Württemberg vor 2.000 Jahren.
Die älteste germanische Bevölkerung des jetzigen Königreichs W. bildeten die Sueven. Im 1. Jahrh. n. Chr. eroberten die Römer das Land und schützten es durch den Grenzwall (s. Limes), der sich seit 150 n. Chr. von Jagsthausen über Öhringen bis Lorch hinzog und dann rechts in der Richtung auf Dinkelsbühl ausbog, gegen feindliche Angriffe; das römische Gebiet, Zehntland (Agri decumates, s. d.) genannt, war zwar mit germanischen Ansiedlern besetzt, aber die römische Kultur ward dort heimisch. Im 3. Jahrh. von den Alemanen erobert, kam es nach deren Unterwerfung durch die Franken (496) an das fränkische Reich und gehörte dann zu dem im 9. Jahrh. sich bildenden deutschen Herzogtum Schwaben (s. d.). Der erste Herr von W. (Wirtineberg, einem Schloß, das auf dem Rotenberg bei Stuttgart stand, auf dem 1860–64 eine Gruftkapelle für die königliche Familie erbaut, und dem 1907 wieder der offizielle Name W. beigelegt wurde), wird bald nach 1080 genannt. Das Geschlecht erlangte von den Staufern reiche Besitzungen und die Grafenwürde. Graf Ulrich (1241 bis 1265), mit dem die sichere Reihe der Grafen von W. beginnt, erwarb von Konradin das Marschallamt in Schwaben und die Vogtei über die Stadt Ulm und kaufte während des Interregnums neue Güter, so die Grafschaft Urach. Ihm folgten seine Söhne Ulrich II. und Eberhard I., der Erlauchte, von denen ersterer schon 1279 starb, letzterer seinen Besitz gegen die Könige Rudolf von Habsburg und Albrecht I., welche die Reichsgüter zurückforderten, zu verteidigen hatte. Von Heinrich VII. aus seinem Lande vertrieben, kehrte Eberhard erst nach des Kaisers Tode (1313) zurück. Dennoch vergrößerte er die Grafschaft durch Neuerwerbungen fast um die Hälfte und erlangte durch die Landvogtei in Schwaben nicht nur beträchtliche neue Einkünfte, sondern auch die Hoheitsrechte, die zur Entwickelung einer Territorialmacht erforderlich waren. Nach Zerstörung des Schlosses W. durch die Eßlinger machte er 1321 Stuttgart, wohin er das Erbbegräbnis seines Hauses verlegte, zur Residenz. Auf seinen Sohn Ulrich III. (1325–44) folgten dessen Söhne Eberhard II., der Greiner, und Ulrich IV. erst gemeinsam, nach des letztern Tod (1366) Eberhard allein bis (1392). Da dieser die Rechte als Inhaber der schwäbischen Landvogtei energisch geltend machte, geriet er mit den schwäbischen Reichsstädten und der Ritterschaft in Streit, siegte 1372 über die Städte bei Altheim und brach, nachdem sein Sohn Ulrich 1377 bei Reutlingen geschlagen worden war, die Macht des Schwäbischen Städtebundes durch seinen Sieg bei Döffingen (1388). Sein Enkel Eberhard III. (1392–1417) und dessen Sohn Eberhard IV. (1417–19) vermehrten den Besitz des Geschlechts durch die Erwerbung von Mömpelgard (s. Montbéliard). Nach dem frühen Tod Eberhards IV. regierte dessen Witwe, Gräfin Henriette, für die minderjährigen Söhne Ludwig 1. und Ulrich V., die, volljährig geworden, erst gemeinschaftlich herrschten, 25. Jan. 1442 aber das Land teilten; Ludwig erhielt den Uracher, Ulrich den Stuttgarter oder Neuffener Teil. Als Ludwig 23. Sept. 1450 starb, übernahm Ulrich die Vormundschaft über dessen unmündige Söhne Ludwig II. und Eberhard V. (im Bart), von denen der erstere schon 1457 starb, der letztere 1477 die Universität Tübingen gründete. Ulrich V. kämpfte 1462 mit andern Herren gegen den Kurfürsten Friedrich von der Pfalz, wurde aber bei Seckenheim geschlagen und gefangen genommen und erst 1463 freigelassen. Bei seinem Tode (1. Sept. 1480) hinterließ er den Stuttgarter Anteil seinem ausschweifenden Sohn Eberhard VI., der aber 14. Dez. 1482 durch den Münsinger Vertrag die Regierung seinem Vetter Eberhard V. überließ; dieser Vertrag setzte zugleich unter Mitwirkung der Landstände die Unteilbarkeit des württembergischen Landes und die Erbfolge nach dem Rechte der Erstgeburt fest, was Kaiser Maximilian I. auf dem Wormser Reichstag 1495 bestätigte. Nur die linksrheinischen Gebiete durften zur Versorgung nachgeborner Prinzen verwendet werden; Eberhard ward zum Herzog erhoben und W. für ein Reichsfürstentum erklärt.
