Das Königreich Württemberg hat seine jetzige Gestalt durch die großen Staatsveränderungen im Anfange des vorigen Jahrhunderts erhalten. Die zusammenhängende beglaubigte Geschichte des Regentenhauses und Landes Württemberg beginnt um das Jahr 1238 mit dem Grafen Ulrich I. (später der „Stifter“ genannt). Seit dieser Zeit hat sich die Regierung – unterbrochen nur durch die österreichische Zwischenherrschaft unter Herzog Ulrich (1520–1534) – im Mannesstamme des Hauses Württemberg vererbt.
Für die geschichtliche Betrachtung des öffentlichen Rechtszustandes während dieser Zeit kann, da die in den Jahren 1802–1810 erworbene Hälfte des Landes aus verschiedenartigen Bestandteilen zusammengesetzt war und der frühere öffentliche Rechtszustand dieser Gebiete für die Gegenwart – abgesehen von den Rechten des Adels – keine Bedeutung mehr hat, nur das Stammland, die frühere Grafschaft und das spätere Herzogtum Württemberg, in Betracht kommen.
14. Jahrhundert – Private Besitzungen.
Der schon im 14. Jahrhundert beträchtliche Territorialbestand der Grafschaft Württemberg war nicht durch Eroberungen, Erbschaften oder Heiraten ), sondern in der Hauptsache durch Kauf, Pfandschaft und ähnliche Erwerbsgründe allmählich in den Händen der Grafen vereinigt worden. Im 13. und 14. Jahrhundert, zu einer Zeit, wo in Süddeutschland eine große Anzahl herzoglicher und gräflicher Geschlechter durch Teilungen, Kirchen- und Klosterstiftungen, Schulden usw. in Vermögensverfall geriet, und es an günstigen Gelegenheiten zu Käufen, Pfandauslösungen usw. nicht fehlte, wußten die Grafen von Württemberg durch sparsamen Haushalt, frühzeitigen Ausschluß der realen Teilung des Stammguts, Vermeidung von Kirchen- und Klosterstiftungen und durch kluge Benützung der Zeitverhältnisse sich allmählich im Mittelpunkte des ehemaligen staufischen Herzogtums umfangreiche und verhältnismäßig zusammenhängende Besitzungen zu erwerben, über welche sie die vogteilichen und grundherrlichen Rechte ausübten .Wie sich aus diesen Rechten die Landeshoheit über die Grafschaft entwickelte, läßt sich historisch nicht näher nachweisen, namentlich fehlt es an jedem Anhalte dafür, daß der Grafentitel selbst in Württemberg auf einem ursprünglichen Gaugrafenamte beruhte.
Die Quellen des öffentlichen Rechts aus dieser Periode bestehen sämtlich in Familienverträgen, welche die Unteilbarkeit des Landes festsetzten oder bestätigten und daneben die Sukzessionsordnung regelten. Unter ihnen ragt der Münsinger Vertrag vom 14. Dezember 1482 schon deshalb hervor, weil er, die Natur eines bloßen Familienvertrags zur Regelung subjektiver Berechtigungen abstreifend, bereits den Charakter eines Staatsgrundgesetzes hat, und „mit Rat der Prälaten, Ritterschaft und Landschaft“ unter Mitwirkung von 56 Vertretern von Städten und Ämtern vereinbart wurde. Ihren Abschluß erhielt die in diesen Verträgen enthaltene Entwickelung im Sinne der Einheit und Unteilbarkeit des Staatsgebietes erst durch den Herzogsbrief von 1495, welcher – nach dem Vorgang der in der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. für die weltlichen Kurfürstentümer getroffenen Bestimmung – die Primogeniturordnung für das Stammland Württemberg einführte.
15. Jahrhundert – Unteilbarkeit Württembergs.
Durch Kaiser Maximilian I. wurde Graf Eberhard der Ältere, der in Reichsangelegenheiten großes Ansehen genoß und sich namentlich (1488) um die Errichtung des schwäbischen Bundes Verdienste erworben hatte, am 21. Juli 1495 auf dem Wormser Reichstage zum Herzog erhoben und das Land selbst in dem Herzogsbrief unter erneuter Bestätigung des Münsinger Vertrags zu einem unteilbaren und unveräußerlichen Reichsmannlehen und Herzogtum erklärt. Die Erhebung zu einem Reichsmannlehen hatte die Folge, daß für den Fall des Aussterbens des Mannsstamms für das Reich ein Heimfallrecht am ganzen Lande, einschließlich der bisher allodialen Besitzungen und Weiberlehen, begründet wurde. Da zu jener Zeit nur noch ein einziger männlicher Agnat (der spätere Herzog Ulrich) in Frage kam, lag wohl in der Aussicht auf diesen Heimfall das Hauptinteresse der kaiserlichen Politik an dieser Standeserhöhung.
Mit letzterer trat die Entwickelung der Landeshoheit in ein neues Stadium. Verfassung und Verwaltung wurden mehr und mehr im Sinne des partikularen Staates ausgebildet. Württemberg führte jetzt im Reichstage eine Virilstimme auf der Fürstenbank, wozu seit der Gründung einer besonderen Mömpelgardschen Linie des herzoglichen Hauses (1556) eine zweite, seit 1654 vom Reiche anerkannte Virilstimme für die in der Freigrafschaft gelegene, später mit dem Herzogtum wiedervereinigte Grasschaft Mömpelgard, in der Folge auch eine Stimme auf der schwäbischen Grafenbank (für die Herrschaft Justingen) und ein Anteil an der Limpurgischen Stimme auf der fränkischen Grafenbank hinzukam. Als (1510 und 1512) Deutschland in Kreise geteilt wurde, nahm Württemberg als Kreisstand am schwäbischen und fränkischen Kreise Teil (am schwäbischen mit zwei Stimmen: für Württemberg und Justingen). Der Bischof von Konstanz und der Herzog von Württemberg waren die „kreisausschreibenden Fürsten“, das Kreisdirektorium stand Württemberg allein zu. Daneben war ihm regelmäßig das Amt des Kreisobersten übertragen; auch stand ihm die Direktion eines Kreisviertels und der weltlichen Fürstenbank des Kreises zu.
