Staatsverfassung.
Die Konstitution des Königreichs Württemberg beruht auf der Verfassungsurkunde vom 25. Sept. 1819, mit Abänderungen aus den Jahren 1868, 1874 und 1906 (vgl. Bazille, Die Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg, erläutert, 1906). Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 weist Württemberg. 4 Stimmen im Bundesrat und 17 Abgeordnete zum Reichstag zu.
Der König
Der König vereinigt alle Rechte der Staatsgewalt in seiner Person, ist jedoch hinsichtlich der Gesetzgebung und Besteuerung an die Mitwirkung der Landstände gebunden. Die Krone ist erblich im Mannesstamm des königlichen Hauses nach der Linealerbfolge und dem Erstgeburtsrecht. Bei dessen Erlöschen sukzediert die weibliche Linie; doch tritt bei der Deszendenz des sodann regierenden königlichen Hauses das Vorrecht des Mannesstammes wieder ein. Der König wird mit zurückgelegtem 18. Jahre volljährig und bezieht eine Zivilliste von 1,800,000 Mk. nebst Naturalien im Betrage von ca. 240,000 Mk.
Alle Württemberger haben gleiche staatsbürgerliche Rechte, die nach dem Gesetz vom 31. Dez. 1861 von dem Religionsbekenntnisse unabhängig sind.
Die Landstände
teilen sich in zwei Kammern.
Die Erste Kammer
besteht aus den Prinzen des königlichen Hauses, aus den Häuptern der standesherrlichen Familien, aus höchstens 6 vom König auf Lebenszeit ernannten Mitgliedern, aus 8 Mitgliedern des ritterschaftlichen Adels, aus dem Präsidenten des evangelischen Konsistoriums, dem Präsidenten der evangelischen Landessynode und 2 evangelischen Generalsuperintendenten, einem Vertreter des Landesbischofs und einem von den katholischen Dekanen aus ihrer Mitte gewählten Mitgliede, aus je einem Vertreter der Landesuniversität in Tübingen und der Technischen Hochschule in Stuttgart, aus 2 Vertretern des Handels und der Industrie, 2 Vertretern der Landwirtschaft und einem Vertreter des Handwerks.
Die Zweite Kammer
(Kammer der Abgeordneten) ist zusammengesetzt aus je einem Abgeordneten der Oberamtsbezirke (63 ohne Stuttgart-Stadt), aus 6 Abgeordneten der Stadt Stuttgart und je einem Abgeordneten der Städte Tübingen, Ludwigsburg, Ellwangen, Ulm, Heilbronn, Reutlingen, aus 17 Abgeordneten zweier Landeswahlkreise, von denen der erste den Neckar- und den Jagstkreis umfaßt und 9 Abgeordnete wählt, der zweite den Schwarzwald- und Donaukreis umfaßt und 8 Abgeordnete wählt. Für die Wahl der Mitglieder der Zweiten Kammer gilt das allgemeine, gleiche, unmittelbare und geheime Wahlrecht. Die 6 Abgeordneten der Stadt Stuttgart und die 17 Abgeordneten der beiden Landeswahlkreise werden je in einem Wahlgang nach dem Grundsatz der Listen- und Verhältniswahl gewählt. Je nach Ablauf von sechs Jahren muß eine neue Wahl für sämtliche durch Wahl berufenen Mitglieder der beiden Kammern angeordnet werden.
Zu Mitgliedern der Ersten und Zweiten Kammer können nur solche Personen gewählt oder ernannt werden, die am Tage der Wahl oder Ernennung das 25. Lebensjahr zurückgelegt haben. Der Präsident der Ersten Kammer wird unmittelbar vom König ernannt, der der Zweiten Kammer von dieser selbst gewählt. Das Recht, Gesetze vorzuschlagen, steht dem König sowie jeder der beiden Kammern zu. Ebenso hat jede der beiden Kammern das Recht, die Minister in Anklagestand zu versetzen, für welchen Zweck sowie überhaupt zum gerichtlichen Schutz der Verfassung ein Staatsgerichtshof besteht, aus vom König ernannten und von der Ständeversammlung gewählten Mitgliedern zusammengesetzt.
Staatsverwaltung.