Württemberg als Herzogtum
Als Herzog Eberhard I. 24. Febr. 1496 kinderlos starb, folgte ihm sein Vetter Eberhard Vl., als Herzog Eberhard II. Der sich dem von Eberhard I. ihm bestellten Regiment der Landstände nicht fügen wollte, wurde er unter Zustimmung des Kaisers von den Ständen für abgesetzt erklärt und verzichtete förmlich 10. Juni 1498 im Horber Vertrag. Sein minderjähriger Neffe Ulrich, der Sohn des geisteskranken Grafen Heinrich, folgte ihm unter vormundschaftlicher Regierung, wurde aber 1503, erst 16 jährig, vom Kaiser für volljährig erklärt. Als des jungen Herzogs Prachtliebe und Verschwendung eine Erhöhung der Steuern notwendig machten, brach 1514 im Remstal der Aufruhr des »armen Konrad« aus. Zur Herstellung der Ordnung schritten die Stände ein: durch den Tübinger Vertrag vom 8. Juli 1514 übernahmen sie die Schulden des Herzogs (950,000 Gulden), wogegen sich dieser verpflichtete, ohne ihre Zustimmung keinen Krieg anzufangen, kein Stück Land zu verpfänden, keine Schatzung auszuschreiben und niemand ohne Urteil und Recht zu bestrafen; diese Rechte bildeten die Grundlage der Verfassung des württembergischen Territoriums. Sehr bald beschwor Ulrich einen neuen Konflikt herauf: er tötete 1515 den Ritter Hans von Hutten, mit dessen Gattin er ein Liebesverhältnis hatte, und zog sich dadurch den Zorn der Ritterschaft zu; seine Gemahlin Sabine floh zu ihren Brüdern, den Herzogen von Bayern, und diese bewogen den Kaiser Maximilian, 1516 den Herzog wegen Mordes zu ächten. Als Ulrich 28. Jan. 1519 die Reichsstadt Reutlingen überfiel und besetzte, begann der Schwäbische Bund, dessen Mitglied Reutlingen war, den Krieg, eroberte W. und verkaufte es 1520 für 220,000 Gulden an Kaiser Karl V., der 1530 seinen Bruder Ferdinand damit belehnte. Herzog Ulrich, der sich nach vergeblichen Versuchen, sein Land wiederzuerobern, nach Mömpelgard begeben hatte, wo er sich der Reformation anschloß, gewann 1534 den Beistand des Landgrafen Philipp von Hessen und machte durch seinen Sieg bei Lauffen (13. Mai) der österreichischen Herrschaft ein Ende, mußte aber im Frieden von Kaaden (29. Juni 1534) die österreichische Oberlehnshoheit anerkennen. Ulrich führte nun die Reformation in W. durch und förderte aus den Gütern der eingezogenen Klöster die Zwecke der Kirche und Schule. Von neuem gefährdete Ulrich seine Herrschaft durch seine Teilnahme am Schmalkaldischen Krieg: nach dem Rückzug der Verbündeten aus Süddeutschland ward W. von den Kaiserlichen besetzt und Ulrich im Heilbronner Vertrag 1547 nur unter drückenden Bedingungen, besonders der Annahme des Interim, zurückgegeben. Gleichwohl wegen seiner neuen Rebellion mit Absetzung bedroht, starb Ulrich 6. Nov. 1550.
Ulrichs Sohn Christoph (1550–68) wurde vom König Ferdinand unter den Bedingungen des Kaadener Vertrags als Herzog von W. anerkannt. Er vollendete die Reformation in W. und legte durch die »große Kirchenordnung« den Grund zum württembergischen Kirchen– und Schulwesen, für dessen Zwecke er hinreichende Einkünfte aus dem eingezogenen Kirchengut beschaffte. Auch führte er ein allgemeines Landrecht ein und bildete im Einvernehmen mit den Ständen zur Kontrolle des Finanzwesens aus der Landschaft den Kleinern und den Größern Ausschuß, der durch sein Selbstergänzungsrecht allmählich eine oligarchische Stellung errang und die Städte selbst in den Hintergrund drängte. Christophs Sohn Ludwig (1568–93), der die Konkordienformel einführte und das Collegium illustre, eine Anstalt zur wissenschaftlichen Ausbildung weltlicher Beamten, gründete (1592), starb kinderlos, und ihm folgte der einzige noch übrige Fürst des württembergischen Hauses, Friedrich I. (1593–1608), der Sohn des Grafen Georg von Mömpelgard, eines Bruders des Herzogs Ulrich. Er erreichte es 1599, daß Kaiser Rudolf II. im Prager Vertrag gegen eine hohe Geldentschädigung W. aus einem österreichischen Lehen wieder zu einem Reichslehen machte. Er regierte fast unumschränkt und nötigte dem Landesausschuß die Bewilligung seiner bedeutenden Geldforderungen ab; doch die Aufhebung des Tübinger Vertrags und die Beseitigung der ständischen Rechte glückten ihm nicht. Sein Sohn Johann Friedrich (1608–28) mußte den Tübinger Vertrag voll bestätigen und die Hinrichtung des Kanzlers Enslin, der verschiedener Rechtswidrigkeiten angeklagt wurde, 1613 zulassen. Obgleich Mitglied der Union, nahm Johann Friedrich am Dreißigjährigen Kriege nicht teil; dennoch hatte W. von den Durchzügen und Plünderungen der Truppen, namentlich der Wallensteinschen, viel zu leiden. Mitten im Kriege starb Johann Friedrich 18. Juli 1628 und hinterließ einen erst 14jährigen Sohn, Eberhard III., für den 1628 bis 1633 seine Oheime Ludwig Friedrich, dann Julius Friedrich die Vormundschaft führten. Gleich nachdem Eberhard die Regierung übernommen, trat er dem Heilbronner Bündnis bei und stellte Truppen zum schwedischen Heer, weswegen nach der Niederlage bei Nördlingen (1634) W. von den Kaiserlichen besetzt wurde; der Herzog flüchtete nach Straßburg und kehrte erst 1638 zurück. Im Westfälischen Frieden erhielt er sein ganzes Land wieder, aber entvölkert und verarmt. Bis zu seinem Tode (3. Juli 1674) war nun Eberhard bemüht, die Finanzwirtschaft in erträglichen Zustand zu bringen, Kirche und Schule wieder einzurichten und den Wohlstand des Landes zu heben. Seinem Sohne Wilhelm Ludwig (1674–77) folgte dessen einjähriger Sohn, Eberhard Ludwig, der bis 1693 unter der Vormundschaft seines Oheims Friedrich Karl stand. Unter ihm wurde W. wiederholt von Einfällen der Franzosen (1688, 1703 und 1707) heimgesucht. Der Herzog nahm 1699 flüchtige Waldenser in W. auf, um die Bevölkerung und den Wohlstand zu mehren. Nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges richtete er einen glänzenden Hofhalt ein und stellte dadurch große finanzielle Anforderungen an seine Untertanen. Dazu kam die Mätressenwirtschaft der Gräfin Grävenitz, der zuliebe der Herzog die neue Residenz Ludwigsburg erbaute. 1731 ward die Gräfin entfernt, und 31. Okt. 1733 starb Eberhard Ludwig. Sein Nachfolger war der Sohn seines Vormundes Friedrich Karl, Karl Alexander (1733–1737), der in österreichischem Kriegsdienst katholisch geworden war und daher der besorgten Landschaft Religionsreversalien ausstellen mußte. Ihm verschaffte der Jude Süß Oppenheimer, zum Geheimen Finanzrat ernannt, das nötige Geld. Schon hieß es, der Herzog wolle die Verfassung umstürzen, die Religionsreversalien zurücknehmen und dem Katholizismus freie Bahn öffnen, als er 12. März 1737 plötzlich starb.