Größere Gebietserwerbungen fanden seit 1495 nur noch einmal statt, indem Württemberg im bayerischen Erbfolgekrieg, an welchem es auf seiten von Bayern-München gegen die Pfalz teilnahm, im Jahr 1504 und 1505 ausgedehnte pfälzische Besitzungen eroberte und behauptete, auch von Bayern zum Ersatz für die Kriegskosten die Herrschaft Heidenheim und die Schutzherrschaft über vier Klöster erhielt.
Zu dem Lehensverband, in welchem Württemberg seit 1495 zum Reiche stand, trat bald nachher noch eine Lehensverbindung mit dem Hause Österreich. In dem Kriege nämlich, den Herzog Ulrich 1519 mit dem schwäbischen Bunde führte, eroberte der letztere das ganze Land und trat es 1520 an den Kaiser Karl V. ab, welcher dasselbe in österreichische Verwaltung nahm und 1530 seinen Bruder, den Erzherzog Ferdinand, förmlich mit dem Herzogtum belehnte. Die Wiedereroberung des Landes durch Herzog Ulrich (1534) hatte zwar die Wiederanerkennung des letzteren als Landesherrn im Kaadener (Cadauer) Vertrag vom 29. Juni 1534 zur Folge; dagegen wurde das Herzogtum durch diesen Vertrag unter Aufrechterhaltung des Reichslehenverbands in ein österreichisches Afterlehen verwandelt, so daß die Herzoge zwar ihre Reichsstandschaft und das Land seine Reichsunmittelbarkeit behalten, dagegen der jeweilige Herzog sein Land von dem regierenden Erzherzog von Österreich zu Lehen erhalten sollte. Der Passauer Vertrag vom 6. August 1552 hielt dieses Verhältnis gegenüber dem Regierungsnachfolger Herzog Christof aufrecht. Erst durch den Prager Vertrag vom 24. Januar 1599 gelang es, das Lehensverhältnis zu Österreich – aus Anlaß des Übergangs der Sukzession auf die Mömpelgarder Linie des herzoglichen Hauses – aufzuheben, bezw. mit Geld abzulösen und an seine Stelle ein bloßes Anwartschaftsrecht des österreichischen Hauses zu setzen. Letzteres wurde dann durch den Preßburger Frieden vom 26. Dezember 1805 Art. 15 – wie alle anderen Territorialansprüche u. s. w. Österreichs auf einzelne Teile von Württemberg – aufgehoben.
Die Reformation war von Herzog Ulrich sofort nach seiner Rückkehr im Jahre 1534 im ganzen Herzogtum durchgeführt worden. Die evangelisch-lutherische Lehre, wie sie in der Augsburger und in der von Herzog Christof dem Konzil zu Trient übergebenen besonderen württembergischen Konfession enthalten war, wurde in der Folge – nach Beseitigung des auch in Württemberg (1548) durchgeführten Interims – zur ausschließlichen Landesreligion erklärt. Im Gegensatze zu anderen deutschen Territorien wurde jedoch das frühere katholische Kirchenvermögen nicht säkularisiert, vielmehr wurde durch die große Kirchenordnung von 1559 das Vermögen der Stifter und Klöster wie der Ruralkapitel und die Lokaldotationen zu einem allgemeinen, den kirchlichen und Armenzwecken gewidmeten evangelischen Kirchengut (Kirchenkasten) zusammengezogen. Nur der Überschuß der Einkünfte (das residuum) sollte zu Staatszwecken verwendet, ordentlicherweise aber ein Drittel der Landessteuer auf das geistliche Gut gelegt werden. Dabei behielten die ehemaligen großen Mannsklöster – wenn auch als Bestandteil des Kirchenguts unter der Aufsicht des Kirchenrats stehend – eine selbständige ökonomische Verwaltung unter ihren Prälaten und den diesen beigegebenen Klosterverwaltern, was aufs engste mit der Stellung zusammenhing, welche diese Prälaten seither in der ständischen Verfassung des Landes eingenommen hatten. Die Verfassung des ehemaligen Herzogtums Württemberg bietet schon deshalb ein historisches Interesse dar, weil sie von ihren ersten Anfängen im 14. Jahrhundert sich bis an das Ende des alten deutschen Reichs auf ihrer korporativen Grundlage fortzuerhalten vermochte. Gleichzeitig mit der Ausbildung der Landesherrlichkeit zur Landeshoheit begann nämlich auch die Entwickelung der ständischen Rechte in Württemberg, indem die Grafen frühzeitig bei der Unsicherheit der staatlichen Rechtsordnung und der Schwäche der kaiserlichen Macht für alle wichtigeren Rechtsakte in der Mitwirkung der Korporationen der Städte und Ämter einerseits und der sog. Zugewandten d. h. der Klöster und des Adels andererseits eine Stütze ihrer auf privatrechtlicher Grundlage ruhenden guts- und hausherrlichen Macht, eine Ergänzung der mangelnden staatlichen Autorität, bei den Korporationen insbesondere im Laufe der Zeit auch eine Erhöhung ihres finanziellen Kredits suchten und fanden.
