der Reichsverfassung).
Was also ist ein Deutscher?
Ist er ein Reichsbürger, ein Staatsangehöriger, ein Untertan oder ein Staatsbürger?
Wichtig für das Grundverständnis ist hierbei der bundesstaatliche Charakter des Ewigen Bundes: 26 Staaten bilden einen Bund aus 26 Völkern. Dr. Ludwig Rönne erläutert aus der Sicht des preußischen Staates ausführlich, wie es sich mit Staatsangehörigkeit, Staatsbürgerschaft, Indigenat und Untertanenschaft eines Deutschen verhält.
Dem Staate gegenüber.
I. Dem Staate gegenüber als der Gesamtheit der zu einem staatlichen Gemeinwesen verbundenen Einzelnen stehen diese in einem öffentlichen Verhältnisse der Unterordnung. Der Staatsgewalt als dem über die einzelnen herrschenden Subjekte sind daher alle einzelnen Glieder der Gemeinschaft unterworfen, sind demgemäß die „Unterthanen“ des Staates. Nur der König, als „Souverän“, gehört nicht zu den „Unterthanen“, zu welchen dagegen auch die Mitglieder der Königlichen Familie, selbst die Königin und der Thronfolger, zu zählen sind, und ebenso stehen die Häupter der vormals unmittelbaren deutschen fürstlichen und gräflichen Häuser und ihre Familien, deren Besitzungen mediatisiert und dem Preußischen Staate einverleibt worden sind, im unmittelbaren, aber standesherrlichen Subjektionsverhältnisse zur Krone Preußen. Das Unterthanenverhältnis zum Staate gestaltet sich im monarchischen Staate von selbst zum Unterthanenverhältnis gegenüber dem Monarchen als dem Staatsoberhaupt.
Während nun aber die Bezeichnung „Unterthanen“ lediglich von dem Verhältnisse der Unterordnung der unter der Staatsgewalt vereinigten Glieder des Staates unter die Letztere ausgeht, werden die Staatsangehörigen, insofern ihnen neben den politischen Pflichten auch öffentliche Rechte zustehen, und im Gegensatze zu denjenigen, welche nicht zu den selbstberechtigten Gliedern der Staatsordnung gehören, als Staatsbürger bezeichnet. Der Begriff des Staatsbürgerrechtes ist somit nur dem verfassungsmäßigen, dem Rechtsstaate, eigenthümlich, in dem dieser jedem seiner Angehörigen unter bestimmten Voraussetzungen ein grundsätzlich gleiches Recht der aktiven Teilnahme am Staatsleben zugesteht, wogegen im Patrimonialstaate, wie in der absoluten Monarchie, die Beziehung auf die Pflichten (also auf die passive Seite des Verhältnisses) als das überwiegend Hervortretende aufgefaßt, die Rücksicht auf die Rechte aber (also auf die aktive Seite des Verhältnisses) als untergeordnet erachtet, und demzufolge der Begriff des Staatsbürgerrechtes von dem der Unterthanschaft wo nicht verdrängt, so doch überwogen wird.
Die Gesetze des vormaligen Deutschen Bundes sprechen nur von Unterthanen; ebenso viele deutsche Verfassungsgesetze. In der preußischen Gesetzgebung ist der Begriff eines preußischen Staatsbürgerrechtes bereits vor der Emanation der Verfassungsurkunde anerkannt worden. Diese letztere aber hat den Begriff des Staatsbürgerrechtes im Sinne des Rechtsstaates aufgefaßt, indem die in dem zweiten Titel derselben aufgeführten „Rechte der Preußen“ diejenigen allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte der Staatsangehörigen umfassen, welche allen Preußen gewährleistet worden sind. Diese Rechte werden daher auch ausdrücklich als die „staatsbürgerlichen“ bezeichnet (Art. 3 und 12 der Verfassungsurkunde). Gegenüber dem Standpunkt des absoluten Staates und im berechtigten Kampfe gegen denselben ist freilich die Theorie und die parlamentarische Praxis vielfach der Versuchung erlegen, in den entgegengesetzten Fehler zu verfallen und im „Staatsbürger“ nur mehr Rechte zu erblicken, dagegen die Pflichten zu verkennen.