An der Spitze der Staatsverwaltung stehen das Staatsministerium, gebildet durch die Minister oder Chefs der Verwaltungsdepartements, und der Geheime Rat, bestehend aus den Mitgliedern des Staatsministeriums und vom König ernannten ordentlichen und außerordentlichen Mitgliedern. Dem Staatsministerium sind unterstellt: die Bevollmächtigten zum Bundesrat, der Verwaltungsgerichtshof und der Disziplinarhof für die Staatsbeamten. Die sechs Departements sind die der Justiz, der auswärtigen Angelegenheiten, des Innern, des Kirchen- und Schulwesens, des Kriegswesens und der Finanzen.
Rechtspflege.
An der Spitze der Rechtspflege steht das Oberlandesgericht in Stuttgart mit drei Zivilsenaten und einem Strafsenat. Weiter sind acht Landgerichte (in Stuttgart, Heilbronn, Tübingen, Rottweil, Ellwangen, Hall, Ulm, Ravensburg) mit Zivil- und Strafkammern und je einem Schwurgerichtshof eingesetzt, unter diesen stehen die 64 Amtsgerichte.
Die Ministerien.
Dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten sind außer der Diplomatie auch die Archivdirektion, die Generaldirektion der Staatseisenbahnen und der Bodenseedampfschiffahrt sowie die Generaldirektion der Posten und Telegraphen untergeordnet. Unter dem Ministerium des Innern stehen außer der eigentlichen Verwaltung die Medizinalangelegenheiten, der Straßen- und Wasserbau, das Gewerbewesen und die landwirtschaftlichen Angelegenheiten. Behufs der Verwaltung ist das Land in die oben genannten vier Kreise geteilt. An der Spitze eines jeden Kreises steht eine Regierung: für den Neckarkreis in Ludwigsburg, für den Schwarzwaldkreis in Reutlingen, für den Jagstkreis in Ellwangen, für den Donaukreis in Ulm. Die Kreise zerfallen in den Stadtdirektionsbezirk Stuttgart und in 63 Oberamtsbezirke mit je einem Oberamtmann, in Stuttgart dem Stadtdirektor, an der Spitze. Neben dem Oberamt ist auf dem Gebiete der staatlichen Verwaltung der Bezirksrat teils zur Entscheidung, teils zur Mitwirkung bei bestimmten oberamtlichen Anordnungen, teils zur Beratung des Oberamts berufen; er besteht aus dem Oberamtsvorstand als Vorsitzenden und aus sechs weitern ordentlichen Mitgliedern, die nebst vier stellvertretenden Mitgliedern von der Amtsversammlung (s. unten) teils aus deren Mitte, teils aus den sonstigen Bezirksangehörigen je auf die Dauer von drei Jahren gewählt werden.
Die Gemeindeverfassung.
Die Gemeindeverfassung beruht seit 1. Dez. 1907 auf der Gemeindeordnung vom 28. Juli 1906, wonach die Gemeinden in solche mit mehr als 50,000 Einw. (große Städte), mehr als 10–50,000 Einw. (mittlere Städte) und in solche bis zu 10,000 Einw. (kleinere Städte und Landgemeinden) eingeteilt sind. Letztere zerfallen wieder in Gemeinden von mehr als 4–10,000 Einw. (erste Klasse), mehr als 1000–4000 Einw. (zweite Klasse) und nicht mehr als 1000 Einw. (dritte Klasse). Die Vertretung der Gemeinden und die Verwaltung ihrer Angelegenheiten kommt dem Gemeinderat zu; zur Überwachung der Verwaltung ist ein Bürgerausschuß bestellt, der in den gesetzlich bestimmten Fällen zur Mitwirkung an der Verwaltung berufen ist. Der Gemeinderat besteht aus dem Ortsvorsteher als Vorsitzenden und aus 4–42 weitern unbesoldeten Mitgliedern, je nach der Größe der Gemeinden. In den mittlern und größern Städten kann durch Gemeindesatzung die Anstellung eines oder mehrerer besoldeter Gemeinderatsmitglieder angeordnet werden. Die Zahl der Mitglieder des Bürgerausschusses ist ebensogroß wie diejenige der Mitglieder des Gemeinderats. Die Mitglieder der Gemeindekollegien werden in den großen und mittlern Städten durch Verhältniswahl, in den kleinern Städten und Landgemeinden durch Listenwahl von den Gemeindebürgern gewählt.
Oberamtsbezirke.