Im Tübinger Vertrag vom 8. Juli 1514, durch welchen die Streitigkeiten zwischen dem Herzog Ulrich und der Landschaft unter Mitwirkung von Delegierten des Kaisers und einer Anzahl von Fürsten und Bischöfen zum Austrag gebracht wurden, fand die auf dieser Grundlage begonnene Entwickelung der ständischen Verfassung bereits ihren formellen Abschluß. Dieser Vertrag, welcher für drei Jahrhunderte die Grundlage des württembergischen Verfassungsrechts bildete und als die Magna Charta der württembergischen Freiheiten galt, wurde zwischen dem Herzog einerseits und den Prälaten der zum Lande gehörigen großen Mannsklöster und der Landschaft d. h. den Delegierten der Städte und Ämter, als Vertretern des Landes andererseits verabschiedet. Der Adel als Stand war nicht mehr dabei vertreten, indem gerade um jene Zeit, wo das ständische Besteuerungsrecht seinen Anfang nahm, die Ritterschaft vom Lande sich loszureißen begann und nicht lange nachher ihre Unmittelbarkeit bei Kaiser und Reich zur formellen Anerkennung brachte. Obgleich durch spätere Landtagsabschiede, Testamente der Herzoge und Verträge der öffentliche Rechtszustand des Herzogtums manche Aenderungen erlitt, blieb doch der ganze Bau der württembergischen Verfassung von 1514 bis 1806 im ganzen unverändert. Auch der Erbvergleich vom 2. März 1770, durch welchen die Streitigkeiten zwischen Herzog Karl und den Ständen unter Vermittlung einer reichshofrätlichen Kommission ihre Erledigung fanden, hatte nicht sowohl die Bedeutung einer Revision des Verfassungszustandes selbst, als einer Beseitigung von Beschwerden und einer Sicherung des bestehenden Rechts, welche noch dadurch erhöht wurde, daß Friedrich der Große in Verbindung mit den Kronen von Großbritannien und Dänemark auf Anrufen der württembergischen Stände im Jahre 1771 (10. und 31. Mai und 7. Juni) für sich und ihre Nachfolger die Garantie für die Aufrechterhaltung dieses letzten altwürttembergischen Verfassungsvertrags übernahmen. Diese Verfassung war von privatrechtlichen Anschauungen beherrscht. Die Stände als die Gesamtheit der Korporationen des Landes und der Herzog als der Besitzer des mit dem Aufwand für die Landesregierung belasteten Familienfideikommisses (Kammerguts) standen einander in dem Verhältnis von Parteien gegenüber, deren gegenseitige Beziehungen durch Vertrag geregelt waren. Die Regierung war Sache des Regenten, dem auch das Recht der Gesetzgebung zustand. Wie er die Kosten der Regierung aus dem Kammergute deckte, war seine Sache, ein direktes Besteuerungsrecht stand ihm nicht zu. Die Stände übten, als Ausfluß der korporativen Selbstverwaltung, ein Selbstbesteuerungsrecht aus zum Zwecke der sogen. Ablösungshilfe d. h. der Übernahme und Tilgung der herzoglichen Schulden. Ob die Stände dem Herzog eine solche Hilfe gewähren wollten, hing von ihrem freien Willen ab, wie ihnen andererseits auch kein Recht der Finanzkontrolle gegenüber der herzoglichen Verwaltung zustand. Die Landschaftskasse war die Staatsschuldenkasse, in welche die von den Amtskorporationen aufgebrachten Steuern flossen, und welche von der Landschaft bezw. dem Ausschuß verwaltet wurde. Die ständische Hilfe bestand hiernach in der Übernahme von Kammerschulden auf die Landeskasse oder in der Verwilligung von Beiträgen aus dieser Kasse. Die Ausschließlichkeit der evangelischen Konfession und die damit zusammenhängende Identität der kirchlichen und staatlichen Verfassung hatte die Folge, daß die Stände in ihrer Eigenschaft als Wächter der staatlichen zugleich die Garanten der kirchlichen Verfassung waren, wie der Herzog mit den Rechten der Landeshoheit die Rechte des Landesbischofs verband.
Gemäß dem Vertragsverhältnis, welches seit dem Tübinger Vertrag zwischen Fürst und Land bestand, sollte die Erbhuldigung seitens der Untertanen erst geleistet werden, nachdem der Fürst zuvor des Landes Grundgesetze und Rechte beschworen hatte. Als verfassungsmäßiges Grundrecht galt, daß jeder Württemberger, selbst der Leibeigene ohne Abzug oder Nachsteuer und, ohne einer Erlaubnis zu bedürfen, auswandern konnte, daß jeder Württemberger nur durch den ordentlichen Richter verurteilt und nur in den gesetzlich bestimmten Fällen in Haft genommen werden durfte, nur die verfassungsmäßig mit den Ständen verabschiedeten Steuern zu bezahlen hatte und nur in Kriegs- und anderen Notfällen militärpflichtig war und auch dann nur mit Bewilligung der Stände und bloß auf die Dauer des Kriegs. Das stehende Heer konnte daher im Frieden nur durch freiwillige Werbung ergänzt werden. Dagegen hatte jeder Württemberger das Recht, Wehr und Waffen zu besitzen.