Während der Minderjährigkeit seines ältesten Sohnes, Karl Eugen, führte die vormundschaftliche Regierung zuerst Herzog Karl Rudolf von W.-Neuenstadt, der den Juden Süß hängen ließ, seit 1738 Herzog Friedrich Karl von W.-Öls. 1744 vom Kaiser für volljährig erklärt, übernahm Karl Eugen selbst die Regierung, entfaltete einen ungeheuern Luxus in der Hofhaltung durch Pflege des Theaters etc. und baute mit großer Pracht das neue Schloß in Stuttgart sowie die Schlösser Solitüde und Hohenheim. Gleichzeitig nahm er am Siebenjährigen Kriege gegen Preußen teil. Allerdings zahlte Frankreich bedeutende Hilfsgelder; dennoch verschlang das Heer große Summen aus Landesmitteln; auch war im evangelischen W. der Kampf gegen das protestantische Preußen nicht populär. Die nötigen Gelder verschaffte sich der Herzog durch verfassungswidrige Mittel, namentlich einen schamlosen Ämterhandel, und suchte in Gemeinschaft mit seinem obersten Minister, Grafen Montmartin, und dem Kriegsrat Rieger die Rechte der Landschaft zu unterdrücken; den Konsulenten derselben, J. J. Moser, warf er ins Gefängnis. Die Landschaft beschwerte sich wiederholt beim Kaiser; aber erst nach siebenjährigen Verhandlungen wurde 27. Febr. 1770 der sogen. Erbvergleich geschlossen, der die alten Landesverträge und das Steuerbewilligungsrecht der Stände bestätigte und die Abstellung der eingerissenen Mißbräuche verlangte. Zwar erfüllte der Herzog nicht alle Versprechungen und beging noch manche Willkürakte, wie die Verhaftung des Dichters Schubart und den Verkauf von 2000 Soldaten an Holland, aber bei zunehmendem Alter und unter dem Einfluß seiner zweiten Gemahlin, Franziska von Hohenheim, wendete er sich edlern Zielen zu und suchte durch Pflege der Wissenschaften und durch Gründung von Unterrichtsanstalten (»hohe Karlsschule«) zu glänzen. Da er keine erbberechtigten Kinder hinterließ, so folgte ihm nach seinem Tode (24. Okt. 1793) sein Bruder Ludwig Engen und, als dieser schon 20. Mai 1795 starb, der jüngere Bruder, Friedrich Eugen (1795 bis 1797), der lange Jahre in preußischen Diensten gestanden und sich mit einer Nichte Friedrichs d. Gr. vermählt hatte, weswegen seine Kinder evangelisch waren. 1796 drangen die Franzosen unter Moreau in W. ein, mit denen der Herzog 17. Juli den Waffenstillstand von Baden abschloß, demgemäß er seine Truppen vom Reichsheer zurückzog und eine Kontribution von 4 Mill. Gulden bezahlte; im Frieden von Paris (7. Aug.) trat er Mömpelgard gegen das Versprechen späterer Entschädigung an Frankreich ab. Friedrich Eugen starb 23. Dez. 1797; mit ihm endete die Reihe der katholischen Herzoge, die seit 1733 geherrscht hatten.
Württemberg als Königreich
Friedrich Eugens ältester Sohn, Friedrich II. (1797–1816), nahm gegen den Willen der Stände am Kriege der zweiten Koalition gegen Frankreich teil. W. wurde 1800 von Moreau besetzt und gebrandschatzt; der Herzog floh nach Erlangen. Im Frieden mit Frankreich (27. März 1802) trat er alle linksrheinischen Besitzungen ab und bekam dafür durch den Reichsdeputationshauptschluß an Entschädigung: die Propstei Ellwangen, die Abteien Zwiefalten und Schönthal sowie die neun Reichsstädte: Weil, Reutlingen, Eßlingen, Rottweil, Aalen, Giengen, Hall, Gmünd und Heilbronn, zusammen 2200 qkm mit 124,688 Einw., und die Kurwürde. Die neuen Gebiete erhielten als Neuwürttemberg eine besondere, in Ellwangen residierende Regierung und vor allem keine Landstände. Als 1805 der neue Krieg zwischen Frankreich und Österreich ausbrach, mußte Friedrich ein Bündnis mit Napoleon schließen und ließ seine Truppen zu den Franzosen stoßen. Seitdem ein eifriger Anhänger des Kaisers, erntete er reiche Belohnungen: im Preßburger Frieden (26. Dez. 1805) empfing er die österreichischen Besitzungen in Oberschwaben, die Grafschaften Hohenberg, Nellenburg und Bondorf und die Landvogtei Altdorf und nahm 1. Jan. 1806 die Königswürde an. Alt- und Neuwürttemberg wurden völlig verschmolzen, die alte Verfassung aufgehoben und das Kirchengut unter Staatsverwaltung gestellt. Nachdem der König 12. Juli 1806 dem Rheinbund beigetreten war, erhielt W. durch die Mediatisierung mehrerer fürstlicher und gräflicher Häuser sowie durch Gebietsabtretung einen weitern Zuwachs von 160,000 Seelen und durch den Wiener Frieden (14. Okt. 1809) Ulm, Mergentheim u. a., im ganzen 110,000 Einw., so daß W., das 1802 nur 650,000 Einw. gehabt, nun 1,400,000 Einw. zählte. Dafür mußte das württembergische Kontingent 1806–07 gegen Preußen, 1809 gegen Österreich, 1812 gegen Rußland und 1813 gegen die Verbündeten kämpfen. Nach der Schlacht bei Leipzig, während der eine württembergische Brigade zu den Verbündeten überging, fiel König Friedrich von Napoleon ab und erlangte von Metternich im Vertrag zu Fulda (2. Nov. 1813) die Garantie seines Gebietes und seiner Souveränität, worauf die württembergischen Truppen 1814–15 am Kampfe gegen Frankreich teilnahmen. Auf dem Wiener Kongreß sträubte sich der König hartnäckig gegen jede Beschränkung seiner Souveränität und trat erst 1. Sept. 1815 dem Deutschen Bund bei. Seinem Versprechen im Manifest vom 11. Jan. 1815 gemäß legte er der am 15. März eröffneten Ständeversammlung den Entwurf einer konstitutionellen Verfassung vor; doch verlangten die Stände ihr »altes, gutes Recht« zurück und lehnten den Entwurf ab. Friedrich I. starb 30. Okt. 1816, während der Verfassungsstreit im Lande aufs heftigste tobte.