Das Staatsbürgerrecht.
Das Staatsbürgerrecht ist der Inbegriff derjenigen Rechte, welche dem Staatsbürger als solchem, also ohne besondere Erwerbung, dem Staate gegenüber zustehen, nämlich derjenigen Rechte, welche jedem Staatsgenossen schon wegen dieser rechtlichen Eigenschaft als Teilnehmer der Staatsgenossenschaft gebühren. Es sind darunter die reinen Privatrechte, welche einem Staatsbürger gegen den anderen zustehen, und welche der Staat nur schützt, nicht begriffen, sondern nur denjenigen Rechte, welche der Staat seinen Gliedern gewährt und welche öffentlicher Natur sind, weil ihre Ausübung im Interesse des Gemeinwesens geordnet werden muß. Diese Rechte sind aber Befugnisse, welche der Einzelne vom Ganzen empfängt, und zur Gewähr dieser Rechte stellt die Verfassung rechtliche Grundsätze fest über diejenigen Schranken der Regierungsgewalt, beziehungsweise Normen ihres Handelns, welche sich aus der Natur des Rechtsstaates und aus dem Verhältnisse des Einzelnen zu diesem ergeben. Die im Staatsbürgerrecht im weiteren Sinne enthaltenen Rechte sind nun aber zwiefacher Art, nämlich:
a) die staatsbürgerlichen Rechte im engeren Sinne oder die eigentlichen politischen Rechte, d. h. diejenigen, welche sich auf die unmittelbare Teilnahme an dem Staats- und Gemeindeleben beziehen, und
b) die bloß bürgerlichen Rechte.
Zu den politischen Rechten (staatsbürgerlichen Rechten im engeren Sinne) gehören insbesondere: das aktive und passive Wahlrecht, die allgemeine, nur an die gesetzlichen Bedingungen geknüpften Fähigkeit zu öffentlichen Ämtern, insbesondere auch den Ämtern der Selbstverwaltung und die Befugnis, als Geschworener, bzw. Schöffe zu fungieren. Davon werden unterschieden die bürgerlichen Rechte, die in diesem Sinne nicht bloß privatrechtlichen Charakter tragen, sondern auch die im Sinne des Strafrechtes unvermindert bürgerliche Ehrenhaftigkeit umfassen. Die ältere Theorie unterschied in diesem Sinne wohl auch zwischen Staatsbürgerrecht und Indigenat, indes letzterer Begriff jetzt durch das Reichsstaatsrecht einen andern Rechtsinhalt empfangen hat.
Die Staatsangehörigkeit.
Die Staatsangehörigkeit ist durch Gesetz von bestimmten tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen abhängig gemacht. Wer diesen Voraussetzungen nicht genügt, ist Fremder; Fremden stehen grundsätzlich die Rechte der Staatsangehörigen nicht zu, obgleich sie sich im Gebiete des Staates aufhalten und mit dessen Angehörigen privatrechtlich verbunden oder an Gegenständen im Staate privatrechtlich berechtigt sein können. Auch wenn Ausländer Grundeigentum im Staate erworben haben (sog. Forensen), gehören sie doch für ihre Person nicht zu den Staatsangehörigen, wenngleich das Grundstück ein Teil des Staatsgebietes und daher in jeder Beziehung der Staatsgewalt unterworfen ist. Mit Rücksicht hierauf hat auch das Gesetz v. 31 Dez. 1842 über die Erwerbung und den Verlust der Eigenschaft als preußischer Unterthan im §. 11 bestimmt, daß durch dieses Gesetz an den Rechten und Pflichten, welche in Beziehung auf Unterthanenverhältnisse aus dem Grundbesitze und namentlich aus dem Besitze eines Rittergutes und dem Homagialeide folgen, nichts geändert werde. Allerdings konnte aber ausnahmsweise das sog. volle Landsassiat eine Ausnahme von jener Regel begründen.