Zwischen den beiden Parteien, dem Herzog und der Landschaft stand als vermittelndes Zwischenglied die Bureaukratie, welche in ihrer Unterordnung unter den Geheimenrat eine verfassungsmäßig geschützte Selbständigkeit besaß. Der Geheimerat insbesondere war zwischen beide Parteien eingeschoben, als ein beiden Teilen gleichverpflichtetes, zur Wahrung der Verfassung bestimmtes Organ. Tatsächlich nahm er die Stellung eines modernen Ministeriums ein. Er war das nicht zu umgehende Organ der Regierung und gehörte zu den Garantien der Verfassung; seine Stellung wurde noch erhöht, als mit der Sukzession katholischer Herzoge auf Grund der sog. Religionsreversalien die Episkopalrechte der Landesherrn auf ihn übertragen wurden und der Geheimerat damit zum Wahrer der verfassungsmäßigen evangelischen Landesreligion wurde.
Im engsten Zusammenhang mit der privatrechtlichen Natur der ständischen Rechte und der Anwendung der reinen Grundsätze des Mandats auf die Vertretung der Korporationen in der Landschaft stand die Stellung des ständischen Ausschusses, als eines sich selbst ergänzenden Stellvertreters der Landschaft, welcher – in einen kleinen und einen großen Ausschuß sich abteilend – im Laufe der Zeit mehr und mehr die Tätigkeit der Landschaft selbst, welche Jahrzehnte lang nicht berufen wurde, verdrängte, und durch die Macht, welche die teilweise unkontrollierte Verwaltung der ständischen Kassen in seine Hand legte, eine Nebenregierung bildete, die im Laufe der Zeiten eine Quelle vielfacher Mißbräuche wurde.
18. Jahrhundert – Napoleons Untaten.
Die Umgestaltung der staatlichen Verhältnisse in Europa, welche im Gefolge der französischen Revolution eintrat, führte in Württemberg zunächst zu einer territorialen Veränderung, an welche sich in der Folge mit innerer Notwendigkeit die Aufhebung der bisherigen, mit der Neugestaltung des Staatswesens unvereinbaren altwürttembergischen Verfassung anschloß.
Schon am 7. August 1796 hatte Württemberg mit Frankreich einen Separatfrieden abgeschlossen, in welchem es seine linksrheinischen Besitzungen an Frankreich abtrat. Nach Bestätigung dieser Abtretung durch den Frieden von Lüneville (9. Febr. 1801) ließ sich Württemberg zunächst durch einen Vertrag vom 20. Mai 1802 die Unterstützung Frankreichs zur Herbeiführung einer möglichst günstigen Entschädigung zusichern. Der Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Febr. 1803 brachte dann dem Herzog neben der Kurwürde als Ersatz für die linksrheinischen Besitzungen eine sehr beträchtliche Entschädigung an vormals geistlichen und reichsstädtischen Gebieten, deren Besitznahme schon durch herzogliches Reskript vom 7. Dez. 1802 erfolgt war). Durch Verordnung vom 19. November 1805 nahm der nunmehrige Kurfürst ohne jeden Rechtstitel die innerhalb der alten und neuen Grenzen von Württemberg gelegenen Gebiete der Reichsritterschaft, des Deutschen und des Johanniter-Ordens unter dem Schutze Napoleons (Tagesbefehl vom 19. Dezember 1805) in Besitz. Ein Separatvertrag zwischen Württemberg und Frankreich vom 12. Dezember 1805 und, diesem entsprechend, der Preßburger Friede (26. Dezember) brachte dann weiteren bedeutenden Landeszuwachs, darunter namentlich die früher vorderösterreichischen Besitzungen mit den sog. Donaustädten.
Schon die durch den Reichsdeputationsrezeß erworbenen Besitzungen hatte der Kurfürst, weil sie die Entschädigung für die verlorenen linksrheinischen Gebiete bildeten, welche nicht im Verbande der altwürttembergischen Verfassung standen, dem alten Lande nicht inkorporiert, sondern zu einem neuen Staatsganzen vereinigt, das den Namen Neuwürttemberg erhielt und absolut regiert wurde, wobei auf die seitherige politische Verfassung der säkularisierten Lande – ungeachtet der Vorschrift des § 60 des R.Dep.Hauptschlusses – keine Rücksicht genommen wurde. In derselben Weise wurde mit den Erwerbungen des Jahres 1805 verfahren.
Inzwischen dauerten im Stammlande die Streitigkeiten zwischen dem Herzog Friedrich II.,
nunmehrigen Kurfürsten, dem ersten seit 1733 wieder in der evangelisch-lutherischen Religion erzogenen württembergischen Regenten und der Landschaft fort. Letztere hatte sich schon früher
geweigert, den durch die kriegerische Weltlage geforderten Militäraufwand in dem vom Herzog beanspruchten Umfang zu übernehmen und hatte die verlangte Aushebung abgelehnt, unterhielt auch durch den engeren Ausschuß einen fortgesetzten Verkehr mit auswärtigen Mächten, während der Herzog den Ständen alle Absendungen an fremde Staaten und Kongresse, sowie jede Einmischung in die militärische Organisation untersagt, auch die Hilfe des Reichshofrats gegen die Weigerung der Stände angerufen und durch Dekret vom 17. Dez. 1799 erlangt hatte. Die gegenseitigen Anklagen bei dem Reichshofrate dauerten jedoch fort. Hiedurch und durch das gewaltsame Einschreiten des Regenten gegen die widerspenstigen Stände, welche ihre geheime diplomatische Agitation mit Hilfe der sog. geheimen Truhe fortsetzten, wurde die Spannung immer größer. Auf eine gütliche Ausgleichung zwischen den Anforderungen des modernen Staates, welche der Kurfürst vertrat, und der am hergebrachten Rechte klebenden Auffassung der Stände war, wie die Landtage von 1804 und 1805 ergaben, nicht mehr zu hoffen. Um den völligen Bruch mit dem alten Rechte herbeizuführen, bedurfte es nur eines Anlasses von außen. Hieran fehlte es aber nicht.
