Das Gesetz
Im formellen Sinne ist Gesetz jeder Befehl der Staatsgewalt, welcher unter Einhaltung bestimmter Formen durch das Staatsoberhaupt mit Gegenzeichnung eines Ministers und mit vorgängiger Zustimmung der Stände erlassen und vorschriftsmäßig verkündet worden ist. Das Gesetz ist innerhalb der Grenzen der der Landesstaatsgewalt zukommenden Autonomie der höchste Ausdruck des unverantwortlichen Staatswillens, welcher eben deshalb nur außer Kraft gesetzt werden kann durch eine in derselben Form erlassene Willenserklärung der Staatsgewalt.
Inhalt des Gesetzes kann sowohl eine allgemeine Rechtsnorm, durch welche die Willensfreiheit der Einzelnen umgrenzt wird, als die Bestimmung eines individuellen Rechtsverhältnisses sein oder aber eine einzelne Verwaltungsverfügung, welcher durch die Form des Gesetzes eine höhere Autorität und ein gewisser Grad von Unabänderlichkeit verliehen werden soll. In diesem Sinne bestimmt der §88 der württembergischen Verfassungsurkunde, daß das Staatsoberhaupt ohne die Zustimmung der Stände kein Gesetz geben, abändern oder authentisch erläutern kann, womit allerdings zunächst nur ausgesprochen ist, daß der höchste Ausdruck des Staatswillens nur mit Zustimmung der Volksvertretung zustande kommen und daß, wenn eine solche in Gesetzesform ausgesprochene Willenserklärung einmal vorliegt, dieselbe nur in derselben Weise wieder beseitigt werden kann.
Ebenso ist daraus zu entnehmen, daß jeder Befehl der Staatsgewalt, wenn Regierung und Stände übereinstimmen, ohne Rücksicht auf den Inhalt in die Form des Gesetzes gekleidet werden kann. Dagegen ist mit jener Bestimmung keine direkte Entscheidung darüber gegeben, in welchen Fällen, soweit es sich nicht um die Abänderung eines bereits in Gesetzesform erlassenen Befehls der Staatsgewalt handelt, der Weg der Gesetzgebung notwendig ist, um einem Befehl der Staatsgewalt verbindliche Kraft zu verleihen.
Alle Anordnungen, welche in den Gesetzen enthalten sind, auch wenn etwa einzelne derselben keine materiellen Rechtsbestimmungen, sondern bloße Verwaltungsakte darstellen, haben dennoch die Natur von formellen Gesetzen, und können daher nur im Wege der Gesetzgebung abgeändert werden.
Das Verhältnis der Landesgesetze zu den Reichsgesetzen ist im Reichsstaatsrechte zu erörtern. Reichsgesetze gehen den Landesgesetzen vor (Reichsverfassung Art. 2).
Der Weg zur Gesetzgebung.
Zum gültigen Zustandekommen eines Gesetzes s bedarf es der Feststellung des Gesetzesinhalts, der Sanktion und der Verkündigung.
1. Die Feststellung des Gesetzesinhalts
erfordert die Übereinstimmung der drei gesetzgebenden Faktoren — König, Erste Kammer, Zweite Kammer —; sie zerfällt in zwei Stadien, den Gesetzvorschlag und die Annahme desselben durch die Faktoren der Gesetzgebung.
Das Recht, Gesetze vorzuschlagen, stand nach der Verfassungsurkunde von 1819 ausschließlich dem Könige zu. Seit dem Verfassungsgesetz von 1874 (Art. 6) ist dieses Recht auch jeder der beiden Kammern eingeräumt. Nur Gesetzentwürfe über Auferlegung von Steuern, über die Aufnahme von Darlehen, über die Feststellung des Staatshaushaltes oder über außerordentliche, im Etat nicht vorgesehene Ausgaben sind der Initiative der Stände entzogen. Gesetzvorschläge der Regierung müssen vor ihrer Einbringung durch das Staatsministerium und durch den Geheimen Rat vorberaten werden und bedürfen stets der Kontrasignatur eines Ministers. Die Mitteilung dieser Gesetzvorschläge an die Stände erfolgt durch das Staatsministerium, nur das Etatsgesetz ist nach § 111 Verfassungsurkunde durch den Finanzminister einzubringen. Abgesehen von den Abgabegesetzen, welche immer zuerst der Kammer der Abgeordneten vorgelegt werden müssen, hängt es von der Wahl der Regierung ab, bei welcher Kammer sie einen Entwurf zuerst einbringen will. Gesetzvorschläge, welche von Ständemitgliedern ausgehen, müssen in der Ersten Kammer von mindestens fünf, in der Zweiten von mindestens fünfzehn Mitgliedern unterzeichnet sein. (Verfassungsurkunde § 172 Abs. 3.)