Württemberg zur Zeit des Deutschen Bundes (ab 1815)
Sein Sohn, König Wilhelm I. (1816–64), gelangte erst unter dem Drucke der Karlsbader Beschlüsse zur Vereinbarung einer Verfassung mit den Ständen, die am 25. Sept. 1819 verkündet wurde. Die Justiz wurde von der Verwaltung getrennt und das Land 1817 in 4 Kreise und 64 Oberämter eingeteilt. Das Schulwesen wurde verbessert, die katholische Kirche neu organisiert, 1817 eine katholisch-theologische Fakultät in Tübingen und 1828 das Bistum in Rottenburg errichtet. Besondere Fürsorge widmete der König der Landwirtschaft und gründete 1818 die land- und forstwirtschaftliche Akademie in Hohenheim. Mit Erfolg bemüht, die Finanzen des Landes zu bessern und die Steuerlasten zu mindern, führte er im Gegensatz zu seinem Vater einen sehr einfachen Hofhalt und hielt auch in der Staatsverwaltung aus strengste Sparsamkeit. Die Landstände zeigten sich nach der einmal erfolgten Versöhnung nachgiebig und friedlich und nur 1831–33 waren einige Vertreter der liberalen Opposition unter ihnen. In einem politischen Stillleben wuchsen langsam Gewerbe und Handel und damit der Wohlstand durch den Anschluß an den Zollverein, den Bau der ersten Staatseisenbahn u. a. Erst 1848 brach in W. eine freiheitliche und nationale Bewegung aus, welcher der König sofort nachgab: das bureaukratische Ministerium Schlayer (seit 1833) wurde entlassen, und die am 9. März zu Ministern berufenen Liberalen, Römer, Duvernoy, Pfizer und Goppelt, versprachen 11. März liberale Reformen im Innern und Mitwirkung bei Herstellung eines einigen Deutschland. Der alte Landtag genehmigte noch die Gesetze über Bürgerbewaffnung, Versammlungsrecht und Ablösung der Grundlasten, wurde 27. März aufgelöst, und die viele demokratische Mitglieder zählende neue Kammer beschloß außer einem neuen Wahlgesetz die Abschaffung aller Privilegien. Die von der Frankfurter Nationalversammlung beschlossenen Grundrechte verkündete die Regierung als Reichsgesetze, und der widerstrebende König mußte 24. April 1849 notgedrungen auch die Reichsverfassung unterzeichnen. Die demokratische Agitation im Lande verlangte indes die Unterstützung des badisch-pfälzischen Aufstandes zur Durchführung der Reichsverfassung. Um die Erhebung Württembergs zu befördern, verlegte das Rumpfparlament seinen Sitz nach Stuttgart; doch das Ministerium schritt energisch ein, sprengte 18. Juni das Rumpfparlament durch Militär auseinander und löste den Landtag 8. Aug. auf.
Das deutschnationale Ministerium Römer hatte hierdurch W. vor einem Herübergreifen des Aufstandes bewahrt, nach dessen Unterdrückung in der Pfalz und Baden der König 28. Okt. 1849 das Ministerium entließ und Schlayer wieder an die Spitze der Regierung berief, dem im Juli 1850 v. Linden (bis 1864) folgte. Der König sagte sich entschieden von Preußen los, sprach sich gegen das preußische Unionsprojekt aus und schloß sich im Oktober 1850 in Bregenz ganz an Österreich an. Nachdem die drei von August 1849 bis Herbst 1850 durch allgemeine, direkte Wahlen zustande gekommenen demokratischen Landesversammlungen wegen Ablehnung der Regierungsvorlagen aufgelöst worden waren, hob der König im November 1850 das Wahlgesetz vom 1. Juli 1849 auf und erklärte die Verfassung von 1819 für allein gültig. Die neue Kammer bestand zumeist aus Staats– und Gemeindebeamten. Der im Mai 1851 zusammentretende Landtag genehmigte die Beseitigung des Verfassungseides der Truppen, die Aufhebung der Grundrechte, die Auflösung der Volksvereine, die Wiedereinführung der Todes– und Prügelstrafe und die Befreiung der Standesherren vom Kriegsdienst; nur die Entschädigung des Adels für seine durch die Ablösung der Grundlasten erlittenen Verluste lehnte der Landtag ab. Mit dem päpstlichen Stuhl schloß 8. April 1857 der Kultusminister Rümelin ein Konkordat, das die Entscheidung über gemischte Ehen und über die Erziehung des Klerus dem Bischof überließ und Niederlassungen geistlicher Orden erlaubte. Es wurde als königliche Verordnung verkündet, die ständische Zustimmung nur zu den eine Gesetzesänderung erfordernden Punkten vorbehalten, aber der Landtag lehnte 1861 die Vorlage ab und bat, das Verhältnis des Staates zur Kirche durch die Landesgesetzgebung zu regeln. Dies geschah durch das Gesetz vom 30. Jan. 1862, das der neue Kultusminister Golther vorlegte.
