Das Präsidium des Bundes.
Da die Reichsregierung im allgemeinen vom Bundesrat, also von der Gesamtheit der verbündeten Regierungen geführt wird, so übt der Kaiser als solcher nur die Rechte aus, die dem Vorsitzenden, dem Präsidium des Bundes, zustehen. Er beruft und eröffnet, vertagt und schließt den Bundesrat und den Reichstag, er unterzeichnet im Namen des Bundesrates die von diesem gefaßten Beschlüsse und verkündigt die vom Bundesrat und Reichstag verfassungsmäßig beschlossenen Reichsgesetze, er ernennt die obersten Reichsbeamten (auch den Reichskanzler); er vertritt das Reich gegenüber anderen Staaten, empfängt und beglaubigt Gesandte, er leitet die auswärtige Politik, im Namen des Reiches schließt er Verträge und Bündnisse, erklärt er Krieg und schließt Frieden, er übt die oberste Gewalt in den deutschen Schutzgebieten oder Kolonien aus, er ist Landesherr in Elsaß-Lothringen.
Verantwortlichkeiten des Kaisers.
Bei Verträgen mit fremden Staaten, welche in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören (z. B. bei Handelsverträgen, da sie das Zollwesen betreffen), ist zu ihrem Abschluß die Zustimmung des Bundesrates und zu ihrer Gültigkeit die Genehmigung des Reichstages erforderlich.
Der Zustimmung des Bundesrates bedarf der Kaiser ferner zur Auflösung des Reichstages und zur Kriegserklärung; nur wenn ein Angriff auf das Reichsgebiet erfolgt, kann der Kaiser allein den Krieg erklären.
Die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Reichskanzler, der dadurch die Verantwortung übernimmt. Die militärischen Anordnungen dagegen, die der Kaiser als Oberbefehlshaber des Heeres und der Marine kraft seiner Kommandogewalt erläßt, bedürfen dieser Gegenzeichnung nicht.
Einnahmen des Kaisers.
Als Kaiser hat er keine Zivilliste noch sonstige Einnahmen, sondern er erhält vom Reiche nur einen sog. Dispositionsfonds von 3 Millionen Mark, über den er nach freiem Ermessen für allgemeine Zwecke verfügen darf.
Titel des Kaisers.
Der Titel des Kaisers ist: Deutscher Kaiser, König von Preußen,
der des Thronfolgers: Kronprinz des Deutschen Reiches und von Preußen;
die Anrede des Kaisers heißt: Majestät,
die des Kronprinzen: Kaiserliche Hoheit.
Der Kaiser als Oberbefehlshaber.
Für die Stellung des Kaisers im Inland sind folgende Bestimmungen ausschlaggebend: Die gesamte Landmacht des Reiches bildet ein einheitliches Heer, das im Kriege wie im Frieden unter dem Oberbefehl des Kaisers steht. Der Kaiser hat das Recht und die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, daß innerhalb des deutschen Heeres alle Truppenteile vollzählig und kriegstüchtig vorhanden sind und daß Einheit in der Organisation und Formation, in Bewaffnung und Kommando, in der Ausbildung der Mannschaften sowie in der Qualifikation der Offiziere hergestellt und erhalten wird. Zu diesem Zweck ist der Kaiser berechtigt, sich jederzeit durch Inspektionen von der Verfassung der einzelnen Kontingente zu überzeugen und die Abstellung der vorgefundenen Mängel anzuordnen.
Zur Besichtigung der bayerischen Truppen muß der Kaiser sich vorher mit dem Könige von Bayern ins Benehmen setzen. Auch steht das bayerische Heer im Frieden nicht unter dem Oberbefehle des Kaisers, sondern allein unter dem des Königs von Bayern (bayerisches Reservatrecht). Erst im Kriege und zwar vom Beginn der Mobilmachung an tritt auch das bayerische Heer unter den Oberbefehl des Kaisers. Das Recht, die Offiziere ihrer Truppenteile zu ernennen, haben der Verfassung nach die Bundesfürsten, doch haben sie, wie schon erwähnt, mit Ausnahme der Könige von Bayern, Sachsen und Württemberg dieses Recht dem König von Preußen resp. dem Kaiser übertragen. Das deutsche Landheer ist zwar einheitlich gegliedert und ausgebildet, besteht aber aus den Truppenteilen der einzelnen Bundesstaaten, und die Bundesfürsten sind Führer ihrer Truppenteile.
Die deutsche Marine dagegen steht vollständig unter dem Befehl des Kaisers. Darum spricht man auch von einer Kaiserlichen Marine, nicht aber von einem Kaiserlichen Heere, wohl aber von einem bayerischen, sächsischen, württembergischen Armeekorps, einer großherzoglich hessischen Division. Darum schwören auch die Marinesoldaten nur dem Kaiser den Treueid und tragen nur die deutsche Reichskokarde.
Worte des Kaisers.
Wie jeder Bürger zu irgendeiner politischen Frage Stellung nehmen kann, so kann dies selbstverständlich auch der Kaiser. Er kann sich an sein Volk, auch an den Reichskanzler wenden. So hat Kaiser Friedrich III. bei seiner Thronbesteigung am 12. März 1888 an den Reichskanzler Fürst Bismarck einen Erlaß gerichtet, worin er ihm die Grundsätze darlegte, wonach er zu regieren gedachte. Ebenso erließ Kaiser Wilhelm II. am 4. Februar 1890 den bedeutungsvollen Erlaß über den Arbeiterschutz an den Kanzler und an den Minister der öffentlichen Arbeiten und für Handel und Gewerbe. Ebenso wird der Kaiser seine Ansichten etwa über die äußere oder innere Lage auswärtigen Gesandten, Vertretern der Presse usw. darlegen können, doch besitzen solche Äußerungen keinen verpflichtenden amtlichen Charakter, so bedeutungsvoll und weittragend sie vielleicht auch sind, eben weil sie aus kaiserlichem Munde kommen. Je höher die Person, desto mehr lauscht man auf ihre Worte, desto mehr Vorsicht und Zurückhaltung ist ihr aber auch geboten.
Der Herrscher ist der erste Diener des Staates.
Aus dem politischen Testament des preußischen Königs Friedrich II. von 1752.