Nach den Grundsätzen des alten deutschen Staatsrechtes war jeder Eigentümer eines Grundstückes in Ansehung desselben Landsaß (Unterthan) des Landherrn, in dessen Territorium dasselbe gelegen war, und in dem Art. 18 der Deutschen Bundesakte haben die Staaten des (ehemaligen) Deutschen Bundes in Rücksicht ihrer Unterthanen gegenseitig dem Rechte entsagt, Fremde vom Erwerbe und Besitze der Grundstücke auszuschließen, ohne indes das Verhältnis genauer zu bestimmen, welches für solche Forensen durch den Besitz derselben entsteht. In der Regel hatte nun aber ein solcher Grundbesitz keine anderen Unterthanenpflichten zur Folge als die, welche aus der Gewalt über das Grundstück entspringen (sog. landsassiatus minus plenus); es stand jedoch jedem Staate frei, sowohl jene Pflichten weiter auszudehnen und auch in anderen Beziehungen den Grundbesitzer als Unterthan zu behandeln (sog. landsassiatus plenus), als auch ihm den Genuß der mit dem Besitze sonst verbundenen politischen Rechte zu versagen, solange er seinen Wohnsitz nicht im Staate selbst nahm. Der sog. volle Landsassiat ist indes keineswegs allgemein in Deutschland eingeführt worden und umfaßt auch in der Regel nichts als die Verpflichtung, auch wegen persönlicher Klagen im foro rei sitae zu Recht zu stehen.
In Preußen ist der volle Landsassiat, wo derselbe besteht, nichts anderes, als daß dadurch auch wegen persönlichen Klagen der dingliche Gerichtsstand begründet wird. Wenn also der §. 11 des Gesetzes v. 31. Dez. 1842 ausspricht, daß durch dieses Gesetz nichts in denjenigen Rechten und Pflichten geändert werde, welche (nach der bis dahin ergangenen Gesetzgebung) aus dem Grundbesitze folgen, so stellt derselbe hierdurch fest, daß da, wo der bloße Grundbesitz bisher schon keine Unterthanenverhältnisse begründet hat, dies auch in Zukunft nicht der Fall sein soll. Übrigens hat der sog. landsassiatus plenus in Preußen niemals als allgemeine Einrichtung bestanden, sondern nur in einzelnen Landestheilen, und zwar theils kraft besonderer älterer gesetzlicher Bestimmungen, theils nur kraft Herkommens. Da nach Art. 3 der deutschen Reichsverfassung kein deutscher Staat berechtigt ist, die Grundsätze des landsassiatus plenus, welche als eine singuläre Belästigung bei der Ausübung des Grundeigentums anzusehen sind, auf die Angehörigen anderer deutscher Staaten zur Anwendung zu bringen, indem alle Reichsangehörigen in betreff des Erwerbes und Besitzes von Grundeigentum im ganzen Deutschen Reiche gleichgestellt worden sind, so ist der landsassiatus plenus, soweit ein solcher noch bestanden hat, in betreff einer weiter ausgedehnten Gerichtspflichtigkeit überhaupt jetzt durch die Bestimmungen der §§. 25 bis 27 der Zivilprozessordnung für das Deutsche Reich für aufgehoben zu erachten, wonach die bloße Angesessenheit mit Grundbesitz lediglich die Gerichtspflichtigkeit für solche Klagen begründet, welche auf diesen Grundbesitz Bezug haben.
Entwicklung zum gemeinsamen Indigenat.