Wird diese Vorschrift nicht eingehalten, so ist unzweifelhaft die beteiligte Kammer berechtigt und verpflichtet, die geschäftliche Weiterbehandlung des Antrags abzulehnen. Geschieht dies nicht, wird vielmehr der Antrag trotz des Formmangels von der Kammer angenommen, so wird sowohl die andere Kammer als die Regierung befugt sein, dem Beschlusse der Kammer wegen des Formfehlers ohne Würdigung seines Inhalts die Zustimmung zu versagen. Setzen sich aber die andere Kammer und die Regierung über den Formfehler hinweg und stimmen sie dem Beschlusse zu, so gilt der formelle Mangel als geheilt, das Gesetz kann wegen dieses seiner Entstehung anhaftenden Mangels von keiner Seite mehr angefochten werden. Soweit den Ständen das Recht der Initiative zusteht, sind dieselben auch in Beziehung auf die Abänderung einer Regierungsvorlage nicht beschränkt.
Die Gesetzentwürfe werden entweder ausschließlich in der Ständeversammlung oder daneben auch in Kommissionen beraten. Kommt zwischen beiden Kammern eine Vereinigung über den Inhalt eines Gesetzvorschlags zustande, so wird dies dem König in gemeinsamer Adresse durch Vermittlung des Staatsministeriums angezeigt. Der von der einen Kammer verworfene Vorschlag der anderen Kammer kann auf demselben Landtage nicht wiederholt werden (Verfassungsurkunde § 183); die Regierung dagegen ist nicht gehindert, nach Verwerfung einer Vorlage noch in derselben Session einen neuen Entwurf desselben Inhalts einzubringen.
2. Die Sanktion
besteht in dem Befehle des Staatsoberhauptes, daß der mit den Ständen festgestellte Inhalt des Entwurfes Gesetz sein soll. Sie ist hiernach eine Erklärung des Königs in der zweifachen Richtung, daß der Entwurf Gesetz werden soll und daß die von dem König genehmigte Ausfertigung des Entwurfs dem mit den Ständen festgestellten Inhalt entspricht. Die Genehmigung der Ausfertigung und die Sanktion bilden in Württemberg nicht zwei verschiedene Stadien, sondern einen und denselben staatsrechtlichen Akt. Zum Zwecke der Sanktion hat das Staatsministerium die ihm übermittelten ständischen Beschlüsse dem Könige mit seinem und des Geheimen Rats Gutachten vorzulegen (Verfassungsurkunde § 126).
3. Die Verkündigung
erfolgt auf den in der Sanktion enthaltenen Befehl des Königs unter der ausdrücklichen Beifügung der vorgängigen Vernehmung des Staatsministeriums und der erfolgten Zustimmung der Stände, sowie unter der Kontrasignatur des oder der bei der Erlassung des Gesetzes beteiligten Ressortminister. Für die Verkündigung ist so wenig als für die Sanktion eine Frist vorgeschrieben.
4. Die Wirkung des Gesetzes
besteht darin, daß ein in Gesetzesform erlassener Befehl allen abweichenden früheren Anordnungen, mögen sie mit Gesetzeskraft ausgestattet gewesen sein oder nicht, derogiert und selbst wiederum nur im Wege der Gesetzgebung aufgehoben oder abgeändert werden kann. Verfassungsgesetze können durch ein späteres Gesetz nur aufgehoben werden, wenn dieses in der für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Weise verabschiedet worden ist.
Die Wirksamkeit beginnt mit dem Zeitpunkte, in welchem das Gesetz als verkündet zu gelten hat, soweit sie nicht in dem Gesetze selbst oder in einem besonderen Gesetze auf einen späteren Zeitpunkt hinausgerückt worden ist. Letzteres kann auch in der Weise geschehen, daß der Staatsregierung überlassen wird, den Beginn der Wirksamkeit im Verordnungswege zu bestimmen.
