Reichsgewalt im Bundesrat.
Die oberste Reichsgewalt ruht bei der Gesamtheit der verbündeten Regierungen (den 22 Monarchen und den 3 Senaten), die ihre Vertretung haben im Bundesrat. Die eigentliche Regierung des Reiches liegt nicht in der Hand des Kaisers, sondern in der des Bundesrates als Organ der verbündeten Regierung, in dem allerdings der Kaiser als König von Preußen einen hervorragenden Einfluß besitzt. Auch die Souveränität liegt im Bundesrat, nicht beim Kaiser.
Stimmen im Bundesrat.
Der Größe, Einwohnerzahl und Bedeutung nach hätte Preußen in diesem Bundesrat zwei Drittel aller Stimmen erhalten müssen, aber durch solche Anordnung wären die übrigen deutschen Mittel- und Kleinstaaten zur Ohnmacht verurteilt und vergewaltigt worden. Um daher schon den Schein einer solchen Absicht zu vermeiden, übte Preußen, das ein völlig einheitliches (unitarisches) Reich nicht herstellen wollte, eine weise Mäßigung aus, und so wurde die Stimmenverteilung, wie sie im Bundestage des ehemaligen Deutschen Bundes gewesen war, beibehalten; nur Bayern erhielt 2 Stimmen mehr.
- Preußen zählt im Bundesrat 17 Stimmen,
- Bayern 6,
- Sachsen und Württemberg haben je 4,
- Elsaß-Lothringen, Baden und Hessen je 3,
- Mecklenburg-Schwerin und Braunschweig je 2,
- alle übrigen Staaten je 1 Stimme,
- ergibt im ganzen 58 Stimmen.
Die Stimme des Fürstentums Waldeck, das seit 1867 durch Staatsvertrag völlig in preußische Verwaltung übergegangen ist, wird auch von Preußen geführt, so daß dieses tatsächlich 18 Stimmen im Bundesrat hat.
Jedes Mitglied des Bundes kann so viele Bevollmächtigte zum Bundesrat ernennen, wie es Stimmen hat, doch kann die Gesamtheit der zuständigen Stimmen nur einheitlich abgegeben werden. Einfache Majorität entscheidet. Da die Stimmen jeder Regierung einheitlich abgegeben werden müssen, ist es auch gar nicht nötig, daß eine Regierung so viel Vertreter entsende, als sie Stimmen hat, es genügt ein Vertreter, sie kann sogar den Vertreter einer anderen Regierung mit der Stimmabgabe betrauen.
Der Zusammentritt.
Der Bundesrat wird berufen vom Kaiser. Doch können auch die Bundesratsmitglieder selbst seinen Zusammentritt verlangen und diesem Verlangen muß stattgegeben werden, wenn ein Drittel der Mitglieder es stellt. Bis jetzt wurde von diesem Rechte noch kein Gebrauch gemacht. Tatsächlich ist der Bundesrat wegen der Geschäftsüberhäufung auch fast immer versammelt. Verfassungsgemäß muß der Bundesrat berufen werden, wenn der Reichstag einberufen wird. Beide tagen in Berlin. Der Reichstag kann nicht ohne den Bundesrat, wohl aber der Bundesrat ohne den Reichstag tagen. Kein Bundesratsbevollmächtigter kann zugleich Reichstagsmitglied sein.
Die Arbeit im Bundesrat.
Der Bundesrat arbeitet Gesetzesvorlagen für den Reichstag aus, prüft die vom Reichstage beschlossenen Gesetze, gewährt oder versagt ihnen die Bestätigung, er erläßt Vorschriften über die Ausführung der Reichsgesetze, veranstaltet statistische Erhebungen, um Material und Klarheit zu gewinnen über Fragen, die ein gesetzgebendes Eingreifen des Reiches erfordern könnten.
Die Verhandlungen sind nicht öffentlich. Die Abstimmung erfolgt nach einfacher Mehrheit, sodaß also Preußen überstimmt werden kann. Bei der Abstimmung ist jedes Mitglied an die von seiner Regierung erhaltene Weisung (Instruktion) gebunden; es stimmt daher nicht nach freiem Ermessen ab. Die Stimmen desselben Staates dürfen nur einheitlich abgegeben werden.
Handelt es sich jedoch um Änderung der Verfassung, so genügt der Widerspruch von 14 Stimmen, um sie abzulehnen: gegen den Willen Preußens oder den der Mittelstaaten kann also die Verfassung nicht geändert werden. Eine zweite Beschränkung besteht darin, daß eine Änderung der bestehenden Gesetze über das Heer, die Marine, die Zölle und Verbrauchsteuern nur unter Zustimmung Preußens vorgenommen werden kann, und damit sind die festen Grundlagen des Reiches völlig dem Schutze des mächtigsten Staates anvertraut.