Zur Zeit des vormaligen Deutschen Reiches [Heiliges Römisches Reich deutscher Nationen bis 1806] konnte ein allgemeines, jedem Deutschen zuständiges Reichsbürgerrecht oder Reichsindigenat neben dem Landesindigenate als dem besonderen Indigenate der Landesangehörigen in den einzelnen Territorien bestehen, und bestand auch in der Tat mit bestimmten Wirkungen. Mit der Auflösung der alten deutschen Reichsverfassung ging indes der Hauptinhalt des „deutschen Reichsbürgerrechtes“ – der reichsgerichtliche Schutz – verloren. Bei der Gründung des vormaligen Deutschen Bundes ging man dann mit der Absicht um, den Rechten der deutschen Unterthanen eine ausgedehntere Anerkennung und den Schutz des Bundes gegen willkürliche Verletzung zu gewähren. Dies hatte jedoch schließlich kein weiteres Resultat, als daß in die Deutsche Bundesakte v. 8. Juni 1815 die in dem Art. 18 derselben enthaltenen Bestimmungen aufgenommen wurden, welche auch wohl als „Bundesindigenat“ bezeichnet worden sind, dem aber der notwendigste Inhalt des Bundesbürgerrechtes und die Anerkennung seiner praktischen Bedeutung dergestalt fehlte, daß der Unterthan eines deutschen Bundesstaates in einem andern Bundesstaate nicht anders behandelt wurde als ein außerdeutscher Ausländer. Die von der Deutschen Nationalversammlung beschlossene deutsche Reichsverfassung v. 28. März 1849 wollte dagegen ein wirkliches „deutsches Reichsbürgerrecht“ mit bestimmten Befugnissen und Grundrechten einführen.
Der aus der Verfassung des Norddeutschen Bundes in die Verfassung des Deutschen Reiches übernommene Art. 3 derselben hat demnächst bestimmt, daß für ganz Deutschland ein gemeinsames Indigenat mit der Wirkung besteht, daß der Angehörige (Unterthan, Staatsbürger) eines jeden Einzelstaates in jedem andern Einzelstaate als Inländer zu behandeln und demgemäß zum festen Wohnsitze, zum Gewerbebetriebe, zu öffentlichen Ämtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechtes und zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln ist. In der Ausübung dieser Befugnis darf, nach Vorschrift des zweiten Abs. des Art. 3 a. a. O., kein Deutscher weder durch die Obrigkeit seiner Heimat, noch durch die Obrigkeit eines andern Einzelstaates beschränkt werden, jedoch sollen, nach Abs. 3 a. a. O., diejenigen Bestimmungen, welche die Armenversorgung und die Aufnahme in den lokalen Gemeindeverband betreffen, durch den im ersten Absatz ausgesprochenen Grundsatz nicht berührt werden, auch, nach Abs. 4 a. a. O., die Verträge bis auf weiteres in Kraft bleiben, welche zwischen den einzelnen Bundesstaaten in Beziehung auf die Übernahme von Auszuweisenden, die Verpflegung erkrankter und die Beerdigung verstorbener Staatsangehörigen bestehen. Dieser Vorbehalt ist hinsichtlich der Armenpflege erledigt durch das Reichsgesetz vom 6. Juni 1870 (B. G. Bl., S. 360), welches nur in Bayern und Elsaß-Lothringen nicht gilt; für Bayern bleiben demnach die in Anm. 4 genannten Staatsverträge in Kraft. Dem Auslande gegenüber aber sollen alle Deutschen gleichmäßig Anspruch auf den Schutz des Reiches haben (Abs. 6 des Art. 3).
Dieser Art. 3 der Reichsverfassung wollte nicht etwa ein deutsches Reichsbürgerrecht schaffen, sondern regelte lediglich unter der Bezeichnung „gemeinsames Indigenat“ die Reichsverhältnisse der deutschen Staatsangehörigen in den sämtlichen Einzelstaaten des Reiches dahin, daß er den Angehörigen jedes Einzelstaates in jedem andern Einzelstaat grundsätzlich die gleiche rechtliche Behandlung sicherte wie den Angehörigen dieses Einzelstaates, eine Notwendigkeit, die sich aus dem Begriffe des Bundesstaates ergab, und fügte diesen grundsätzlichen Bestimmungen ein gesetzgeberisches Programm hinzu über die demnächst bezüglich der Rechtsordnung des täglichen bürgerlichen Lebens zu erlassende einheitliche Gesetzgebung.
Die Staatsangehörigkeit aber mußte in Bezug auf Erwerb und Verlust erst durch ein besonderes Gesetz geordnet werden.
Preußen.