In der deutschen Frage folgte W. den Wünschen Österreichs, und als nach dem italienischen Kriege 1859 die Bundesreform wieder in Fluß kam, hielt die Regierung, auf die antipreußische Strömung im Volke sich stützend, sich möglichst zurück. Sie nahm an den von Bayern angeregten mittelstaatlichen Verhandlungen über eine engere Einigung der »rein deutschen Staaten« teil und erklärte sich 1863 für das österreichische Bundesreformprojekt. Den Herzog von Augustenburg erkannte sie als berechtigten Erben Schleswig–Holsteins an, ging aber auf die vom Landtag verlangte energische Politik gegen die Großmächte nicht ein; auch fügte sie sich dem von Preußen 1862 abgeschlossenen französischen Handelsvertrag, um eine Auflösung des Zollvereins zu vermeiden. Als jedoch König Wilhelm 25. Juni 1864 starb und sein Nachfolger, König Karl, den gemäßigt-liberalen, aber antipreußischen Freiherrn v. Varnbüler an die Spitze des Ministeriums stellte, entwickelte die Regierung nach innen und nach außen eine lebhaftere Tätigkeit. Sie hob die rückständigen Verordnungen über Presse und Vereinswesen auf (24. Dez. 1864) und beantragte 1865 beim Landtag eine bedeutende Erweiterung des Eisenbahnnetzes. In Übereinstimmung mit der Kammer erklärte sie sich gegen Preußens Haltung in der schleswig-holsteinischen Frage, nahm an den mittelstaatlichen Konferenzen in Augsburg und Bamberg teil und traf schon im April 1866 miltärische Vorbereitungen, wofür ihr im Juni der Landtag 7,700,000 Gulden bewilligte. W. stimmte 14. Juni in Frankfurt für Österreichs Antrag auf Mobilmachung aller nichtpreußischen Bundeskorps, und während ein Bataillon Hohenzollern besetzte, stieß das württembergische Kontingent zum 8. Bundeskorps. Obwohl die Schlacht bei Königgrätz die kriegerische und siegesbewußte Stimmung im Volk abkühlte, trieb Varnbüler zur Fortsetzung des Kampfes und verstand sich erst, als die Württemberger 24. Juli bei Tauberbischofsheim schwere Verluste erlitten und nach Auflösung des 8. Korps W. der preußischen Okkupation offen lag, zu Verhandlungen, die am 2. Aug. zu einem Waffenstillstand mit Manteuffel führten; der nördliche Teil des Landes wurde von den Preußen besetzt, Hohenzollern aber geräumt. Der Fried 6 vom 13. Aug. legte W. eine Kriegsentschädigung von 8 Mill. Gulden auf; gleichzeitig schloß die Regierung mit Preußen ein geheimes Schutz- und Trutzbündnis.
Der Ausgang des Krieges führte in W. zunächst noch zu keiner Versöhnung mit der neuen Lage in Deutschland. Die Zweite Kammer forderte bei der Beratung des Friedensvertrags 11. Okt statt Anschluß an Preußen einen besondern süddeutschen Bund und genehmigte das 1867 veröffentlichte Schutz- und Trutzbündnis sowie den Vertrag über die Reform des Zollvereins 31. Okt. d. J. nur, weil Preußen drohte, W. im Fall der Ablehnung eines der Verträge aus dem Zollverein auszuschließen. Bei den Wahlen für das Zollparlament (24. März 1868) wurden unter Begünstigung der Regierung nur Gegner der Einigung mit Preußen, Großdeutsche, Ultramontane und Demokraten, gewählt. Nun folgten im Juni 1868 die Wahlen für die Kammer nach dem neuen Wahlgesetz, das direkte und geheime Wahl vorschrieb: dadurch erlangten die Großdeutschen und Demokraten 45 von 70 Sitzen. Durch diesen Sieg ermutigt, begann die Demokratie eine allgemeine Agitation gegen das 1868 vom Kriegsminister v. Wagner mit Mühe durchgesetzte Kriegsdienstgesetz, das »Fluchgesetz«, das nur mit bedeutenden Abschwächungen der preußischen Grundsätze über Wehrpflicht und Heeresorganisation angenommen worden war. Nun forderte die Demokratie dessen Abschaffung und Einführung der wahrhaft allgemeinen Dienstpflicht mit militärischer Jugendvorbereitung und kurzer aktiver Dienstzeit. Im März 1870 stellten Großdeutsche und Demokraten einen Antrag auf Herabsetzung der Präsenzziffer und Verminderung der Heeresausgaben, den die Finanzkommission zur Annahme empfahl. Das Ministerium war uneinig und half sich 24. März zunächst durch Vertagung der Kammern.
Württemberg im Deutschen Reich
Die französische Kriegserklärung im Juli 1870 gab den Dingen eine ganz andre Wendung. Der im partikularistischen Stilleben eingeschlummerte deutsche Patriotismus erwachte und erhob sich für die nationale Sache. Der König erließ 17. Juli den Mobilisierungsbefehl, die Kammern bewilligten 22. d. M. fast einstimmig den verlangten Kriegskredit. Die württembergische Division wurde der unter dem Oberbefehl des Kronprinzen von Preußen stehenden dritten Armee zugeteilt und nahm an der Schlacht bei Wörth und den Kämpfen vor Paris, besonders der Schlacht bei Villiers (30. Nov. und 2. Dez. 1870), rühmlichen Anteil. Varnbüler trat 31. Aug. zurück, und der Justizminister Mittnacht führt: in Versailles die Verhandlungen über den Eintritt Württembergs in das neue Deutsche Reich, die am 25. Nov. zum Abschluß führten: W. behielt die eigne Verwaltung der Post, der Telegraphen, der Eisenbahnen und die besondere Besteuerung des Bieres und des Branntweins; die wüttembergischen Truppen bildeten das 13. deutsche Armeekorps, dessen Kommandeur der Kaiser ernannte, behielten aber ihr eignes Kriegsministerium, und der König ernannte die Offiziere; im Bundesrat bekam W. 4 Stimmen. Nachdem Neuwahlen der Regierung in der Zweiten Kammer eine nationalgesinnte Mehrheit verschafft hatten, wurden die Verträge mit dem Norddeutschen Bunde vom Landtag genehmigt und 1. Jan. 1871 verkündet. Die ersten Reichstagswahlen (3. März 1871) bestätigten den Umschwung der Volksstimmung; bis auf einen Ultramontanen wurden nur nationalgesinnte Männer gewählt, und ein Jahrzehnt lang offenbarte das bedeutende Übergewicht der nationalen Abgeordneten den wieder erwachten Patriotismus. Unter den 17 Reichstagsabgeordneten des Landes befanden sich 1871: 16, 1874: 13, 1877: 11, 1878: 12 nationale. Da auch das Ministerium, in dem nach Varnbülers Entlassung Mittnacht seit 1873 das Auswärtige leitete und seit 1876 Präsident war, sich auf den Boden der neugeschaffenen Rechtszustände stellte und der kränkliche König, der viel im Ausland weilte, dem zustimmte, so war die reichstreue Politik Württembergs entschieden. Auch die vorübergehenden starken Wahlerfolge der Volkspartei und der Ultramontanen in den 1880er Jahren bedeuteten keineswegs eine Abkehr der Wähler vom Reich, da auch diese Parteien sich inzwischen auf den Boden des neuen Reiches gestellt hatten.