19. Jahrhundert Napoleon wütet.
Schon in dem Allianzvertrage mit Frankreich gegen Österreich vom 5. Oktober 1805 hatte Napoleon dem Kurfürsten Friedrich die Integrität und volle Souveränität (Souverainété pleine et entière) unter dem Versprechen zugesagt, ihn in den Streitigkeiten mit den Ständen des Landes zu unterstützen. In dem Brünner Vertrag vom 12. Dezember 1805 war die Zusicherung der Souveränität wiederholt und daneben noch die Königswürde und eine ansehnliche Gebietsvergrößerung von Frankreich zugesichert worden. Demgemäß verlieh dann der Preßburger Friede vom 26. Dezember 1805, indem er in Art. VII die Annahme der Königswürde durch den Kurfürsten sanktionierte, in Art. XIV den Königen von Bayern und Württemberg sowohl über die durch diesen Friedensvertrag abgetretenen Besitzungen als über ihre alten Lande „la plenitude de la souverainété et de tous les droits qui en derivent et qui Leurs ont été garantis par S.M.L’Empereur des Français etc., ainsi de la même manière qu’en jouissent S. M. l’Empereur d’Allemagne et S.M. le Roi de Prusse sur Leurs états allemands“.
Der neue König faßte die erlangte volle Souveränität als volle Unabhängigkeit nach innen wie nach außen auf. Am 30. Dez. 1805 eignete er sich die ständischen Kassen und das Archiv der Stände gewaltsam an. Den Tag darauf wurden die Städte und Ämter zur unbedingten Unterordnung unter die Organe der Regierung und zur Ablieferung der Steuern, an diese angewiesen. Am 1. Januar 1806 erfolgte dann die feierliche Annahme der Königswürde. Eine förmliche Aufhebung der alten Verfassung fand zwar hiebei nicht statt, wohl aber wurden alle Konsequenzen aus dem Umsturz derselben gezogen. Sämtliche Beamte wurden unter Enthebung von ihren bisherigen Dienstpflichten auf den „unbedingten Eid der Treue“ verpflichtet. Der Geheimerat wurde aufgehoben und ein Staatsministerium „für sämtliche Staaten“ mit Departementsministern an seine Stelle gesetzt. Das Kirchengut wurde mit dem Kammergut vereinigt unter Übernahme aller auf demselben haftenden Verbindlichkeiten für „kirchliche, Lehr-, Schul- oder andere gemeinnützige Armenanstalten“. Das Manifest vom 18. März 1806 vollendete die Vereinigung von Alt- und Neu-Württemberg „zu Einem Reich“, indem es das Königreich in zwölf Kreise teilte.
Der Eintritt Württembergs in den Rheinbund auf Grund des Pariser Vertrags vom 12. Juli 1806 brachte dem neuen Königreich weitere Gebietserwerbungen und die Unterwerfung einer Reihe bisher reichsunmittelbarer Fürsten und Grafen unter die Souveränität Württembergs bezüglich ihrer in den Grenzen des Landes eingeschlossenen Besitzungen. (Rhein-B.- Akte Art. 18, 24, 25). Unter den Mitgliedern des Rheinbundes nahm das neue Königreich die zweite Stelle – nächst Bayern – ein.
Für seine Teilnahme an dem neuen Kriege gegen Österreich (1809) erhielt Württemberg zunächst durch einen Tagesbefehl Napoleons vom 24. April 1809 das früher deutsch-ordensche Gebiet Mergentheim, dann teils durch den Wiener Frieden vom 14. Oktober 1809, teils durch den Vertrag von Compiegne vom 24. April 1810 und einen Vertrag mit Bayern vom 18. Mai 1810 weitere bis dahin bayerische Gebietsteile.
Durch diese und durch die früheren Gebietserwerbungen seit 1803 wurde der Umfang des Landes um mehr als das Doppelte erweitert. Das Königreich hatte damit seinen jetzigen Territorialbestand erhalten, welcher ihm dann samt der Souveränität in dem Vertrage von Fulda d. d. 2. November 1813 von seiten Österreichs, später auch durch den Pariser Frieden vom 30. Mal 1814 für die Zukunft gewährleistet wurde.
Die Entwickelung des öffentlichen Rechts in der Periode des Rheinbundes charakterisiert sich durch die schonungslose Veränderung des gesamten historischen Rechtszustandes in den alten wie in den neuerworbenen Landesteilen ohne jede Rücksicht auf die in den §§ 27 und 60 des R.D. H. Schl. und in Art. 27 und 28 der Rheinbundsakte gegebenen Zusagen, durch die fast gänzliche Beseitigung aller Standesprivilegien, durch die Gleichstellung der drei christlichen Glaubensbekenntnisse sowohl in Beziehung auf die Religionsübung als auf die staats- und gemeindebürgerlichen Rechte, namentlich aber durch den einheitlichen Aufbau des neuen Staatsgebäudes. Die einsichtsvolle und energische Regierung König Friedrichs hat – wenn auch wegen ihrer despotischen Willkür von den Zeitgenossen nicht ohne Grund angefeindet – doch überall den Boden für die weitere Entwickelung geebnet, und in kürzester Frist eine Reihe von Einrichtungen geschaffen, die auch für die Folgezeit bestimmend waren.