Die preußische Verfassungsurkunde enthält keine Vorschriften über die Erwerbung und den Verlust des Staatsbürgerrechtes, sondern bemerkt nur im Art. 3, daß „die Verfassung und das Gesetz“ bestimmen, unter welchen Bedingungen die Eigenschaft eines Preußen und die staatsbürgerlichen Rechte erworben, ausgeübt und verloren werden. Die im Art. 3 in Bezug genommenen gesetzlichen Vorschriften aber waren in dem für den ganzen damaligen Umfang der Monarchie erlassenen Gesetze v. 31. Dez. 1842 über die Erwerbung und den Verlust der Eigenschaft als preußischer Unterthan sowie über den Eintritt in fremde Staatsdienste enthalten. Vor dem Erlaß dieses Gesetzes fehlte es gänzlich an einer gesetzlichen Feststellung des Begriffs eines „Preußen“. Bis zum Jahre 1807 gab es überhaupt kein allgemeines preußisches Staatsbürgerrecht, sondern nur ein Bürgerrecht der einzelnen Territorien des Preußischen Staates. Erst das Edikt v. 9. Okt. 1807 beseitigte die besonderen Inkolatrechte, welcher in den meisten Provinzen als Bedingung des Erwerbes von Grundbesitz bestanden, und auf welche noch der §. 39, Tit. 9, Tl. II des Allgem. Landrechtes hinweist, welcher erst durch den §. 1 des Edikts v. 9. Okt. 1807 seine Erledigung gefunden hat, nach welchem allen Staatsbürgern bürgerlichen Standes ebendieselben Rechte für den Erwerb von Rittergütern eingeräumt wurden, die bis dahin nur der Adel hatte.
Durch die Verordnung v. 15. Sept. 1818 wegen der Auswanderungen, wurde demnächst in Bezug auf „Auswanderungen“ ein gemeinsames Indigenat für den ganzen Preußischen Staat anerkannt; allein die Frage, wie das preußische Indigenat erlangt werde, also welche Personen als „Preußen“ anzusehen seien, konnte immer noch nur aus allgemeinen staatsrechtlichen Grundsätzen und analogisch aus einigen Verträgen mit auswärtigen Staaten hergeleitet werden. Es wurde angenommen, daß schon allein der „Wohnsitz“ innerhalb der preußischen Staaten die Eigenschaft als Preuße begründe, was jedoch demnächst nach der ausdrücklichen Bestimmung des §. 13 des Gesetzes v. 31. Dez. 1842 aufgehoben wurde. Da es nun weiterhin vor Erlaß des die Frage grundsätzlich regelnden Ges. v. 31. Dez. 1842 häufig zweifelhaft wurde, ob jemand dem Preußischen Staate angehöre oder nicht, so hatte Preußen mit den meisten deutschen Regierungen besondere Übereinkünfte wegen gegenseitiger Übernahme der Vagabunden und Ausgewiesenen abgeschlossen, welche im wesentlichen gleichlautende Bestimmungen darüber enthielten, welche Personen als „Staatsangehörige“ anzusehen sein, deren Übernahme gegenseitig nicht versagt werden dürfe; diese Verträge wurden später durch den zwischen Preußen und anderen deutschen Regierungen geschlossenen Gothaer Vertrag v. 15. Juli 1851 wegen gegenseitiger Verpflichtung zur Übernahme der Auszuweisenden ersetzt. Das Gesetz v. 31. Dez. 1842, welches demnächst die Grundsätze für die Erwerbung und den Verlust der Eigenschaft als preußischer Unterthan festgestellt hat, ist für den ganzen damaligen Umfang der Monarchie erlassen und durch die Verordnung v. 20. Aug. 1855 auch für die neuerworbenen Jadegebiete eingeführt worden. Was die Hohenzollernschen Lande betrifft, so nahm die Staatsregierung an, daß auch für diese das Gesetz v. 31. Dez. 1842, und zwar aus dem Grunde zur Anwendung zu bringen sei, weil es als ein wesentlicher Bestandteil der mittelst Patents v. 12. März 1850 in jenem Landesteile erfolgten Einführung der preußischen Verfassung anzusehen sei.