Die Eingliederung Württembergs in das Reich stellte Regierung und Landtag vor mancherlei Aufgaben: es galt die Militärorganisation durchzuführen und die Ausführungsgesetze für die deutsche Justizreform zu erlassen. Dazu kamen zahlreiche notwendige Reformen; es wurde das Steuerwesen neu geregelt, ein Forststraf- und Forstpolizeigesetz, ein Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Lehrer und ein solches über die Verwaltung des kirchlichen Vermögens vereinbart. Dagegen fand der Plan einer Vereinheitlichung des deutschen Eisenbahnwesens keinen Anklang; ein Antrag Elben zur Förderung des Reichseisenbahnsystems wurde 30. März 1876 in der Zweiten Kammer mit 80 gegen 6 Stimmen abgelehnt, und die Erste Kammer trat dieser Auffassung bei. Indes der Ausfall in den Einnahmen der allzu schnell vermehrten Staatseisenbahnen machte 1881 die Erhöhung vorhandener und die Einführung neuer Steuern nötig, bis die Vermehrung der Reichseinnahmen die Finanzen so erheblich verbesserte, daß 1889 die Steuern herabgesetzt, wichtige Bauten ausgeführt und die Beamtengehälter erhöht werden konnten.
Immer aufs neue trat die Frage der Verfassungsreform in den Mittelpunkt des Interesses. Ihre Lösung forderte die Regierung und nicht minder die Kammern; besonders die Erste verlangte Verstärkung ihrer Arbeitskräfte. Gleichwohl scheiterten zunächst alle Versuche, da die Zweite Kammer immer einheitlicher das völlige Ausscheiden der Privilegierten (Vertreter der Ritterschaft, der Kirchen und der Universität) aus ihr und deren Ersetzung durch gewählte Abgeordnete des allgemeinen gleichen Stimmrechts forderte, während die Regierung darauf beharrte, an ihrer Stelle »ein andres geeignetes, stetiges, insofern konservatives Element«, etwa durch Gewählte von Höchstbesteuerten zu setzen. Nur geringfügige Abänderungen der Verfassung ergaben die Gesetze vom 23. Juni 1874, 1. Juli 1876, 16. Dez. 1876 und 25. Aug. 1879, die unter anderm das Recht der Initiative beider Kammern, die Bildung eines Staatsministeriums und eines Verwaltungsgerichtshofes brachten.
Durch den Beitritt Württembergs zu der Branntweinsteuergemeinschaft (1887) wurde eines der Reservatrechte aufgegeben. Im übrigen waren die Zustände so befriedigend, daß sich die glänzende Feier des 25jährigen Regierungsjubiläums des Königs 25. Juni 1889 rechtfertigte. Der König starb 6. Okt. 1891 unerwartet rasch. Da er keine Kinder hinterließ, folgte ihm sein Neffe, Prinz Wilhelm, als König Wilhelm II. Er behielt das Ministerium Mittnacht bei und betonte in einer Ansprache an das Volk besonders seine Stellung als deutscher Regent und seine Treue zu den Verträgen mit Preußen. Ein neuer Versuch einer Verfassungsrevision 1894, nach dem die Erste Kammer eine Verstärkung auf 45 Mitglieder erfahren und die Zweite Kammer 73 Mitglieder des allgemeinen Stimmrechts, 7 Vertreter der Berufsstände und 15 bevorrechtete Mitglieder zählen sollte, scheiterte an dem Widerstande der Zweiten Kammer gegen alle Vorrechte. Der 1895 neu gewählte Landtag zeigte ein völlig neues Gepräge: infolge des Zusammengehens von Demokratie und Zentrum erlitt die bisher führende Deutsche Partei eine schwere Niederlage. Es wurden 31 Demokraten, 18 Ultramontane und 2 Sozialdemokraten gegen einen Konservativen und 11 Mitglieder der Deutschen Partei gewählt; das Präsidium erhielt der Führer der Volkspartei, Payer. Neben der Neugestaltung der Verfassung war inzwischen auch eine solche des Steuerwesens und der Gemeindeordnung notwendig geworden. Da der König keine männlichen Nachkommen hatte, und der letzte evangelische Agnat des Hauses W., der greise Herzog Nikolaus (gest. 22. Febr. 1903) kinderlos war, stand der Übergang der Krone auf die katholische Linie zu erwarten. Deshalb mußten Bestimmungen über die Ausübung der landesherrlichen Kirchenregimentsrechte im Falle der Zugehörigkeit des Königs zu einer andern als der evangelischen Konfession getroffen werden. Allein das Religionsreversaliengesetz scheiterte 1896 an dem Widerstand der noch von den Wahlen her verbündeten Demokraten und Ultramontanen. Die neuen Beschlüsse der evangelischen Landessynode wurden 1898 nur als kirchliches Gesetz genehmigt, mit der Maßgabe, daß die nach diesem Gesetz berufenen Staatsbeamten (in erster Linie zwei Minister) zum Eintritt in die evangelische Kirchenregierung keiner