Der Wiener Kongress
Mit den Verhandlungen des Wiener Kongresses begann auch der Streit über die Wiederherstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes in Württemberg. Der Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 hatte festgesetzt, daß die Staaten Deutschlands unabhängig und durch ein Förderativband vereinigt sein sollen. Als nun auf dem am 1. Nov. 1814 zu Wien eröffneten Kongreß ein zwischen Österreich, Preußen und Hannover vereinbarter Entwurf vorgelegt wurde, in welchem die Einführung landständischer Verfassungen in jedem Bundesstaat vorgesehen war, trat zwar Württemberg unterstützt von Bayern diesem Entwurf entgegen. Da jedoch nach der Lage der Verhältnisse – es waren namentlich die zahlreichen Mediatisierten, welche in Wien eine Sicherung ihres Rechtszustandes herbeizuführen bestrebt waren – der verfassungslose Zustand in Württemberg doch nicht mehr länger aufrecht zu erhalten war, erließ der König, von Wien zurückgekehrt, um auch jedem Schein eines Druckes von außen zu begegnen, schon am 11. Jan. 1815 ein Manifest, in welchem er die Absicht verkündete, dem Lande eine angemessene Verfassung und ständische Repräsentation zu geben. Sofort erging am 29. Jan. 1815 ein Ausschreiben, betreffend die Wahlen von Abgeordneten zu der auf den 15. März 1815 angesetzten allgemeinen Ständeversammlung, nach welchem die Inhaber der vier Erbkronämter, die Häupter der vormals reichsunmittelbaren fürstlichen und gräflichen Häuser und 19 vom König ernannte adelige Gutsbesitzer, zusammen 50 Birilstimmführer des hohen und niederen Adels, mit den Abgeordneten der sieben „guten“ Städte und der Oberamtsbezirke die künftige Landesvertretung bilden sollten. Die Teilnahme an der Wahl der Abgeordneten war an einen Zensus von 200 fl. Jahresertrag aus liegenden Gütern geknüpft.
Bei der Eröffnung der Versammlung am 15. März 1815 wurde den Ständen sofort eine vom König durch Unterschrift und Siegel anerkannte Verfassung vorgelegt, die alsbald in Wirksamkeit treten sollte. Allein die Stände stellten sich auf einen ganz entgegengesetzten Standpunkt. Die Mehrzahl der mediatisierten Fürsten und Grafen trennte sich von der Versammlung unter Vorbehalt ihrer besonderen auf dem Wiener Kongreß zu bestimmenden Rechte. Die anderen Mitglieder jenes Standes und die vom König berufenen adeligen Birilstimmführer reservierten ihre Standesrechte. Im übrigen verlangten die Stände die Anerkennung der bloß de facto beseitigten erbländischen Verfassung, indem sie namentlich die Teilnahme an der Verwaltung der Steuergelder, die Errichtung einer ständischen Kasse, die Wiederherstellung des altwürttembergischen Kirchenguts und des Instituts der ständischen Ausschüsse, und die Revision der seit 1806 erlassenen Gesetze forderten, dagegen sich zu denjenigen Modifikationen bereit erklärten, die mit Rücksicht auf die neuen Verhältnisse erforderlich wären, um die altwürttembergische Verfassung auf das ganze Königreich auszudehnen.
Als dann der König am 26. Juni 1815 die Versammlung vertagte, wandten sich die Stände nochmals mit einer Vorstellung an den König, zugleich aber auch an die Staatsministerien von Hannover, Preußen und Dänemark als die Garanten der alten Landesverfassung mit der Bitte um Vermittlung. Da eine Einigung über die Vertretung der Stände während der Vertagung nicht zustande kam, erfolgte zunächst ein gänzlicher Abbruch der Unterhandlungen.
Nun erklärte der König der am 16. Oktober 1815 wiederberufenen Versammlung in einem Reskripte vom 13. November seine Bereitwilligkeit, den altwürttembergischen Landesteilen die altwürttembergische Verfassung zurückzugeben, „Neuwürttemberg aber unter einer auf eine wahrhafte Nationalrepräsentation gegründeten, die früheren Rechtsverhältnisse berücksichtigenden Verfassung“ von Altwürttemberg zu trennen. Gleichzeitig mit dieser Drohung bezeichnete die Regierung 14 Fundamentalpunkte für die Verhandlungen. Nach längeren Erörterungen fertigte ein von den Ständen zur Verhandlung mit den königlichen Kommissären niedergesetztes sog. Instruktionskomitee den Entwurf einer Verfassung, der im wesentlichen auf die alte Verfassung gegründet war und noch im September 1816 beendigt wurde, – den sog. ständischen Verfassungsentwurf.