Der Norddeutsche Bund.
Was die im Jahre 1866 mit der Preußischen Monarchie vereinigten Länder betrifft, so erlangte das Gesetz v. 31. Dez. 1842
a) in der vormals bayerischen Enklave Kaulsdorf, zufolge des Art. 1 der Verordnung v. 22. Mai 1867, vom 1. Juni 1867 ab,
b) in dem zur vormaligen Landgrafschaft Hessen-Homburg gehörig gewesenen Oberamte Meisenheim, zufolge des §. 1 der Verordnung v. 20. Sept. 1867, vom 1. Okt. 1867 ab Gesetzeskraft.
Nicht ist dies dagegen der Fall gewesen in betreff der übrigen durch die Gesetze v. 20. Sept. und 24. Dez. 1866 mit der Monarchie vereinigten Länder, also des vormaligen Königreiches Hannover, des vormaligen Kurfüstentums Hessen, des vormaligen Herzogtums Nassau, der Herzogtümer Schleswig und Holstein, der vormals Freien Stadt Frankfurt, der vormals bayerischen Landesteile (mit Ausnahme der vormaligen Enklave Kaulsdorf) und der vormals Großherzoglich hessischen Landesteile (mit Ausnahme des Oberamtes Meisenheim); nur kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Angehörigen dieser Länder durch die Gesetze v. 20. Sept. und 24. Dez. 1866, beziehentlich durch die vollzogene Besitzergreifung, in den preußischen Staatsverband aufgenommen und daher als Ausländer nicht ferner zu behandeln waren.
Für die gedachten Landesteile kamen daher, was den Erwerb und Verlust des Staatsbürgerrechts betrifft, bis auf weiteres noch die vor ihrer Einverleibung in die Preußische Monarchie in Geltung gestandenen gesetzlichen Vorschriften in Betracht. Die staatsrechtliche Einheit der Monarchie erforderte indes notwendig die Feststellung gleichmäßiger Vorschriften über den Gegenstand für das gesamte erweiterte Staatsgebiet; es war grundsätzlich unzulässig und praktisch unausführbar, auf diesem Gebiete des öffentlichen Rechtes verschiedenartige Normen bestehen zu lassen und die in den neu erworbenen Landesteilen in Kraft stehenden Vorschriften über die Bedingungen und Formen, unter welchen die Staatsangehörigkeit in denselben für den Bereich ihres Umfanges bisher erworben und verloren worden war, beizubehalten, obwohl die Wirkungen derselben, da die spezielle Staatsangehörigkeit jener Landesteile in der preußischen Staatsangehörigkeit aufgegangen war, verändert und wesentlich erweitert worden waren. Da es somit unerläßlich war, für das Gesamtgebiet des Preußischen Staates die gesetzlichen Vorschriften über den Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit gleichmäßig zu regeln, so legte die Staatsregierung in der Sitzungsperiode von 1868 bis 1869 dem Landtage den „Entwurf eines Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Eigenschaft als preußischer Unterthan, sowie über den Eintritt in fremde Staatsdienste“ vor, welcher indes nicht die Genehmigung des Landtags erhielt.
Die Fortdauer des Zustandes einer in wesentlichen Beziehungen von einander abweichenden Landesgesetzgebung über den Gegenstand war indes vor allem auch mit den Bundesinteressen nicht vereinbar, die Verknüpfung der Reichsangehörigkeit mit der Einzelstaatsangehörigkeit erforderte vielmehr die Einführung einheitlicher Normen für den ganzen Bundesstaat. Bereits die Verfassung des Norddeutschen Bundes hatte denn auch hierfür Vorsorge getroffen, indem sie in ihrem Art. 4 unter Ziffer 1 die Bestimmungen über „Staatsbürgerrecht“ unter diejenigen Gegenstände gestellt hatte, welche der „Beaufsichtigung seitens des Bundes und der Gesetzgebung desselben unterliegen“, welche Bestimmung demnächst auch in die Reichsverfassung übernommen worden ist. Demgemäß mußte die legislatorische Ordnung der Voraussetzungen, welche für den Erwerb und Verlust der Eigenschaft als Angehöriger eines Einzelstaates maßgebend sein sollen, sowie die gesetzliche Regelung der Folgen, nämlich des Erwerbes und Verlustes, wie auch der Wirkungen der Reichsangehörigkeit der gesetzlichen Gewalt des Reiches zufallen. Diese letztere war daher berufen, durch Begründung eines wahren und vollen, mit der Reichsangehörigkeit sich deckenden Einzelstaatsbürgerrechtes ein wirkliches Reichsbürgerrecht zu schaffen.
