Der Bundesrat – Zusammensetzung und Aufgaben.
Die Souveränität und Staatsgewalt des Deutschen Kaiserreichs liegt bei den im Bundesrat verbündeten Regierungen der 25 Bundesstaaten, sowie Elsaß-Lothringen. Die eigentliche Regierungsarbeit liegt nicht in den Händen des Kaisers, sondern in der des Bundesrates.
Auf die verschiedenen Bundesstaaten verteilen sich insgesamt 58 Stimmen, wobei Preußen mit 17 Stimmen, durch Flächen- und Bevölkerungsgröße und der zusätzlich übertragenen Stimme vom Fürstentum Waldeck, an der Spitze steht. Bayern besitzt 6 Stimmen, Sachsen und Württemberg je 4 Stimmen, während Elsaß-Lothringen, Baden und Hessen je 3 Stimmen besitzen. Mecklenburg-Schwerin und Braunschweig kommen jeweils auf 2 Stimmen, alle übrigen Staaten haben eine.
Auch wenn Preußen die meisten Stimmen besitzt, so ist es möglich, es zu überstimmen. So kam es am 28. Februar 1877, daß der Bundesrat mit 30 gegen 28 Stimmen, gegen Berlin und für Leipzig als Sitz des Reichsgerichtes stimmte. Preußen wurde mit einer Stimme überstimmt.¹
Diese Stimmen stehen für das Gewicht der einzelnen Bundesstaaten und werden immer einheitlich abgegeben, Preußen z.B. muss also entweder mit seinen 17 Stimmen für oder gegen einen Antrag stimmen. Fehlt der Auftrag einer Regierung, dürfen die Bevollmächtigten dieses Bundesstaates nicht mit abstimmen. In den Versammlungen des Bundesrats geht es nicht um die individuelle Meinung, sondern um gebündelte Interessen der Einzelstaaten.
Die Sitzungen des Bundesrats sind nicht öffentlich und bei Abstimmungen zählt die einfache Mehrheit. Es gibt keine Mindestbeschlußfähigkeit. Wie viele Mitglieder bei einem Beschluß tatsächlich anwesend sein müssen, ist in der Verfassung nicht festgelegt. Laut dieser bestimmt der Kaiser über die Berufung, Vertagung und Schließung der Versammlungen des Bundesrats. Seine Mitglieder können auch eine Versammlung verlangen. Wenn ein Drittel der Mitglieder einen solchen Antrag stellt, muß diesem stattgegeben werden. Die Berufung des Bundesrats muß einmal im Jahr geschehen oder auch, wenn der Reichstag berufen wird. Jedoch kann der Bundesrat sich ohne den Reichstag versammeln. Ein Bundesratsbevollmächtigter kann nicht zur selben Zeit Reichstagsmitglied sein. Den Vorsitz im Bundesrat führt der Reichskanzler, welcher vom Deutschen Kaiser berufen wird. Alle Bevollmächtigten gehören zu den höchsten Beamten der einzelnen Gliedstaaten und besitzen demzufolge allesamt sehr gute Kenntnisse in der staatlichen Verwaltung.
Aufgaben.
Der Bundesrat erarbeitet Gesetzesvorlagen für den Reichstag, prüft dessen Gesetzesentwürfe und kann diesen zustimmen oder sie ablehnen. Zudem erläßt er Verordnungen und Ausführungsbestimmungen zu den Gesetzen. Gemeinsam mit dem Deutschen Kaiser hat der Bundesrat die Oberaufsicht über die Verwaltung und die Finanzen. Der Bundesrat ordnet Verwaltungsvorschriften an und schlägt Reichsbeamte vor. Werden vom Deutschen Kaiser außenpolitische Verträge geschlossen, braucht es ebenfalls die Zustimmung des Bundesrates als Inhaber der Reichsgewalt. Zudem schlagen die Vertreter der Bundesstaaten den Reichsrichter vor und schlichten Bundesstreitigkeiten.
Ausschüsse.
Der Bundesrat kann nicht zu jeder Zeit vollzählig versammelt sein. Deshalb werden die Verantwortungsbereiche und weil es die Verfassung in Artikel 8 vorschreibt, in Ausschüsse aufgeteilt:
- für das Landheer und Festungen,
- das Seewesen,
- das Zoll- und Steuerwesen,
- für Handel und Verkehr,
- Eisenbahnen, Post und Telegraphen,
- für das Justizwesen und
- das Rechnungswesen.
Neben Preußen als Präsidialstaat, sind in jedem dieser Ausschüsse mindestens 4 Bundesstaaten vertreten mit jeweils einer Stimme. Im Ausschuß für das Landheer und Festungen haben Bayern, Sachsen sowie Württemberg einen ständigen Sitz. Mitglieder des Ausschusses für das Seewesen werden vom Kaiser ernannt. Alle Übrigen werden vom Bundesrat gewählt. Jedes Jahr wird die Zusammensetzung der Ausschüsse neu bestimmt.
Zudem wird jährlich ein Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten gebildet. Bestehend aus den Bevollmächtigten für Bayern, Sachsen und Württemberg und zwei weiteren aus dem Bundesrat, welche aus anderen Bundesstaaten sind. Bayern führt hier den Vorsitz.
Den jeweiligen Ausschüssen werden die für ihre Arbeit benötigten Beamten an die Seite gestellt.
Quellen:
Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts 1914 – 1919
Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs. Vom 16. April 1871. RGBl. S. 63–85
https://staatsbibliothek.ewigerbund.org/viewer/image/bgbl_1877/423/LOG_0054/ (Reichs-Gesetzblatt 1877, Sitz des Reichsgerichts, Nr. 17, Gesetz Nr. 1182, Seite 415)
1https://staatsbibliothek.ewigerbund.org/viewer/image/schulthess_kalender_018/11/#topDocAnchor (Europäischer Geschichtskalender. Achtzehnter Jahrgang. 1877.)