Sämtliche Gemeinden eines Oberamtsbezirks bilden die Amtskörperschaft, deren Angelegenheiten durch die Amtsversammlung und den Bezirksrat besorgt werden. Die Amtsversammlung wird unter dem Vorsitz des Oberamtmanns aus 20–30 Abgeordneten der Oberamtsstadt und der übrigen Amtsorte gebildet und besorgt hauptsächlich die ökonomischen Angelegenheiten der Amtskorporation. Die Gemeindevorsteher, Stadtschultheißen oder Schultheißen, werden aus drei von den Gemeinden gewählten Kandidaten für Gemeinden erster Klasse vom König, für die übrigen von der Kreisregierung ernannt.
Religion.
Jede der drei im Königreich bestehenden christlichen Konfessionen ordnet ihre Angelegenheiten unter der Oberaufsicht des Königs selbst. Die evangelische Kirche ist seit 1823 uniert; nur in Stuttgart bilden die Reformierten eine eigne kleine Gemeinde. Das Kirchenregiment wird durch das königliche Konsistorium und den Synodus verwaltet. Die Episkopalrechte stehen dem evangelischen Landesherrn zu. Wenn der König nicht der evangelischen Konfession angehört, geht (Gesetz vom 28. März 1898) die Ausübung der landesherrlichen Kirchenregimentsrechte in der evangelischen Kirche auf ein Kollegium über, das den Namen »Evangelische Kirchenregierung« führt und aus zwei dieser Kirche angehörenden ordentlichen Mitgliedern des Geheimen Rats (darunter dem Departementschef des Kirchen- und Schulwesens, wenn er evangelisch ist), den Präsidenten des Evangelischen Konsistoriums und der Evangelischen Landessynode und einem Generalsuperintendenten besteht. Die aus 57 Mitgliedern zusammengesetzte Landessynode (6 vom evangelischen Landesherrn ernannte, ein von der evangelisch-theologischen Fakultät der Landesuniversität, 50 von den Diözesansynoden Gewählte) wirkt bei der kirchlichen Gesetzgebung in ihrem ganzen Umfange mit. Unter dem evangelischen Konsistorium als evangelische Oberkirchenbehörde stehen die Generalsuperintendenten (Prälaten) und der Feldpropst, die 49 evangelischen Dekanate mit 928 Pfarrorten und 1146 ständigen Geistlichen. Die innern Angelegenheiten der katholischen Kirche werden von dem bischöflichen Ordinariat (dem Landesbischof nebst dem Domkapitel) zu Rottenburg geleitet, das zur oberrheinischen Kirchenprovinz (Erzdiözese Freiburg) gehört. Das Verhältnis der Staatsgewalt zur Kirche ist durch das Gesetz vom 30. Jan. 1862 geregelt worden. Die verfassungsmäßige Behörde, durch welche die in der Staatsgewalt begriffenen Rechte über die katholische Kirche ausgeübt werden, ist der katholische Kirchenrat. Die Aussicht und Leitung des israelitischen Kultus- und Armenwesens ist der seit 1828 eingesetzten, von einem Ministerialrat geleiteten israelitischen Oberkirchenbehörde übertragen.
Das Kriegsministerium.
Das Kriegsministerium ist für alle Militärangelegenheiten und die sämtlichen Zweige der Kriegsverwaltung die oberste verantwortliche Staatsbehörde. Im deutschen Reichsheere bilden die württembergischen Truppen ein eignes, das 13. Armeekorps, bestehend aus 10 Regimentern Infanterie (Nr. 119–127 und 180), 4 Regimentern Kavallerie (je 2 Regimenter Dragoner, Nr. 25 und 26, und Ulanen,[784] Nr. 19 und 20), 4 Regimentern Feldartillerie (Nr. 13,29,49 und 65), ein Pionier- und ein Trainbataillon (Nr. 13), ein Detachement Telegraphentruppen. Im Gebiete des Königreichs W. liegt der größere Teil der Reichsfestung Ulm.
Das Finanzministerium
Unter dem Finanzministerium stehen: die Oberfinanzkammer (mit den Abteilungen Domänendirektion, Forstdirektion u. Bergrat), Oberrechnungskammer, Staatskassenverwaltung, Steuerkollegium mit zwei Abteilungen und das Statistische Landesamt. Der Hauptfinanzetat für 1907 ergab einen Staatsbedarf von 91,268,911 Mk.