Es entstand nun aber eine neue Schwierigkeit. Bisher waren beide Teile wenigstens darin einig gewesen, daß die Gesamtrepräsentation in einer Kammer vereinigt sein sollte, während nunmehr die Regierung eine Trennung des Adels von der übrigen Repräsentation anstrebte. Der inzwischen am 30. Oktober 1816 zur Regierung gelangte König Wilhelm legte der Ständeversammlung, nachdem dieselbe am 7. Dezember vertagt und am 3. März 1817 wieder eröffnet worden war, einen neuen königlichen Verfassungsentwurf vor, der aus der Beratung des – am 8. November 1816 – wiederhergestellten Geheimerats unter Benützung des Entwurfs des ständischen Instruktionskomitees hervorgegangen war. Obgleich dieser Entwurf (dem fünf Beilagen angeschlossen waren, insbesondere ein Gesetz über die Preßfreiheit, ein Adelsstatut, Bestimmungen über die Kirchengüter und Stiftungen und über die Universität zu Tübingen) bei unbefangener Betrachtung entschiedene Vorzüge vor der später vereinbarten Verfassung von 1819 hatte – die erste Kammer sollte nur Volksvertreter, die zweite außer den Standesherren die Ritterschaft, Geistlichkeit und vier Vertreter der gelehrten Anstalten enthalten, der Landtag sollte jährlich berufen werden, der Ausschuß dagegen wegfallen usw. – wurde er doch von der Ständeversammlung, in welcher Alt- und Neuwürttemberger, Prälaten und mediatisierter Adel nur an die Erhaltung ihrer althergebrachten Rechte dachten, mit einer Mehrheit von 67 gegen 42 Stimmen abgelehnt. Nun löste der König die Versammlung am 4. Juni 1817 auf und erklärte am 5. Juni, daß, wenn die Mehrzahl des Volkes durch die Amtsversammlungen oder durch die Magistrate sich für die Annahme der Regierungsvorschläge aussprechen sollte, der König seinerseits den Verfassungsvertrag als abgeschlossen ansehen und in Wirksamkeit setzen würde. Auch dieses Auskunftsmittel schlug jedoch fehl, indem die Zustimmungserklärungen nur teilweise einkamen. Um jedoch das Volk in den Genuß der in dem Verfassungsentwurfe zugesicherten Rechte, soweit sich solche nicht auf die Repräsentation bezogen, sofort einzusetzen, wurden von dem König am 18. November 1817 elf Edikte erlassen, durch welche u. a. die Leibeigenschaft und der Erblehensverband aufgehoben und die gesamte Staatsverwaltung neu organisiert wurde.
Inzwischen war in Wien die deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815 zum Abschluß gebracht worden, welcher Württemberg erst am 1. September 1815 nachträglich beitrat; die Karlsbader Ministerialkonferenzen (6.–31. August 1819) standen in Sicht. Der Aufschub, welchen die Erledigung des Verlassungswerkes durch die Hartnäckigkeit der an ihrem „alten Recht“ festhaltenden Stände erfahren hatte, hatte die Folge, daß es nunmehr unter der eingetretenen rückläufigen, dem Repräsentativsystem feindlichen Strömung zum Abschluß gebracht werden mußte. Auf den 13. Juli 1819 wurde eine neue verfassungsberatende Ständeversammlung – diesmal aber nicht nach Stuttgart, sondern nach Ludwigsburg – berufen. Sie war zusammengesetzt wie im Jahre 1815, nur mit Hinweglassung der Kronerbbeamten, dagegen unter Beiziehung von zwei evangelischen Generalsuperintendenten, des Verwesers des Generalvikariats zu Rottenburg, des ältesten katholischen Dekans und des Vizekanzlers der Universität. Nach dem Vorschlage der Regierung wählte die Versammlung sofort sieben Kommissäre, die mit den königlichen Kommissären einen neuen gemeinsamen Verfassungsentwurf ausarbeiteten. Dieser wurde dann als „Proposition“ den Beratungen der Ständeversammlung nach vorgängiger Berichterstattung durch eine ständische Kommission zu Grunde gelegt. Am 6. September 1819 begannen die Verhandlungen in der Versammlung selbst und waren bereits am 18. beendigt. Am 22. September erfolgte hierauf die königliche Entschließung mit Billigung eines großen Teils der gestellten Anträge. Auf Grund dieser Entschließung nahmen dann die Stände den Verfassungsentwurf, wie er jetzt vorlag, unverändert an, worauf am 25. September von dem König und der Versammlung die neue Verfassungsurkunde unter Auswechslung der beiderseitigen Exemplare feierlich unterzeichnet wurde. Unmittelbar zuvor, am 20. September, hatte Württemberg in Frankfurt den Karlsbader Beschlüssen zugestimmt, die mit den §§ 24 und 28 der neuen Verfassung und mit dem Preßgesetze vom 30. Januar 1817 in direktem Widerspruch standen und sofort wenige Tage nach der am 27. September erfolgten Publikation der Verfassung, am 1. Oktober, im Regierungsblatt verkündet wurden.
Die Württemberger Verfassung
Seit dem Jahre 1819 blieb zunächst bis 1849 die Verfassungsurkunde als die Grundlage des öffentlichen Rechtszustandes in unveränderter Geltung. Eine Änderung trat erst ein infolge der mit einem Einführungsgesetze am 28./31. Dez. 1848 erfolgten Verkündigung der von der Frankfurter Nationalversammlung beschlossenen sog. Grundrechte des deutschen Volkes vom 27. Dezember 1848. Derjenige Teil dieser Grundrechte, welcher sofort ins Leben treten sollte, erhielt mit dem 17. Januar 1849 für Württemberg verbindende Kraft. Um dagegen die durch die Abschaffung der Standesvorrechte notwendig gewordene Änderung der Verfassung herbeizuführen, wurde in Übereinstimmung mit dem angeführten Einführungsgesetze durch ein Gesetz vom 1. Juli 1849 eine Versammlung von Vertretern des Volkes zur Beratung einer Revision der Verfassung berufen. Die Regierung wollte die Versammlung auf diese Aufgabe beschränkt wissen. Die staatsrechtliche Kommission der Abgeordnetenkammer ging jedoch davon aus, daß nach dem Einf.