höhern Genehmigung bedürfen. Der Gesetzentwurf über die Abschaffung der Lebenslänglichkeit der Ortsvorsteher wurde 1898 von der Zweiten Kammer genehmigt, aber von der Ersten abgelehnt. Wider Erwarten scheiterte auch die durch den Gesetzentwurf vom 29. Juni 1897 wieder aufgenommene Verfassungsrevision. Die Regierung war endlich bereit, die Zweite Kammer völlig auf der Grundlage des allgemeinen Stimmrechts aufzubauen, und unter den aus Wahlen hervorgegangenen Mitgliedern der Zweiten Kammer herrschte Einstimmigkeit. Der Entwurf fand 5. April 1898 mit 69 gegen 18 Stimmen der Privilegierten Annahme. Demgemäß sollte die Zahl der Mitglieder der Ersten Kammer durch Zutritt der Privilegierten von 26 auf 48 steigen; in der Zweiten Kammer aber sollten an Stelle der letztern noch 2 Vertreter Stuttgarts und 21 nach dem Proportionalwahlverfahren gewählte Abgeordnete der 4 Kreise treten. Die Reform scheiterte in letzter Stunde, da das Zentrum seine endgültige Zustimmung von der Festlegung der Konfessionsschule sowie des bischöflichen Rechts auf die Einführung geistlicher Orden und Niederlassungen abhängig machte. Diese Anträge wurden von der Regierung und den übrigen Parteien in den Verhandlungen vom 11.–14. Mai aufs entschiedenste bekämpft und schließlich mit 58 gegen 22 Stimmen abgelehnt. Infolgedessen schlug sich das Zentrum bei der endgültigen Abstimmung zu den Privilegierten, so daß die Vorlage bei 48 gegen 38 Stimmen nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit fand. Dasselbe Schicksal widerfuhr der vom Finanzminister Riecke (s. d.) ausgearbeiteten und nach seinem Tode von Zeyer vertretenen Steuerreform. Die Zweite Kammer wünschte besonders eine Progression der Einkommensteuer bis zu 6 Proz.; die Erste Kammer stellte jedoch den Höchstsatz mit 4 Proz. wieder her und verlangte, daß die Erhöhung des Einheitssatzes der Einkommensteuer der ordentlichen Gesetzgebung vorbehalten sein sollte. Da sie auch in der zweiten Beratung sich nur zu einem Höchstsatze von 4,5 Proz. verstand, lehnte die Zweite Kammer die Vorlage ab.
Der Landtag hatte somit keine seiner Aufgaben bewältigt, aber es hatte sich doch eine Änderung vollzogen insofern, als sich die Demokratie vom Zentrum trennte und die protestantischen Privilegierten ihre Stellung änderten, weil das Zentrum konfessionelle Gesichtspunkte geltend machte. Infolge dieser veränderten Lage konnte der »Reformlandtag« (1901 bis 1906) bedeutende Erfolge verzeichnen. Die Neuwahlen von 1900 brachten der Volkspartei 26, dem Zentrum 20, der Deutschen Partei 11, dem Bund der Landwirte 4 und der Sozialdemokratie 5 Vertreter. Im Ministerium waren bedeutende Änderungen eingetreten. Ende 1900 wurde an Stelle v. Mittnachts der Kriegsminister Schott v. Schottenstein (s. d.) Ministerpräsident und nach dessen Enthebung im April 1901 der Justizminister v. Breitling (s. d., seit 1896); das Ministerium des Auswärtigen und der Verkehrsanstalten übernahm der Kabinettschef des Königs, v. Soden, dem Kultusminister v. Sarwey folgte v. Weizsäcker, Kriegsminister wurde v. Schnürlen, und nur die Minister des Innern und der Finanzen, v. Pischek und v. Zeyer, blieben im Amte. 1901 wurde der Eintritt Württembergs in die preußisch-hessische Eisenbahngemeinschaft im Landtage lebhaft besprochen, und im Mai 1901 erklärte sich die Zweite Kammer aus wirtschaftlichen, politischen und konstitutionellen Gründen gegen eine solche Gemeinschaft, selbst wenn sie finanzielle Vorteile brächte; die Erste Kammer und die Regierung nahmen eine ähnliche Stellung ein. Dagegen erklärte sich der württembergische Handelskammertag entschieden für einen Anschluß an Preußen-Hessen. Immerhin brachte 1901 in dem Postmarkenvertrag mit einheitlichen Postwertzeichen einen Fortschritt auf dem Gebiete des Verkehrswesens, der zwar beinahe einen Kompetenzkonflikt hervorrief, aber doch von den Kammern genehmigt wurde. Auch in den nächsten Jahren kam die Eisenbahnfrage nicht zur Ruhe, und die Zahl der Anhänger einer Verkehrsgemeinschaft wuchs, zumal angesichts der Umleitungen der badischen und bayrischen Eisenbahnverwaltungen, gegen die 1903 im Landtag heftige Angriffe erfolgten. Als 1904 die Regierung die Initiative zur Herbeiführung einer Betriebsmittelgemeinschaft der deutschen Eisenbahnen ergriff, fand dieses Vorgehen die Zustimmung des Landtags.