5. Über das Recht des Richters,
die Gültigkeit der erlassenen Gesetze zu prüfen, enthält das württembergische Recht keine besondere Bestimmung. Diese Befugnis ist jedoch in Württemberg nicht bestritten. Das Prüfungsrecht muß sich der Natur der Sache nach auf alle Punkte erstrecken, von denen die Gültigkeit eines Gesetzes oder einer Verordnung nach der bestehenden Rechtsordnung abhängt; in formeller Hinsicht kommt namentlich in Betracht die verfassungsmäßige Verabschiedung mit den Ständen, die ordnungsmäßige Verkündigung und die Richtigkeit des veröffentlichten Textes, in materieller Hinsicht die Frage, ob ein Landesgesetz nicht mit einem Reichsgesetz in Widerspruch kommt, ob eine Verordnung nicht in das der Gesetzgebung vorbehaltene Gebiet übergreift. Nur insoweit, als die endgültige Entscheidung über einzelne erhebliche Punkte anderen Organen übertragen ist, hat auch der Richter die Entscheidung ohne weitere Kritik hinzunehmen. So ist beispielsweise für die Legitimation der Mitglieder der Abgeordnetenkammer und die unter Umständen dadurch bedingte Beschlußfähigkeit die Entscheidung der Abgeordnetenkammer maßgebend (Landtagswahlgesetz Art. 22); die Geschäftsordnung wird von jeder Kammer selbständig innerhalb der verfassungsmäßigen Schranken mit der Maßgabe geregelt, daß über Zweifel in der Auslegung die betreffende Kammer endgültig entscheidet; die Frage, ob eine Vorlage eine Abänderung der Verfassung in sich schließt, wird nach der Übung im Streitfalle durch Abstimmung mit einfacher Stimmenmehrheit zur endgültigen Entscheidung gebracht.
Die Verordnung.
Unter Verordnung im weiteren Sinne versteht man jeden Befehl § 55. der Staatsgewalt, welcher nicht in der Form des Gesetzes erlassen wird. Die Verordnungen zerfallen hiernach in Rechtsverordnungen und Verwaltungsverordnungen, je nachdem innerhalb der durch die Gesetzgebung gezogenen Grenzen eine Rechtsregel für allgemein verbindlich erklärt oder nur innerhalb des Kreises der Verwaltung ein Dienstbefehl erlassen wird. In das Gebiet der Gesetzgebung gehört nur die Rechtsverordnung oder Verordnung im eigentlichen Sinne. Diese kann wieder eine sog. Ausführungsverordnung oder aber eine Verordnung mit interimistischer Gesetzeskraft (Notverordnung) sein.
1. Die Ausführungsverordnung.
Aus dem unter I. Bemerkten ergibt sich, daß der Staatsgewalt die Befugnis, Rechtssätze ohne Mitwirkung der Volksvertretung mit allgemein verbindlicher Kraft auszustatten, nur insoweit zusteht, als ihr dieses Recht in Beziehung auf einen Gegenstand durch Gesetz speziell übertragen worden ist oder als die Anordnungen sich innerhalb des Rahmens der Gesetzgebung mit der Ausführung der letzteren beschäftigen, also Folgerungen ziehen, welche in dem Gesetzesbefehl selbst enthalten sind. In diesem Sinne bestimmt die Verfassungsurkunde § 89, daß der König das Recht habe, ohne die Mitwirkung der Stände die zur Vollstreckung und Handhabung der Gesetze erforderlichen Verordnungen und Anstalten zu treffen. Damit ist jedoch nicht ausgesprochen, daß das Recht, Verordnungen zu erlassen, ausschließlich dem Könige zustehe, Verordnungen also nur in der für K. Verordnungen vorgeschriebenen Form erlassen werden können. Für die Art und Weise der Ausführung ist vielmehr nur der Inhalt des Gesetzes entscheidend, auf welchem die Vollmacht zur Erlassung von Verordnungen beruht. Es kann ausdrücklich auf die K. Verordnung verwiesen oder das betreffende Ministerium, ausnahmsweise auch eine einzelne Staats= oder Gemeindebehörde, mit der Vollziehung beauftragt werden. Ist nur der Staatsregierung im allgemeinen, z. B. durch die „Verweisung auf den Verordnungsweg“ die Ermächtigung erteilt, so hängt es von ihrem Ermessen nach Beschaffenheit des Gegenstandes ab, ob die Vorschriften im Wege der K. Verordnung oder durch das betreffende Ministerium oder durch andere Behörden erlassen werden sollen. Nur gilt auch hier der Grundsatz, daß Vorschriften, welche in K. Verordnungen enthalten sind, nur wieder im Wege der K. Verordnung aufgehoben oder abgeändert werden können. Der Auftrag an die Ressortministerien wird vom Könige in der Schlußformel der Gesetze erteilt. Die rechtliche Gültigkeit des Inhalts der Verordnungen ist dadurch bedingt, daß sie die durch das Gesetz erteilte Vollmacht nicht überschreiten, überhaupt dem Gesetze nicht widersprechen. Dem Richter steht in dieser Beziehung ein unbeschränktes Prüfungsrecht zu.