Abgesehen hiervon ergab sich aber die Notwendigkeit der Regelung des Gegenstandes von Seiten der Reichsgesetzgebung auch aus inneren Gründen. Die Reichsangehörigkeit äußert ihre Wirkung nach zwei Richtungen, nämlich erstlich nach der Seite des Verhältnisses der einzelnen Staatsangehörigen zu den anderen Einzelstaaten im Bunde, und zweitens in der Richtung des Verhältnisses zur Reichsgewalt. Der Art. 3 der Reichsverfassung trifft nur über die erstere Beziehung Bestimmungen; was dagegen die zweite Seite anbelangt, so enthält die Reichsverfassung eine Reihe von einzelnen Bestimmungen, welche die Reichsangehörigkeit voraussetzen und derselben den Charakter eines Reichsbürgerrechtes geben, ohne indes ihre näheren Voraussetzungen zu regeln. Hierher gehört insbesondere der aus der Militärhoheit des Reiches sich ergebende Grundsatz, daß jeder Deutsche verpflichtet ist, der Reichsgewalt Dienste im Reichsheere beziehungsweise in der Reichskriegsmarine zu leisten. Ferner gehört hierher die Finanzhoheit des Reiches, welche ihre Richtung nicht bloß gegen die Einzelstaaten nimmt, denen sie Lasten in der Form der Matrikularbeiträge abfordert, sondern welche auch den einzelnen Reichsangehörigen herrschend gegenübersteht, indem sie diesen die Pflicht auferlegt, Reichssteuern zu zahlen, sobald ein Reichsgesetz solches anordnet. In gleicher Weise kommt das Recht auf Reichsschutz in Betracht, welches jedem Reichsangehörigen gegenüber der Reichsgewalt direkt und unmittelbar zusteht. In allen diesen und anderen Beziehungen konnten aus der Verschiedenheit der territorialen Staatsbürgerrechte Nachteile entstehen. So insbesondere, wenn ein Staatsangehöriger seinen Aufenthalt in einem anderen Einzelstaate nimmt, dadurch, daß die für den Verlust des Landesindigenats festgesetzte Zeitperiode nicht gleichmäßig normiert war, indem alsdann der Verlust seiner Staatsangehörigkeit eintreten konnte, ohne daß er in dem andern Einzelstaate die dortige Staatsangehörigkeit erworben hatte. Gründet sich die Reichsangehörigkeit lediglich auf die Voraussetzung einer ungleichartig erweiterten Staatsangehörigkeit, so folgte daraus die Möglichkeit der Staats- und Reichsheimatslosigkeit, und hieraus die Unzulässigkeit, solcher Individuen zum Militärdienste oder zu den Stern des Reiches heranzuziehen. Gleiche Unzuträglichkeiten konnten in Beziehung auf den Anspruch auf Reichsschutz entstehen.