Über den 1902 wieder vorgelegten Entwurf einer Steuerreform ward 17. Juli 1903 eine Einigung erzielt. Die Regierung schlug 4,5 Proz. als Höchstsatz der Einkommensteuer vor, die Zweite Kammer forderte 6 Proz., begnügte sich aber infolge des Widerstands der Ersten Kammer mit 5 Proz. bei 200,000 Mk. Einkommen und stimmte der geforderten Erweiterung des Budgetrechts der Ersten Kammer zu. Das Gemeindesteuerrecht wurde gleichzeitig abgeändert, besonders durch die Bestimmung eines höchstens 50prozentigen Zuschlags zur staatlichen Einkommensteuer. Im April 1902 wurde ein Volksschulgesetz vorgelegt, das für größere Bezirke Schulaufsicht im Hauptamt durch Geistliche oder Schulmänner vorsah. Die Zweite Kammer nahm die Vorlage an, aber die katholische Mehrheit der Ersten lehnte die Zulassung von Schulmännern zur Bezirksschulaufsicht ab, und die Regierung zog nun die Vorlage zurück. Die katholischen Prinzen des königlichen Hauses, insbesondere Herzog Albrecht, seit dem Tode des Herzogs Nikolaus präsumtiver Thronfolger, hätten eine Entscheidung zugunsten der Regierungsvorlage herbeiführen können, blieben aber der Sitzung fern. Der Fall des Schulgesetzes ließ die Verfassungsreform wieder aufleben, da es galt, den Charakter der Schule als unabhängiger Staatsanstalt sicherzustellen. Teilweise wurde in Kundgebungen sogar die Abschaffung der Ersten Kammer gefordert. Am 15. Juni 1905 ging den Ständen der Entwurf einer Verfassungsänderung zu: die Grundlinien bildeten die Schaffung der »reinen Volkskammer«, hervorgehend aus allgemeinen Wahlen, und die Erhöhung der Mitgliederzahl und des Einflusses der Ersten Kammer. Für die aus der Zweiten Kammer ausscheidenden Privilegierten war außer einer stärkern Vertretung der Stadt Stuttgart kein Ersatz vorgesehen. Auf der andern Seite sollte die Erste Kammer durch den Eintritt der Ritter, einflußreicher Vertreter der Kirchen und Schulen, von Handel, Gewerbe, Handwerk und Landwirtschaft lebenskräftiger werden und ein erweitertes Budgetrecht erhalten. Das Zentrum verhielt sich ablehnend, während die Privilegierten grundsätzlich mit der Neugestaltung einverstanden waren. Die Mehrheit der Zweiten Kammer forderte dagegen einen Ersatz für die ausscheidenden Privilegierten durch Erwählte des allgemeinen Stimmrechts nach dem Proportionalwahlverfahren und bestand auf dem Budgetvorrecht. Eine Minderheit befürwortete einen Ersatz durch berufsständische Vertreter. Zweimal kehrte der Entwurf abgeändert aus der Ersten Kammer zurück, bis 9. Juli 1906 vollständige Einigung erzielt und der Entwurf in der Ersten Kammer einstimmig, in der Zweiten mit 66 gegen 21 Stimmen des Zentrums und zweier Ritter angenommen wurde. Nach diesem Gesetz besteht die Erste Kammer aus den Prinzen des königlichen Hauses, den Standesherren, aus höchstens 6 königlichen Räten, 8 Vertretern der Ritterschaft, 4 der evangelischen und 2 der katholischen Kirche, je einem der beiden Hochschulen, 2 Vertretern des Handels und der Industrie, 2 der Landwirtschaft und einem des Handwerks. Die Zweite Kammer besteht aus 63 Bezirksabgeordneten und 6 Städteabgeordneten, gewählt nach romanischem Verfahren, ferner aus 6 Abgeordneten der Stadt Stuttgart und 17 Abgeordneten der zwei Landeswahlkreise, gewählt nach dem Proportionalwahlverfahren.
Wenige Tage später wurde auch die neue Gemeinde- und Bezirksordnung nach langen Verhandlungen endgültig angenommen; sie brachte eine Ausdehnung der Selbstverwaltung in den Gemeinden und Bezirken, die Beseitigung der lebenslänglichen und die Einführung der periodischen Wahl der Ortsvorsteher ohne rückwirkende Kraft. Nur die Schulreform steht noch aus. Die Wahlen auf Grund des neuen Gesetzes um die Jahreswende 1906/07 ergaben trotz eines unverkennbaren Vordringens der extremen Parteien (Bauernbund und Sozialdemokratie) keine wesentliche Kräfteverschiebung. Es wurden gewählt 15 Mitglieder des Bauernbundes, 13 der Deutschen Partei, 24 der Volkspartei, 15 der Sozialdemokratie und 25 des Zentrums. Die anschließenden Reichstagswahlen ergaben eine Niederlage der Sozialdemokraten, die von 4 Wahlkreisen nur einen behaupteten. Der neue Landtag, der auch neue Minister, v. Weizsäcker als Verkehrsminister und Ministerpräsident, v. Fleischhauer als Kultusminister, v. Marchthaler als Kriegsminister, von Schmidlin als Justizminister, antraf, führte eine umfassende Beamtenbesoldungsausbesserung mit einem Gesamterfordernis von rund 6 Mill. Mk. durch.
[Geschichtsliteratur.] »Wirttembergisches Urkundenbuch« (hrsg. vom königlichen Staatsarchiv, Stuttgart 1849–1907, Bd. 1–9); »Württembergische Geschichtsquellen« (das. 1894 ff.) und »Darstellungen aus der württembergischen Geschichte« (das. 1904 ff.; beide hrsg. von der Kommission für Landesgeschichte); Stälin, Wirtembergische Geschichte (das. 1841–73, 4 Bde.; bis 1593); P. F. Stälin, Geschichte Württembergs (Gotha 1882–87, Bd. 1 in 2 Tln.); E. Schneider, Württembergische Geschichte (Stuttg. 1896); Belschaer, Geschichte von W. in Wort und Bild (das. 1902); Weller, Württemberg in der deutschen Geschichte (das. 1900); Fricker und Geßler, Geschichte der Verfassung Württembergs (das. 1869); Hieb er, Die württembergische Verfassungsreform von 1906 (das. 1906); Wintterlin, Geschichte der Behördenorganisation in W. (das. 1904–06, Bd. 1 u. 2); »W. und sein König 1864–1889, eine Festgabe« (das. 1889); »Württembergische Kirchengeschichte«, hrsg. vom Kalwer Verlagsverein (Kalw u. Stuttg. 1893); R. Schmid, Reformationsgeschichte Württembergs (Heilbr. 1904); Golther, Der Staat und die katholische Kirche im Königreich W. (Stuttg. 1874); Kaißer, Geschichte des Volksschulwesens in W. (das. 1894–97, 2 Bde.); Bartens, Die wirtschaftliche Entwickelung des Königreichs W. (Frankf. 1901); Binder, Württembergische Münz- und Medaillenkunde (neue Bearbeitung von Ebner, Stuttg. 1904 ff.); Haug und Sixt, Die römischen Inschriften und Bildwerke Württembergs (das. 1898–1900, 2 Tle.); Hofmann, Historischer Reisebegleiter für Deutschland, Bd. 3: Das Königreich W. (Berl. 1906); Krauß, Schwäbische Literaturgeschichte (Freib. i. Br. 1897–1899, 2 Bde.); »Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte« (Stuttg. 1878–1905); Heyd, Bibliographie der württembergischen Geschichte (Bd. 1 u. 2, das. 1895–96; Bd. 3 von Th. Schön, 1907), und die »Geschichtskarten von Deutschland« im 4. Band.