2. Die Notverordnung.
Die Verfassungsurkunde enthält — als Ausnahme von dem in § 88 ausgesprochenen Grundsatze, daß ohne Zustimmung der Stände kein Gesetz gegeben, aufgehoben oder abgeändert werden kann — in § 89 und zwar im unmittelbaren Anschlusse an das Recht des Königs, Ausführungsverordnungen zu erlassen, den ganz allgemeinen Satz, daß der König auch berechtigt sei, „im dringenden Fällen zur Sicherheit des Staates das Nötige vorzukehren“. Die Schranken, welche andere Staatsverfassungen, z. B. die preuß. Verfassungsurkunde §§63, 106, diesem Rechte dahin gezogen haben, daß durch eine Notverordnung die Verfassung nicht abgeändert, und daß eine solche Verordnung nur erlassen werden darf, wenn die Kammern nicht versammelt sind, und daß sie nur gilt, bis dieselben zusammentreten, fehlen in Württemberg gänzlich.
Die Schrankenlosigkeit dieser diskretionären Gewalt wurde bei der Beratung der Verfassungsproposition von 1819 nicht verkannt, es wurde auch auf die Gefahren einer solchen Befugnis hingewiesen; als Gegengewicht wurde die Verantwortlichkeit der Minister betont; von einer Seite wurde ein Beisatz dahin gewünscht, daß die Stände von den getroffenen Verfügungen nachher so bald als möglich in Kenntnis gesetzt werden sollen, von einer anderen Seite dies als selbstverständlich bezeichnet. Aus jenen Worten der Verfassungsurkunde ergeben sich folgende Sätze:
a) Der König kann durch eine einfache Verordnung, welche selbstverständlich (Verfassungsurkunde § 51) von einem Minister kontrasigniert sein muß, jede Änderung des bestehenden Rechtszustandes gültig anordnen, also auch eine Verfassungsbestimmung abändern oder außer Wirkung setzen.
b) Die einzige Voraussetzung dieser sog. Notverordnung ist, daß nach dem pflichtmäßigen Ermessen der Staatsregierung die Sicherheit des Staates die angeordnete Verfügung und die sofortige Erlassung derselben fordert. Eine Anführung der Gründe oder auch nur eine ausdrückliche Berufung auf die angebliche Notlage ist nicht vorgeschrieben. Eine solche Maßregel kann auch verfügt werden, so lange die Stände versammelt sind.
c) Die Notverordnung hat dieselbe Wirkung, wie ein mit den Ständen ordnungsmäßig verabschiedetes Gesetz; ihre Wirkung dauert daher fort, bis sie im Wege der Gesetzgebung — also durch Zusammenwirken sämtlicher Faktoren — oder durch eine neue Notverordnung aufgehoben oder abgeändert wird. Sie tritt also nicht außer Kraft, wenn die Stände zusammentreten oder ihre Einwilligung versagen; materiell gerechtfertigt ist sie aber nach der Verfassungsurkunde nur insolange, als die Sicherheit des Staates ihre Fortdauer verlangt. Den Ständen steht, wenn sie glauben, daß die Voraussetzungen des § 89 nicht vorlagen oder nicht mehr vorliegen, das Recht der Ministeranklage zu. Die Notverordnung würde aber dadurch, selbst wenn die Anklage Erfolg hätte, nicht beseitigt. In die Wirksamkeit von Reichsgesetzen kann im Wege des § 89 Verfassungsurkunde nicht eingegriffen werden.