Rechte des Bundesrates.
Der Reichskanzler kann sich im Bundesrate durch jedes andere Mitglied desselben vertreten lassen, ebenso können auch die sonstigen Obliegenheiten des Reichskanzlers, insbesondere die Gegenzeichnung, sowohl im Ganzen als für die einzelnen Zweige der Verwaltung durch die Vorstände der obersten Reichsbehörden als Stellvertreter wahrgenommen werden, wenn sie der Kaiser auf Antrag des Reichskanzlers ernannt hat.
An die Zustimmung des Bundesrates ist der Kaiser gebunden bei Kriegserklärung, es sei denn, daß das Reich oder seine Küsten vom Feinde schon angegriffen seien, ferner bei Verträgen mit auswärtigen Staaten, die der Reichsgesetzgebung unterliegen, z. B. bei Handelsverträgen. Damit sie Gesetzeskraft erlangen, ist dann auch noch die Annahme durch den Reichstag erforderlich; ebenso ist zur Auflösung des Reichstages die Zustimmung des Bundesrates nötig. Jedes Mitglied des Bundesrates hat das Recht, im Reichstage zu erscheinen und muß daselbst auf Verlangen jederzeit gehört werden. So kann jede Regierung im Reichstage durch ihren Bevollmächtigten ihre Ansicht über einen bestimmten Gegenstand darlegen und vertreten lassen.
Der Bundesrat hat auch als Gerichtshof Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten auf Anrufen des einen Teiles zu entscheiden, er soll ferner Verfassungsstreitigkeiten in den Bundesstaaten gütlich ausgleichen oder durch die Reichsgesetzgebung erledigen und kann gegen ein Bundesglied, das seine Bundespflichten nicht erfüllt, die Exekution beschließen, die dann vom Kaiser vollstreckt wird.
Mitglieder des Bundesrates.
Die Mitglieder des Bundesrates gehören sämtlich zu den höchsten Beamten der einzelnen Staaten und besitzen daher eine gründliche Kenntnis aller Zweige der staatlichen Verwaltung. Der Bundesrat ist demnach tatsächlich eine erste Kammer (ein Staatenhaus wie der Senat in den Vereinigten Staaten), zugleich aber auch ein Ministerium mit Verwaltungsbefugnissen und ein Staatsrat: er übt (mit dem Reichstage) die Gesetzgebung des Reiches aus und führt die Retzierung des Reiches; er hat insbesondere die Aufgabe, die der Volksvertretung zu machenden Gesetzesvorlagen vorzubereiten und zu begründen, über die Auslegung und Handhabung der Gesetze zu entscheiden, ihre Ausführung zu überwachen und durch Verordnungen zu regeln, schlußendlich die von jedem Bundesstaate der Reichskasse schuldigen Beträge an Zöllen und Verbrauchsabgaben festzustellen.
Ausschüsse.
Da der Bundesrat nicht zu jeder Zeit vollzählig versammelt sein kann, so bildet er aus sich für die verschiedenen Zweige der Reichsverwaltung Ausschüsse, die für je ein Jahr aus den Mitgliedern des Bundesrats gewählt werden und die Beschlüsse desselben vorbereiten.
Es bestehen 12 solcher Ausschüsse, nämlich für das Landheer und die Festungen, für das Seewesen, für Zoll- und Steuerwesen, für Handel und Verkehr, für Eisenbahnen, für Post und Telegraphen, für Justizwesen, für Rechnungswesen, für die auswärtigen Angelegenheiten, für Elsaß-Lothringen, für die Verfassung, für die Geschäftsordnung und für das Eisenbahn-Gütertarifwesen; der Ausschuß für das Seewesen wird vom Kaiser ernannt, ebenso der für das Landheer und die Festungen (mit Ausnahme eines Mitgliedes, das Bayern bestimmt), alle übrigen Ausschüsse werden nach der Wahl des Bundesrates gebildet. Sie bestehen meist aus 7 Mitgliedern, nämlich aus den Vertretern Preußens und denen von mindestens 4 anderen Bundesstaaten. Im Ausschuß für die auswärtigen Angelegenheiten, in dem Bayern den Vorsitz führt und Sachsen und Württemberg einen ständigen Sitz haben, pflegt der Reichskanzler öfters Mitteilungen über die auswärtigen Beziehungen des Reiches zu machen.