-Gesetz zu den Grundrechten die neu zu wählende Landesversammlung auf so lange, bis die von ihr zu schaffende Landesvertretung in Wirksamkeit getreten sei, in die Befugnisse der bisherigen Landesvertretung einzutreten habe. Entsprechend wurden dann die Art. 1 und 2 des Gesetzes abgefaßt. Die Landesversammlung war zusammengesetzt aus 64 Abgeordneten der Oberamtsbezirke, die von allen volljährigen in Württemberg wohnhaften Staatsbürgern, welche im laufenden und in dem der Wahl vorausgegangenen Finanzjahr irgend eine direkte Staatssteuer entrichtet hatten, gewählt wurden. Die erste Landesversammlung wurde am 1. Dezember 1849 eröffnet und sprach sich sofort über die Frage, ob das Gesetz vom 1. Juli 1849 die Form der Landesvertretung auch für den Fall der Nichteinigung über eine Verfassungsrevision festgestellt habe, mit 53 gegen 6 Stimmen dahin aus, daß die durch die Verfassung von 1819 festgesetzte Landesvertretung nach den angeführten Artikeln für immer aufgehoben sei. Nach Auflösung dieser Versammlung am 22. Dezember 1849 wurde eine zweite Landesversammlung auf den 15. März 1850 einberufen. Auch diese Versammlung, die gegen den provisorischen Departementschef der auswärtigen Angelegenheiten wegen des Beitritts zu den beiden Verträgen vom 30. September 1849 (betreffend die Einsetzung einer Bundeszentralkommission, des sog. Interim), und vom 27. Februar 1850 (Übereinkunft mit Bayern und Sachsen über die Grundzüge einer künftigen deutschen Verfassung) auf Grund des § 85 V. U. Staatsanklage erhoben hatte, wurde aufgelöst, ebenso die dritte, die auf den 15. Oktober 1850 einberufen worden war. Gleichzeitig mit dieser letzten Auflösung wurde mittelst Königlicher Verordnung vom 6. November 1850 auch das Gesetz vom 1. Juli 1849 selbst beseitigt und der Zustand vor diesem Gesetze wieder hergestellt und zwar auf Grund des § 89 Verfassungsurkune (also durch sog. Notverordnung). Der von der Landesversammlung verfassungsgemäß unmittelbar nach der Auflösung neugewählte Ausschuß wurde aufgelöst und an seine Stelle der ältere, im Jahre 1849 noch nach der Verfassung vom Jahre 1819 gewählte ständische Ausschuß berufen. Als dieser aber nicht zustande kam, wurde durch eine Königliche Verordnung vom 26. November 1850, wieder auf Grund jenes § 89 Verfassungsurkune, eine provisorische Staatsschulden-Verwaltungskommission zur Aufsicht über die nach der Verfassungsurkune unter dem Ausschuß stehende Staatsschuldenzahlungskasse niedergesetzt. Die Grundrechte wurden infolge des Bundesbeschlusses vom 23. August 1851 durch Verordnung vom 5. Oktober 1851 aufgehoben und nur die seit der Min.- Verf. vom 14. Januar 1849 angewandten Vorschriften in Betreff der Rechtsverhältnisse der Israeliten im Weg der Verordnung (auf Grund des § 89 Verfassungsurkune) vorerst in Geltung erhalten. Da jedoch die Kammer der Abgeordneten, nachdem die Stände wiederum gemäß der Verfassung von 1819 einberufen waren, sich am 28. Juni 1851 und dann am 26. Februar 1852 für die fortdauernde verbindliche Kraft der Grundrechte als Landesgesetz aussprach, wurde durch ein besonderes Gesetz vom 2. April 1852 bestimmt, daß den so betitelten Grundrechten des deutschen Volks auch die verbindliche Kraft eines Landesgesetzes, soweit nicht einzelne Bestimmungen derselben in besonderen Gesetzen zur Ausführung gebracht worden seien, nicht beigelegt werden soll.
Seit dem 6. November 1850 beruht hiernach der öffentlichrechtliche Zustand des Landes, soweit es sich um die Organisation der Ständeversammlung handelt, nicht sowohl auf dem Verfassungsvertrage von 1819, als vielmehr auf jener einseitigen Königlichen Verordnung, wenn auch seit 1868 eine Reihe neuer Verfassungsgesetze, die jedoch sämtlich auf der durch jene Verordnung geschaffenen staatsrechtlichen Grundlage beruhen, auf dem vorhandenen tatsächlichen Zustand fortgebaut hat.
Sieht man von der angeführten, durch die sog. Grundrechte veranlaßten, ephemeren Gesetzgebung, und von dem nach Beseitigung der Konvention mit dem päpstlichen Stuhl erlassenen Kirchengesetze vom 30. Januar 1862 und dem damit zusammenhängenden Gesetze vom 31. Dezember 1861 betr. die Unabhängigstellung der staatsbürgerlichen Rechte vom religiösen Bekenntnisse ab, so gelang es – trotz mancher auch nach 1851 hervorgetretener parlamentarischer Bestrebungen – im Laufe der Jahre nicht, auch nur zu einer teilweisen Revision der in so vielen Beziehungen der Abänderung bedürftigen Verfassung zu gelangen, bis endlich infolge der Gründung des norddeutschen Bundes und nachher des Eintritts in das Deutsche Reich auch in Württemberg die Notwendigkeit erkannt wurde, die staatsrechtlichen Verhältnisse des Landes mit den Zuständen im Reich einigermaßen in Einklang zu bringen. Die nächste Konsequenz der neuen politischen Lage, die Vereinfachung des schwerfälligen, mit der jetzigen beschränkten Bedeutung der Landesgesetzgebung in keinem Verhältnisse stehenden ständischen Apparats hat man allerdings bis jetzt zu ziehen sich nicht entschließen können.
Durch Königliche Verordnung vom 30. Dezember 1870 wurde die Reichsverfassung mit den über die Errichtung des Reichs und den Beitritt der süddeutschen Staaten abgeschlossenen Verträgen und mit den hiernach in Württemberg eingeführten Bundesgesetzen im Regierungsblatt publiziert.