Auf Grund der Bestimmung des Art. 4 Ziffer 1 der Verfassung des Norddeutschen Bundes ist zur Beseitigung der vorgedachten Unzuträglichkeiten das Gesetz des Norddeutschen Bundes v. 1 Juni 1870 über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit ergangen, welches an die Stelle der verschiedenen einzelnen Territorialgesetzgebungen über den Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit ein einheitliches nationales Recht gesetzt und (§. 1, Abs. 1) den Grundsatz an die Spitze gestellt hat, daß die Reichsangehörigkeit nur durch die Staatsangehörigkeit in einem Einzelstaate erworben wird und mit deren Verlust auch erlischt. Demzufolge bildet das Staatsbürgerrecht des Einzelstaates die Voraussetzung der Reichsangehörigkeit und zieht ohne weiteres die letztere nach sich; die Staatsangehörigkeit im Einzelstaate ist das Prinzipale, und aus ihr folgt erst die Reichsangehörigkeit, und derjenige, welcher Staatsbürger eines zum Deutschen Reiche gehörigen Staates ist, bedarf keines besonderen Aktes, um das Reichsbürgerrecht zu erlangen, kann aber nicht Reichsangehöriger sein, ohne das Staatsbürgerrecht eines dem Reiche angehörigen Einzelstaates zu besitzen. Andererseits kann aber auch das Reichsbürgerrecht für denjenigen nicht fortdauern, welcher aufgehört hat, einem der Einzelstaaten des Reiches als Staatsbürger anzugehören; es kann derjenige, welcher die Staatsangehörigkeit verliert oder freiwillig aufgiebt, sich nicht das Reichsbürgerrecht vorbehalten. Dagegen kann allerdings die Staatsangehörigkeit wechseln, ohne daß hierdurch die Reichsangehörigkeit berührt wird, wenn nur der Einzelne nicht aufhört, einem der Einzelstaaten des Reiches anzugehören. In Bezug auf die Staatsangehörigkeit aber bringt das Gesetz v. 1. Juni 1870 den in dem größten Teile Norddeutschlands bereits bestandenen Grundsatz zur Geltung, daß die Staatsangehörigkeit von der Gemeindeangehörigkeit getrennt ist. Letztere wird mit der ersteren, nicht aber die erstere mit der letzteren erworben; beide Rechtsverhältnisse stehen zwar in Wechselverbindung, sie sind aber völlig selbständig und nicht wie die Reichs- und Staatsangehörigkeit rechtlich untereinander verbunden.
Der ewige Bund – Das Deutsche Reich.
Das mit dem 1. Jan. 1871 in Kraft getretene Gesetz des Norddeutschen Bundes v. 1. Juni 1870 ist demnächst als Reichsgesetz für das ganze Reich in Wirksamkeit getreten. Da der §. 26 desselben bestimmt hat, daß alle diesem Gesetze zuwiderlaufenden Vorschriften aufgehoben werden, so sind durch dasselbe alle Landesgesetze über die Erwerbung und den Verlust der Staatsangehörigkeit, insbesondere auch das preußische Gesetz v. 31. Dez. 1842 und die den Gegenstand betreffenden Gesetze der im Jahre 1866 mit der Preußischen Monarchie vereinigten Länder und Gebiete außer Kraft gesetzt worden, und da dasselbe den Gegenstand erschöpfend reichsrechtlich geordnet hat, so dürfen neue Landesgesetze über denselben nicht mehr erlassen werden.
Angehörigkeit eines Bundesstaates.
Die reichsrechtliche Regelung der Staatsangehörigkeit erfolgte auf dem Prinzipe, daß durch die Einzelstaatsangehörigkeit die Reichsangehörigkeit erworben wird, die Voraussetzungen für Erwerb und Verlust der ersteren aber vom Reiche in erschöpfender Weise gesetzlich geordnet sind. Staatsrechtlich aber beherrscht, wie das Reich die Einzelstaaten, so die Reichsangehörigkeit die Einzelstaatsangehörigkeit; die Gesetzgebung in den beiden anderen Bundesstaaten, der Schweiß und der Nordamerikanischen Union, bringt dies auch rechtlich zu schärferem Ausdruck als die deutsche Gesetzgebung. Für die deutschen Schutzgebiete ist [zunächst] das Prinzip des Ges. v. 1. Juni 1870 erlassen worden. [ Die Staats- und Reichsangehörigkeit wurde abschließend im Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juni 1913 geregelt. ]
Quellenangabe und Verweise.
Dr. Ludwig von Rönne u. Dr. Philipp Zorn – Das Staatsrecht der preußischen Monarchie – Band 1
Dritter Abschnitt. Das Staatsbürgerrecht. Erstes Kapitel. Begriff, Erwerb, Verlust der Staatsangehörigkeit.